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16.03.2010

CfP: Eine "Weltsprache der Poesie"? – 1. Göttinger komparatistische Graduiertenkonferenz zur internationalen Lyrik seit 1960

  • Ort: Göttingen
  • Beginn: 30.09.10
  • Ende: 02.10.10
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft
  • Sprachen: Sprachenübergreifend
  • Frist: 31.05.10

Georg-August-Universität Göttingen - Zentrum für komparatistische Studien

 

Vor nunmehr fünfzig Jahren, im Juni 1960, erschien Hans Magnus Enzensbergers Museum der modernen Poesie: Der Dichter verstand seine Sammlung von Texten, mit der er den Begriff der „Weltsprache der Poesie“ prägte, nicht als Anthologie, sondern als Chrestomathie, als Schreibanregung für seine deutschen Kollegen. Gleichwohl war Enzensbergers Zusammenstellung, wie der Herausgeber selbst später freimütig eingeräumt hat, von einem „ahnungslosen Eurozentrismus“ geprägt. „Deshalb fehlen in diesem Buch die Chinesen, die Araber, die Inder, die Japaner, von Dutzenden anderer Zonen der Poesie zu schweigen. Die Idee der Weltliteratur hat dadurch eine Verkürzung erlitten, die heute, in einem postkolonialen Zeitalter, ziemlich merkwürdig anmutet.“ Spätere Anthologisten haben sich daher, chronologisch an Enzensbergers Museum anknüpfend, bemüht, die „Weltsprache der Poesie“ umfassender oder zumindest mit anderen Schwerpunktsetzungen abzubilden. Zum Teil halten sie, wie etwa Harald Hartung, an der Idee einer spezifisch modernen „Weltsprache der Poesie“ fest, zum Teil erklären sie diese, wie Joachim Sartorius, zur bloßen Fiktion. In seiner 1991 auf die Reise geschickten Luftfracht konstatiert Harald Hartung angesichts der deutlich erkennbaren Ausdifferenzierung des weltweiten poetischen Diskurses: „Der Prozeß der modernen Poesie ist in den inzwischen abgelaufenen drei Jahrzehnten weitergegangen; die Impulse sind nicht erlahmt, sondern haben sich erweitert, wohl auch verstreut: neue Autoren, neue Literaturen sind in den poetischen Diskurs eingetreten; und natürlich fragt es sich, wie er zu resümieren und bilanzieren wäre.“

 

Fünfzig Jahre nach dem Erscheinen von Enzensbergers Museum, der vielleicht einflussreichsten Anthologie internationaler Lyrik der Vor-, Zwischen- und (Welt-) Kriegszeiten des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, nimmt die Graduiertenkonferenz Hartungs Frage zum Ausgangspunkt einer Bestandsaufnahme aus komparatistischer Perspektive. Sie fragt, ob und wie sich im Anschluss an das Erscheinungsdatum von Enzensbergers Museum eine Geschichte der internationalen Lyrik ab 1960 entwerfen lässt, und unternimmt damit einen ersten Versuch der Bilanzierung – auch im Hinblick auf ein mögliches Resümee.

 

Ausgehend von diesen Überlegungen bitten wir um Vorschläge für thematisch einschlägige, komparatistisch angelegte Vorträge, die sich zum Beispiel mit folgenden Fragestellungen auseinander setzen:

 

1. Literaturtheoretische Aspekte: Welche Begrifflichkeit ist geeignet, eine mögliche „Weltsprache der Poesie“ seit 1960 zu erfassen? Welche Konzepte der Intertextualitätstheorie, der Übersetzungswissenschaften, der Literatursoziologie etc. können hierzu herangezogen werden? Welche lyriktheoretischen Grundbegriffe könnten und sollten zu deren Erfassung auf den Prüfstand gestellt, modifiziert oder gar erweitert werden?

2. Literaturgeschichtliche Aspekte: Ist es überhaupt sinnvoll, heute noch von einer „Weltsprache der Poesie“ zu reden? Welche Argumente sprechen dafür und wie kann eine solche lyrische Kommunikation über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg adäquat beschrieben werden? Lassen sich andernfalls alternative Ordnungskriterien benennen, die zur Beschreibung der internationalen Lyrikproduktion von 1960 bis heute herangezogen werden können?

3. Literatursoziologische und medienkomparatistische Aspekte: Welche außerliterarischen Faktoren beeinflussen die Distribution lyrischer Texte über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg (z.B. in Form von Anthologisierung, Übersetzung, Distribution im WorldWideWeb, Vergabepraxis bei Literaturpreisen etc.)? Wie wirken diese Faktoren sich gegebenenfalls kanonbildend im Hinblick auf eine „Weltsprache der Poesie“ aus?

 

Die oben genannten Problemzusammenhänge können auch anhand von besonders signifikanten Fallstudien erörtert werden.

