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18.06.2013

CfP: Italianistentag 2014: Relazioni e relativi - genealogie, famiglie, parentele

  • Ort: Erlangen
  • Beginn: 20.03.14
  • Ende: 22.03.14
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft, Didaktik
  • Sprachen: Italienisch
  • Frist: 31.07.13

Deutscher Italianistenverband

Fachverband Italienisch in Wissenschaft und Unterricht e.V.

Der Vorsitzende

Prof. Dr. Marc Föcking

 

Italianistentag Erlangen, 20. bis 22. März 2014

Relazioni e relativi

Genealogie, famiglie, parentele

 

I.

Unser Denken und Sprechen basiert auf dem Konzept der Relationalität. Das Bilden von Oppositionen, Vergleichen, Paradigmen, Ähnlichkeiten oder Differenzen gehört zu den unabdingbaren ‚ways of worldmaking‘, die die menschlichen Kulturen konstituieren. Keine Kultur, das hat insbesondere die italienische Semiotik herausgestellt, kommt ohne ein System aus, das semantische Einheiten begrenzt und damit kulturelle Einheiten definiert.

 

Diese abstrakten Relationen finden sich oft in im Gewand der konkreten Beziehungen wieder, die unsere lebensweltliche Existenz fundamental prägen: der der Geschlechter- und Familien-beziehungen zwischen Mann und Frau, Vater und Mutter, Eltern und Kindern, Bruder und Schwester, Vorfahren und Nachkommen. Ob als Wittgensteins „Familienähnlichkeiten“ , als „Sprachfamilien“ oder „Muttersprache“, als „literarische Gattungen“ oder als „arti sorelle“, als „Vaterland“ oder „Bruderkrieg“ – Familienbeziehungen sind unabdingbar für die Benennung unterschiedlichster Relationen und haben als Katachresen längst einen festen Platz in unserem Vokabular eingenommen.

 

Allerdings sind sie semantisch weder unschuldig noch zukunftsfest, denn sie suggerieren einerseits Abstammungen biologischer Art, sie naturalisieren historische Setzungen (wie die der literarischen „Gattung“ als „Naturform“) oder logische Operationen, andererseits verwenden sie ein Vokabular, dessen Semantik historisch immer schon im Fluss war: Vom ganz anders gelagerten Begriff der „familia“ und der „familiares“ in Antike und Mittelalter ist es ein weiter Weg zur bürgerlichen Vorstellung von Familie im 19. Jahrhundert. Und ob es in Zeiten der Ein-Kind-Familie und des demographischen Wandels im dritten Jahrtausend den Begriff „Bruder“ oder „Schwester“ noch lange geben wird, fragt sich Umberto Eco schon 1995: „Mamma, che cosa vuol dire ‚fratello‘?“

 

II.

Mit dieser Überblendung sprachlicher, kultureller oder literarischer Beziehungen mit denen der Verwandtschaft, mit „relazioni e relativi“ will sich der Italianistentag in Erlangen vom 20. bis zum 22.März 2014 an der Friedrich Alexander-Universität beschäftigen. In den drei Sektionen zu Didaktik, Sprach- und Literaturwissenschaft soll den historischen und systematischen Perspektiven und Profilen des Konzepts ‚Verwandtschaft‘ nachgegangen werden, sei es in seiner katachretisch-metaphorischen Funktion zur Konzipierung abstrakter Relationen in dia- wie synchroner Perspektive, sei es in seinen Dimensionen auf der thematischen Ebene, die für die italienische Kultur und Literatur von jeher besonders einschlägig gewesen ist. Solange die italienische Halbinsel sich im Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit und weit darüber hinaus nicht als politische Einheit begriff, sondern sich in konkurrierende Stadt- und Regionalstaaten gliederte, waren Familien- und Clanstrukturen treibende Kräfte staatlicher Ordnung wie Unordnung. Die Fehden in mittelalterlichen Stadtrepubliken waren Fehden zwischen Familien, die sich lockeren und strategisch gewählten Parteiungen unterschiedlicher Richtungen von Papst- und Kaisertreuen, von „Guelfen“ und „Ghibellinen“ angeschlossen hatten: Parteien und Clans fielen zusammen, so im Florenz der Dante-Zeit in der Fehde zwischen den Cerchi und den Donati oder im bis in die Gegenwart am stärksten das Bild des mittelalterlichen Italiens prägenden Romeo und Julia-Stoff und seiner Auseinandersetzung zwischen den Capulet und den Montague, die in den Veroneser Clans der Montecchi und der Cappelletti ihr historisches Vorbild hatten. Die Sieger dieser Auseinandersetzungen stiegen zu die Stadt- und Regionalstaaten über Jahrhunderte dominierenden Familien auf, für die die Durchsetzung staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen mit Familienangehörigen ebenso essentiell zur Machtsicherung wurde wie die Nobilitierung der eigenen Genealogie durch Kunst und Literatur. Der Kampf der Familien, der Este gegen die Visconti gegen die Medici u.s.f. setzte sich auf der Ebene der Regionalstaaten fort: „Famiglia“ steht so in der Frühen Neuzeit für das Prinzip der Abschottung, der Bevorzugung der eigenen Clan-Angehörigen, für Nepotismus, für Unterwanderung und Usurpierung staatlicher Ordnung, für Kampf und Intrige in der familiären Hierarchie. In der „ehrenwerten Gesellschaft“ von Mafia, Camorra oder ’Ndrangheta findet dieses Prinzip bis in die Gegenwart seine Fortsetzung. Dass im Risorgimento des 19. Jahrhunderts diesem auf nur partikulare Solidarität zentrierten, negativen Konzept des Familienverbundes ein positives, aber von genetischen Gemeinsamkeiten entbundenes Konzept von „Brüderlichkeit“ entgegengesetzt werden musste, hat sich ebenfalls bis zum heutigen Tag in der italienischen Nationalhymne „Fratelli d’Italia“ Goffredo Mamelis als Konkurrenzkonzept erhalten.

