Tagungen > Tagungsausschreibung

14.02.2014

CfA: Trajectoires: Figuren der Autorität. Theoretische, epistemologische und empirische Ansätze

  • Ort: Paris
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Weitere Teilbereiche
  • Sprachen: Sprachenübergreifend
  • Frist: 20.03.14

Die achte Ausgabe von Trajectoires setzt sich zum Ziel, den klassischen Begriff der „Autorität“ in den Geistes-und Sozialwissenschaften aus einer interdisziplinären Perspektive zu ergründen. Der in den verschiedensten Bereichen des sozialen Lebens beheimatete Begriff deckt eine Vielzahl an Situationen ab, was mitunter zu einer Verschleifung des Konzepts beiträgt. Welche Gemeinsamkeiten bestehen zwischen der Autorität der Eltern, des Helden, des Staates, der Religion, der Moral, der Intellektuellen oder der Experten? Auf jeden Fall handelt es sich um Formen der Dominanz und um Aushandlungsprozesse sozialer Machtgefüge.

 

Max Weber stellt mit der Definition der drei Herrschaftstypen (traditionell, charismatisch und legal) eine Begrifflichkeit zur Verfügung, mittels derer das Verhältnis zwischen Autorität, Herrschaft und Legitimierung beleuchtet werden kann. Bei Weber ist die Herrschaft „die Chance […], für spezifische (oder: für alle) Befehle bei einer angebbaren Gruppe von Menschen Gehorsam zu finden. […] Herrschaft (‚Autorität‘) in diesem Sinn kann im Einzelfall auf den verschiedensten Motiven der Fügsamkeit: von dumpfer Gewöhnung angefangen bis zu rein zweckrationalen Erwägungen, beruhen.“ (1) Weber geht von den Typen legitimer Herrschaft aus, weshalb für ihn die Autorität an ein „Gehorchen-wollen“ gebunden ist. Vor diesem Hintergrund erscheint uns die genauere Untersuchung von Autoritätsfiguren sinnvoll und weiterführend.

 

Die Erscheinungsformen der Autorität in den Blick zu nehmen, bedeutet sowohl die Legitimationsmodi zu erfassen, in denen Machtbeziehungen zwischen sozialen Akteuren zum Ausdruck kommen, als auch die empirische Untersuchung von Strategien, Seinsweisen und der geographischen und historischen Kontexte, welche die Autoritätswerdung bedingen. Sich mit Autoritätsfiguren zu beschäftigen, ermöglicht zudem einen differenzierten Blick auf – reale oder symbolische – Akteure und stellt konzeptuelle Verbindungen zwischen den einzelnen Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften her.

 

Besonders unter den Historikern genießen Autoritätsfiguren von jeher große Aufmerksamkeit. Die klassische Geschichtsschreibung räumt den „großen Männern“ einen wichtigen Platz ein, indem sie biographische Begebenheiten und Taten schildert, denen meist eine symbolische oder exemplarische Bedeutung zugesprochen wird. Diese Form der Geschichtsschreibung kann zugleich eine Legitimierungsfunktion oder Glorifizierung von Macht übernehmen. Die Auseinandersetzung mit Autoritätsfiguren kann derartige Lesarten nuancieren, indem eine Dekonstruktion der Autoritätsfiguren vorgenommen wird und die Einbeziehung vielschichtiger Faktoren (biographisch, kontextuell, sozial) ein besseres Verständnis für die Herstellung und die Vereinnahmung von Autorität ermöglicht.

In der Auseinandersetzung mit Autoritätsfiguren geraten jedoch auch die Verfahren in den Blick, mit denen politische Akteure ihre Herrschaft durch Worte und Bilder zu festigen versuchen. Die Ergründung der Diskurse erlaubt also eine empirische Untersuchung, wie Autoritätsfiguren ihre dominante Position (erneut) bekräftigen – auch wenn Pierre Bourdieu in „Langage et pouvoir symbolique“ darauf hinweist, dass die Macht, eine bestehende Ordnung zu erhalten oder zu stürzen, in dem Glauben an die Legitimität der Worte und des Sprechers besteht, also in einem Glauben, der unabhängig von dem Gesagten funktioniert (2). Die Autorität bezieht sich also auf Dispositive der Legitimierung, wie Symbole, Allegorien oder Porträts. Georges Balandier unterstreicht in „Le pouvoir sur scènes“ die Bedeutung der Inszenierung und der Verkörperung für politische Autorität, indem er die Theatralität als Durchsetzungsverfahren von Autorität anführt. Schon vier Jahrhunderte zuvor betonte Machiavelli im Fürsten die Macht der Vorstellung für die Konstruktion von Autorität: „Regieren ist glauben machen“. Bei der Inszenierung von Autorität und der politischen Kommunikation handelt es sich also keineswegs um jüngere Phänomene der Geschichte.