 

Die Tagung versteht sich als komparatistische Nachwuchswissenschaftlertagung und richtet sich in erster Linie an Graduierte und Postdoktoranden aller Philologien. Interessierte fortgeschrittene Studierende sind ebenfalls willkommen. Vorträge können auf deutsch oder englisch gehalten werden. Die Tagung wird in Kooperation mit dem Zentrum für komparatistische Studien der Georg August-Universität Göttingen ausgerichtet von Alena Diedrich, Anna Fenner, Claudia Hillebrandt und Stefanie Preuß. Sie findet vom 30.09. bis 02.10.2010 in Göttingen statt. Als Keynote-Speaker werden Professor Dr. Simone Winko, Professor Dr. Heinrich Detering und Professor Dr. Dieter Lamping vortragen.

 

Abstracts für einen möglichen Vortrag in deutscher oder englischer Sprache (bis zu 300 Wörter) im pdf- oder doc-Format und eine kurze Bio-Bibliographie schicken Sie bitte bis zum 31.05.2010 an:

Claudia.hillebrandt@phil.uni-goettingen.de

Stefanie.preuss@phil.uni-goettingen.de

 

Die Vorträge sollten eine Länge von 30 Minuten nicht überschreiten. Es wird eine Tagungsgebühr in Höhe von 20 € erhoben. Fahrt- und Unterbringungskosten können nicht übernommen werden. Eine Publikation ausgewählter Beiträge im Anschluss an die Tagung wird unter Vorbehalt der Bewilligung der Finanzierung angestrebt.

 

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Eine „Weltsprache der Poesie”? – A “world language of poetry”? 1. Göttingen Graduate Conference on International Poetry since 1960 (30.09.-02.10.2010)

 

Fifty years ago, in June 1960, German poet Hans Magnus Enzensberger published his Museum der modernen Poesie: the author saw his collection of texts, which participated in a world language of poetry, not as an anthology but rather as a chrestomathy, a poetic impulse for his German colleagues.

In this effort Enzensberger was far ahead of his time; therefore the Museum and its impact on later generations of poets cannot be appreciated enough. Nevertheless the collection was guided by a naïve eurocentrism, as Enzensberger himself later openly confessed.

Later anthologists therefore tried to depict the world language of poetry in a broader view or with a different focus, but still following Enzensberger’s chronological order. Some of them, like Harald Hartung, stick to the idea of a particular modernist world language of poetry; others like Joachim Sartorius call this a mere fiction. In Luftfracht, published in 1991, Harald Hartung addresses the obvious differentiation of the worldwide poetic discourse and observes that the process of modern poetry had moved on during the three decades since Enzensberger’s Museum, that the impulses had not stagnated but rather differentiated and that new authors and new literatures had entered the poetic discourse. In a conclusion he poses the question of how to resume and take stock of this development.

Fifty years after Enzensberger’s Museum, probably the most influential anthology of international poetry of the pre-, inter- and postwar-times of the 20th century in German culture, the graduate conference takes up Harald Hartung’s question to illuminate the status quo from a comparative point of view. The question is if and how a history of international poetry after Enzensberger’s Museum, i.e. after 1960, can be drafted. Thus, the conference wants to take a first step in direction of taking stock of the developments – maybe even in direction of a possible résumé.

 

Starting from these ideas, we invite proposals for talks with a comparative approach. These may cover, but are not limited to, questions as follows:

 

1. Theoretical aspects: What kind of terminology is capable of grasping a possible world language of poetry after 1960? Which concepts of intertextuality, of translation theories, of literary sociology etc. could be made productive for this purpose? Which poetical terminology should be reviewed, modified or broadened?

2. Aspects of literary history: Does it make sense to speak of a world language of poetry nowadays? What kind of arguments support this and how can this kind of literary communication be described adequately, also across cultural and linguistic boundaries? Otherwise, could alternative criteria be useful for the description of the international production of poetry after 1960?

3. Aspects of literary sociology and media comparison: What kind of extraliterary factors can influence the distribution of poetic texts across boundaries of languages and cultures (e.g. anthologies, translations, the world wide web, literary awards etc.)? In what ways do these factors have a canonizing impact on the world language of poetry?

 

The above questions and problems can also be addressed in significant case studies.

 

The conference is conceived for graduates and post-doctoral researchers from all philologies; advanced students interested in the particular field of research are also welcome. The conference is organized in cooperation with the department of comparative literary studies at the Georg-August-University Göttingen by Alena Diedrich, Anna Fenner, Claudia Hillebrandt and Stefanie Preuß and will take place in Göttingen from September 30th to October 2nd 2010. Keynote talks will be given by Prof. Dr. Heinrich Detering (Göttingen), Prof. Dr. Dieter Lamping (Mainz) and Prof. Dr. Simone Winko (Göttingen).

 

Proposals (not more than 300 words) for 30-minute-talks in German or English should be send to one of the following e-mail-addresses by May 31st 2010:

Claudia.hillebrandt@phil.uni-goettingen.de

Stefanie.preuss@phil.uni-goettingen.de

Please also add a short bio-bibliography.

A conference fee of €20 will be imposed to cover expenses; travel and accommodation expenses of participants cannot be covered. The publication of selected conference articles is planned, provided that funding is available.

 

Von:  Claudia Hillebrandt

Publiziert von: Kai Nonnenmacher