Doch funktioniert diese Übertragung des Familienprinzips vom partikulären, sozialen wie genetischen Verband auf Staat und Gesellschaft nur, wenn letztere die Subsistenz der Individuen garantieren kann. Der in der kollektiven Wahrnehmung als schwach wahrgenommene italienische Staat, seine sich in der immer noch virulenten „questione meridionale“ niederschlagende regional unterschiedlich starke Verankerung, die historischen sozialen wie politischen Krisen Italiens seit der Staatsgründung 1861 haben diese Übertragbarkeit, haben die Tragfähigkeit dieser überfamiliären „fratellanza“ immer wieder in Zweifel gezogen und damit auch das Thema „genealogie, famiglie, parentele“ virulent gehalten.

 

 

III.

Die Arbeit des Italianistentages wird in den drei Sektionen Didaktik, Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft stattfinden.

 

1. Didaktische Sektion:

In der didaktischen Sektion eröffnet das Thema der Relationalität bzw. der „relazioni/relativi“ unterschiedliche Möglichkeiten der Erarbeitung für den Italienischunterricht: Sprach- oder literaturdidaktische Ansätze, aber auch die Orientierung an trans- bzw. interkultureller oder medialer Kompetenz sind denkbar.

 

Das Familienbild, das man von außerhalb oft von Italien hat, konzentriert sich nur allzu gern auf die Clichés der „mamma“, des „mammone“ oder des Nepotismus in all seinen Schattierungen bis hin zu mafiösen Strukturen. Man sollte aber die Möglichkeiten der Anwendung modellhafter Konzepte im Fremdsprachenunterricht Italienisch nicht strapazieren, will man einerseits den Nicht-Italiener von den Clichés befreien, andererseits aufzeigen, wie italienisch z. B. eine italienische Familie noch ist, und wie sehr die Realität Italiens im Zuge der Globalisierung derjenigen anderer Länder gleicht.

 

Schon im grammatikalischen Bereich lassen sich Einstiegsmöglichkeiten in die Thematik finden. Das komplexe System des Gebrauchs des Artikels im familiären Wortschatz ist eine Welt für sich. Hinsichtlich des Wortschatzes wird man ‚Wortfamilien‘ – ggf. in Verbindung mit Wörternetzen – in die Diskussion einbeziehen oder aber ein Panorama der Sprichwörter (e.g. „Natale con i tuoi, Pasqua con chi vuoi“) etc. zeichnen.

 

Romane bieten sich ebenfalls für eine praktische Umsetzung der Thematik im Italienischunterricht an. Die Modernität eines Romans wie Pinocchio ist frappant. Lara Cardellas Volevo i pantaloni kämpft für die Emanzipation der Mädchen und prangert den Kindesmissbrauch im familiären Umfeld an. Auch Leonardo Sciascias A ciascuno il suo – wie auch das schwierigere Il giorno della civetta – dürfte einen Zugang schaffen zur Nähe von Mafia, Familie und Religion. Ein Paradebeispiel für die Suche nach einem wahren Freund ist das Erstlingswerk von Italo Calvino, Il sentiero dei nidi di ragno, und insbesondere die Romane von Niccolò Ammaniti befassen sich mit der aktuellen Situation der Familie in Italien.

 

Es gibt zahlreiche Canzoni und Canzoni d’autore, die das Bild der Mutter fokussieren. Edoardo Bennatos “Viva la mamma” oder Gianni Morandis “Fatti mandare dalla mamma a prendere il latte”, wie auch das Volkslied “Mamma, dammi cento lire che in America voglio andare” sind nur drei Beispiele.

 

Nicht zuletzt der Film bietet eine Fülle an anschaulichen Beispielen, etwa Mario Monicellis I soliti ignoti oder Gianni Amelios Ladro di bambini. Aber auch das Internet oder Werbespots bieten audiovisuelle Materialien, die in den Italienischunterricht zu den Themen Familie und Verwandtschaft integriert werden können.