 

In den Literaturwissenschaften können Autoritätsfiguren anhand ihrer Repräsentation in literarischen Werken untersucht werden. „Klassische“ Autoritäten wie der Familienvater, Götter, Staatsoberhäupter oder auch die Mehrheitsgesellschaft werden in vielen Werken dargestellt und oft dekonstruiert. Aber es stellt sich auch die Frage der Autorität eines Textes: Foucaults Aufsatz „Was ist ein Autor?“ von 1969, in dem er die Autorität des Autors bei der Produktion eines Textes in Frage stellt, bekommt im Kontext der Produktion kollektiver Texte im Web oder in Debatten um Urheberrechte neue Relevanz. Auch die Rezeptionsästhetik der Konstanzer Schule, vor allem von Wolfgang Iser, Wolfgang Preisendanz, Manfred Fuhrmann und dem Romanisten Hans Robert Jauss, kann für eine Untersuchung der Autorität eines literarischen Textes nützlich sein: Wo kann die Autorität des Autors, des Textes und des Lesers verortet werden? Ähnliche Fragen durchziehen die Theaterwissenschaften: Welche Konsequenzen können aus dem Versuch des postdramatischen Theaters gezogen werden, die ‚Vierte Wand‘ zu durchbrechen, die die Schauspieler vom Zuschauer trennt? Liegt die Autorität der Aufführung, der Produktion von Bedeutung, im modernen Theater in der Hand der Schauspieler, der Zuschauer, oder oszilliert sie zwischen beiden?

 

Trotzdem ist festzuhalten, dass der Begriff der Autorität in den Literaturwissenschaften erstaunlicherweise nur selten explizit angeführt wird – trotz des 1999 erschienenen Sammelbandes „Autorität der/in Sprache, Literatur, Neuen Medien“, der unter anderem der Frage von Autorität in Übersetzungen und Zitaten sowie den Beziehungen zwischen auctor und auctoris nachgeht. Die Autoren vertreten darin die These, dass die Frage der Notwendigkeit, der Funktion und der Inszenierung, also der Form der Autorität einen Blick auf die Kulturgeschichte ermöglicht: „[D]ie Geschichte der Kultur läßt sich schreiben als die Geschichte des jeweiligen Umgangs mit 'Autorität'” (3).

 

Auch im Bereich der Psychologie wird die Frage der Autorität mit Hilfe experimenteller Ansätze neu beleuchtet. Das bekannteste Beispiel ist wohl der von Stanley Milgram durchgeführte Versuchsaufbau, dessen Ergebnisse innerhalb des Fachbereichs stark kritisiert und diskutiert wurden, was wiederum den Rückschluss erlaubt, dass eine empirische Untersuchung der Frage der Autorität weiterhin eine große Herausforderung für die Forschung darstellt.

 

Mögliche thematische Schwerpunkte, die aber ergänzt werden können:

 

1) Legitimation und Delegitimitation von Autoritätsfiguren

Es wäre auf Fragen wie Errichtung, Erhalt, Bestätigung, Infragestellung oder Erneuerung der Autorität einzugehen, beispielsweise durch eine Analyse der Akteursstrategien und Verhaltensweisen sowie der Konflikte zwischen Autoritätsfiguren und anderen sozialen Akteuren.

 

2) Darstellung von Autoritätsfiguren

Zu untersuchen wären Darstellungsformen, Symbolik und sprachliche Mittel, mit denen die Dominanz und Herrschaft der Autoritätsfiguren kommuniziert und in Szene gesetzt werden.

 

3) Konzeptualisierung und Theoretisierung von Autoritätsfiguren

Im Hinblick auf eine Definition oder Klassifizierung der Autoritätsfiguren erscheint es lohnend, die operativen Konzepte und Methoden der Analyse zu hinterfragen: welche Charakteristiken haben Autoritätsfiguren? Welche Konzeptionen der Autorität gibt es? Wer oder was ist eine Autoritätsfigur? Wie können die Geistes- und Sozialwissenschaften Figuren der Autorität in ihrer Vielfalt erfassen? Ist der Begriff “Autoritätsfigur” epistemologisch tragfähig? Handelt es sich um ein operatives Konzept?

 

Wir freuen uns besonders über Beiträge, die eine Konzeptualisierung oder Definition von Autoritätsfiguren auf der Grundlage von Fallbeispielen oder von empirischen, theoretischen oder literarischen Materialien vornehmen. Wir begrüßen zudem kontrastive Untersuchungen zwischen deutschsprachigen und französischsprachigen Fallbeispielen oder Forschungsansätzen.

 

Trajectoires veröffentlicht vorrangig die Beiträge von Nachwuchswissenschaftlern (Doktoranden, Post-Doktoranden und eventuell Master-Studenten) in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Artikelvorschläge in französischer oder deutscher Sprache (nicht länger als 5000 Zeichen, inkl. Leerzeichen) sollten die Fragestellung, die Methode, den Korpus/ das Terrain und die zentralen Argumente deutlich machen. Wir bitten um Zusendung der Vorschläge und einem akademischen Lebenslauf bis zum 20. März 2014 an die Redaktion (trajectoires@ciera.fr).

 

Die ausgewählten Beiträger/innen werden bis zum 30. März benachrichtigt; der Abgabetermin für die Artikel ist der 1. Juni 2014. Die Beiträge werden anschließend in einem doppelten Peer-review-Verfahren begutachtet.

Die Zeitschrift Trajectoires, travaux de jeunes chercheurs du CIERA wird auf dem Portal Revues.org: trajectoires.revues.org/index.html veröffentlicht.

 

(1) Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1980, S. 122.

(2) Pierre Bourdieu, Langage et pouvoir symbolique, Paris 2001, S. 210.

(3) Jürgen Fohrmann, Ingrid Kasten, Eva Neuland, (Hg), Autorität der/in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentags 1997. Bielefeld 1999, S.13.

 

Von:  Anne Seitz

Publiziert von: cf