Aufruf gegen die Verschiebung der Semesterzeiten in Deutschland
- Ort: Konstanz
- Disziplinen: Weitere Teilbereiche
- Sprachen: Sprachenübergreifend
Auf Betreiben der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) sollen die
Semesterzeiten an deutschen Hochschulen von 2011 an vorverlegt werden
(vgl. Pressemitteilung vom 4. Mai 2007). Das neue Herbstsemester soll
Anfang September statt Mitte Oktober beginnen, das Sommersemester Anfang
März statt Mitte April. Die HRK verfolgt damit nach eigenen Worten das
Ziel, durch Anpassung der Semestertaktung an die Mehrzahl der
Nachbarländer einen Beitrag zur europäischen "Harmonisierung" zu leisten.
Nach ihren Angaben werde dadurch die Mobilität auf internationaler Ebene
erleichtert. Studierenden, die aus dem Ausland kommen oder ins Ausland
gehen wollen, habe das späte deutsche Semester bisher den Wechsel
erschwert.
Allerdings nennt die HRK keine Zahlen, um die Dringlichkeit einer so weit
reichenden Initiative zu untermauern. Angesichts der vielen
hochschulplanerischen Maßnahmen der letzten Jahre, die auf schwankender
Grundlage beschlossen wurden und ihr Ziel nicht immer erreicht haben,
hätte dies eigentlich selbstverständlich sein müssen. Es ist anzunehmen,
dass bei flexibler Handhabung der derzeit geltenden Regelungen die Anzahl
von tatsächlichen "Härtefällen", die bei einem Hochschulwechsel innerhalb
Europas entstehen, gering ist.
Zudem wurde die Initiative der HRK (einmal mehr) ohne Konsultation der
betroffenen Hochschullehrer beschlossen, die diese Umstellung am Ende
werden organisieren müssen.
Die Unterzeichner dieses Aufrufs weisen auf zwei gravierende Folgen hin,
die eine Vorverlegung der Semesterzeiten haben würde:
1) In einigen Bundesländern würde dadurch die Bewerbungsfrist von
Schulabgängern so verknappt, dass sie sich mitten in den Vorbereitungen
zum Abitur auf der Grundlage ihres letzten Halbjahreszeugnisses um einen
Studienplatz kümmern müssten. Dies käme einer schleichenden Entwertung des
Abiturs gleich und wäre angesichts der Bedeutung der Studienplatzwahl
kaum zumutbar. Auch die hochschuleigenen Zulassungsverfahren würden
dadurch unter zusätzlichen Zeitdruck geraten.
2) Die Angleichung der deutschen Semestertaktung würde den Länder
übergreifenden Austausch zwischen Forschern nicht fördern, sondern
erschweren. Für die Internationalisierung der deutschen Hochschulen ist
es bisher gerade von Vorteil, dass der akademische Kalender in
Deutschland gegenüber anderen Ländern zeitversetzt ist. Dadurch entstehen
im Frühjahr und Herbst Korridore von mehreren Wochen, die sich ideal für
die Einladung von Gastwissenschaftlern eignen. So können deutsche
Wissenschaftler im März und September zu Gastaufenthalten etwa in die USA,
nach England oder Frankreich reisen, ohne ihre Lehrverpflichtungen zu
Hause zu beeinträchtigen. Umgekehrt kommen Professoren und Doktoranden
aus diesen Ländern vorzugsweise im Juni oder Juli nach Deutschland, d.h.
in ihrer eigenen vorlesungsfreien Zeit, halten hier Gastseminare ab oder
partizipieren auf andere Weise am akademischen Leben. Auf diesem einfachen
Prinzip beruht eine Vielzahl von interuniversitären Austauschprogrammen,
die mit großem Engagement in Gang gebracht und durch Steuergelder mit
beträchtlichen Summen gefördert wurden.
Als Forschungsstandort würde Deutschland durch die von der HRK geforderte
Änderung Schaden erleiden. Die Mobilität von Hochschullehrern und
Nachwuchswissenschaftlern würde empfindlich vermindert, erfolgreiche
bestehende Austauschprogramme würden behindert oder unmöglich gemacht.
Die Unterzeichner dieses Aufrufs appellieren an die
Hochschulrektorenkonferenz und an die Verantwortlichen in den Ländern und
Universitäten, die Pläne zur Angleichung der deutschen Semesterzeiten
nicht weiter zu verfolgen.
Verantwortlicher Initiator des Aufrufs: Prof. Dr. Albrecht Koschorke,
Fachbereich Literaturwissenschaft, Universität Konstanz, 78457 Konstanz
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Publiziert von: jd