 

Wie die unten angeführte Zusammenstellung möglicher Beispiele vor Augen führt, bietet sich im Italienischunterricht eine nahezu unbegrenzte Themenauswahl an. Die Leitung der Sektion legt besonderen Wert auf die Ausgewogenheit zwischen didaktischen und methodischen Vorschlägen.

 

- Sprachliche und kommunikative Aspekte

-Lernen in Wortfamilien (Perspektiven und Herausforderungen bei der Wortschatzarbeit, u.a. Wörternetze)

-Sprachenvernetzendes Lernen im Italienischunterricht / Mehrsprachigkeitsdidaktik: ,die romanische Sprachfamilie‘

-Sprichwörter

- Literarische und mediale Aspekte

-Familienstrukturen und Beziehungen im aktuellen italienischen Jugendroman (z.B. Ammaniti, Io e te, Giulia Carcasi, Ma le stelle quante sono)

-Die italienische Familie im Wandel, dargestellt in aktuellen italienischen Filmen (z.B. Mine vaganti, Genitori & figli – agitare bene prima dell’uso)

-Schwerpunkt canzoni: das Bild der Mutter, des Vaters, des Onkels, i giovani, Emigration: z.B. Masini, “Caro babbo”, Ramazzotti, “ Ciao Pà”, 883, “S’inkazza”, Jovanotti, “I giovani”, Bennato, ”Viva la mamma”, Morandi, “Fatti mandare dalla mamma a prendere il latte”, das Volkslied “Mamma dammi cento lire che in America voglio andare”, Francesco Guccinis Album Amerigo, Francesco De Gregoris Album Titanic, etc..

-Filme, Werbespots und Videoclips als audiovisuelle Medien im FSU

- Inter- und transkulturelle Aspekte

-Die Darstellung der Familie in Lehrwerken des Italienischen – Mythos, Stereotype und Realitäten

-Organisation von Klassen- oder Schüleraustauschfahrten zwischen D/CH/A und Italien, Integration von Mailkontakten, Internetpräsentationen, sozialen Netzwerken, Chat- und sms-Sprache in den FSU.

 

2. Sprachwissenschaftliche Sektion:

In den Beiträgen könnten Aspekte der historischen und strukturellen Entwicklung des Italienischen selbst, aber auch der italianistischen Sprachwissenschaft als Disziplin thematisiert werden:

- Grammatikalisierung und Lexikalisierung

-Kontinuität, Kontiguität und Similarität im sprachlichen Wandel: Phänomene, Verfahren und Faktoren des Wandels vor dem Hintergrund historisch-genetischer, typologischer, paradigmatischer und struktureller Ähnlichkeits- und Oppositionsbeziehungen

-Latein und Italienisch: Kontinuität und Wandel

- Wechselbeziehungen von externer und interner Sprachgeschichte

- historischer Sprachkontakt: Kontaktbedingungen und -phänomene

- philologische/philologiegeschichtliche Fragestellungen: Text- und Diskursfiliationen

- Disziplingeschichte

-Sprachreflexion/-wissenschaft in Italien im europäischen historischen Kontext

-methodische und theoretische Beziehungen und Bezüge der italienischen Sprachwissenschaft in ihrer Geschichte

 

3. Literaturwissenschaftliche Sektion:

- Literaturgeschichtliche/thematische Aspekte

-Familienverbände und Familienfehden in mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Literatur

-Genealogien als Sinnstiftung in Mittelalter und Renaissance

-Bruderzwist, Inzest und Vatermord – Bruchstellen des Familienverbands

-Klassische Tragödie und Zerstörung der Familienharmonie

-Brüderlichkeit als gesellschaftliches und humanitäres Prinzip im 18. Jahrhundert

-Genealogien des Sentimentalen in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts

-Italienische Familienromane vom 19. bis 21.Jahrhundert (z.B. De Roberto, I Viceré; N. Ginzburg; U. Riccarelli, Il dolore perfetto; A. Penacchi, Canale Mussolini, etc.)

- Individuum und Verwandtschaft/Familie

-Familie vs. Staat, etwa im Mafia-Roman oder im Giallo

-Das Ende von genealogie, famiglie, parentele in der Postmoderne?

- Gattungstheorien und genetische Metaphorik

-Poetologische Genealogien und Gattungsverwandtschaften

-Emergenzen, Konjunkturen und Zusammenbrüche literarischer Gattungen

 

Themenvorschläge mit aussagekräftigen Exposés (insgesamt max. eine Seite, ggf. mit Bibliographie, italienisch oder deutsch) senden Sie bitte bis zum 31.7.2013 an:

 

Prof. Dr. Marc Föcking

Institut für Romanistik

Universität Hamburg

Von Melle-Park 6

20146 Hamburg

Mail: Marc.Foecking@uni-hamburg.de

Von:  Marc Föcking

Publiziert von: cf