CfP: XXVII. Forum Junge Romanistik Regensburg 2011: "Minderheit(en): Fremd? Anders? Gleich?"
- Ort: Regensburg
- Beginn: 15.06.11
- Ende: 18.06.11
- Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft, Sprachpraxis, Didaktik
- Sprachen: Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Weitere romanische Sprachen, Sprachenübergreifend
- Frist: 15.01.11
XXVII. Forum Junge Romanistik
Minderheit(en): Fremd? Anders? Gleich?
Universität Regensburg
15.-18. Juni 2011
www.romanistik.de/mittelbau/fjr-regensburg-2011
und
db.romanistik.de/for/496-Forum_Junge_Romanistik_2011
Im Spannungsfeld zwischen Fremdem und Eigenem, Anpassung und Abgrenzung, spielen Minderheiten im gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskurs aktuell eine große Rolle. Dies zeigt sich nicht nur an zahlreichen EU-Studien zu Minderheiten, sondern auch an konkreten Projekten im Hochschulbereich (Diversity management). Für die Romania sind Minderheiten sowohl ein historisches als auch ein gegenwärtiges Phänomen: beispielsweise die arabische Präsenz in Italien im Mittelalter, die Basken in Frankreich und Spanien oder die jüdischen Diasporagemeinschaften bis in die Gegenwart. Zudem sind romanische Länder geschichtlicher und derzeitiger Ausgangs- und Zielpunkt für Migrationsbewegungen innerhalb und außerhalb Europas, was zu einer ausgeprägten Multiethnizität und Vielsprachigkeit führte.
Dabei ist der Begriff der Minderheit(en) äußerst heterogen und umfasst primär religiöse, ethnische und sprachliche Gruppen, kann aber auch auf andere sich abgrenzende und/oder ausgegrenzte soziale Gemeinschaften erweitert werden. Gesellschaftlich sich manifestierende Phänomene wie Assimilation, Akkulturation, Diskriminierung, Exklusion und Verfolgung, gezielte Förderung von Minderheitenkulturen, -sprachen, und -literaturen, können dabei als Ansatz für wissenschaftliche Forschung dienen.
Sprachwissenschaft
In der Romanistischen Sprachwissenschaft ist der gesellschaftlich gefasste Terminus ‚Minderheit(en)’ an sprachliche Aspekte gebunden, die v.a. aus der synchronen und diachronen Forschungsperspektive der Varietäten-, Kontakt- und Soziolinguistik betrachtet werden können.
Ansatzpunkte der Varietäten- und Soziolinguistik
Unter soziolinguistisches/varietätenlinguistisches Forschungsinteresse fallen oft nicht strikt abgrenzbare sprachinterne und sprachexterne Fragestellungen. Zu ersteren gehört die strukturelle Beschreibung von Minderheiten- und Kleinsprachen, Sprachinseln, Diaspora- und Regionalsprachen, die sowohl die Erstbeschreibung der Idiome als auch die Diskussion sprachinterner Prozesse umfasst, die sich aus dem Kontakt bzw. Konflikt zwischen Sprachen und/oder Varietäten ergibt.
Die Analyse struktureller Prozesse kann aber nicht von der gesellschaftlichen Einbettung der Idiome abgelöst betrachtet werden. Denn das Bestehen und die Entwicklung von Idiomen ist im Wesentlichen gesellschaftlich bedingt: auf die Sprecher bezogen, bedeutet dies die Ausprägung eines Sprachbewusstseins, einer Sprachidentität und Sprachloyalität; im Hinblick auf das betroffene Idiom impliziert dies, die Folgen sprachpolitischer – auch institutionalisierter – Diskurse zu tragen, die in Sprachkontakt- und Sprachkonfliktsituationen sowohl den Sprachwechsel/Sprachtod als auch die Sprachrevitalisierung und den sprachlichen Ausbau (Standardisierung/Kodifizierung) in unterschiedlicher Weise beeinflussen.
Kontaktlinguistische Fragestellungen
Die Untersuchung von Minderheitensprachen eröffnet zudem ein weites Feld für kontaktlinguistische Fragestellungen in multilingualen Kontexten oder im Rahmen von Zweit- oder Drittspracherwerbssituationen: Dazu gehört die Analyse von Interferenzphänomenen in allen Bereichen der Sprache wie Code-Switching, Code-Mixing auf phonetisch/phonologischer, morphosyntaktischer, lexikalischer und pragmatischer Ebene oder Koineisierungs- und Ausgleichseffekte. Im Rahmen der Kontaktlinguistik müssen dabei nicht nur sprachstrukturelle interferenzbegünstigende Faktoren (z.B. Markiertheit, typologische Nähe), sondern auch soziale d.h. sprachexterne Größen wie die Sprechereinstellungen zu den betroffenen Idiomen berücksichtigt werden.
Mögliche Anknüpfungspunkte:
– Wie können Minderheitensprachen definiert werden?
– Welche Problematik ergibt sich aus Situationen individueller und gesellschaftlicher Zwei- und Mehrsprachigkeit, welche Rolle spielen Lernervarietäten in Spracherwerbssituationen?
– Wie können Sprachkontaktphänomene wie u.a. Code-switching, Code-mixing auf phonetisch/phonologischer, morphosyntaktischer, lexikalischer und pragmatischer Ebene beschrieben werden? Sind Koineisierungs- und Ausgleichsprozesse beobachtbar? – Wie sind beide Bereiche auch diachron zu beschreiben?
– Kann Sprachwechsel, Sprachentod entgegengewirkt werden? Wie sehen Revitalisierungsmodelle aus?
– Wie wird Sprachstandardisierung im sprachpolitischen Diskurs thematisiert und umgesetzt?
– Wie äußern sich Sprachstatus und -prestige bei Minderheitensprachen?
– Wie spiegeln sich Sprachidentität und -loyalität im Bewusstsein und in der Sprachwirklichkeit der Sprecher?
Literatur- und Kulturwissenschaft
Literatur hat eine besondere Bedeutung für das Verständnis von kultureller Differenz und interkulturellen Konstellationen, nicht nur weil heutzutage Minderheit(en)literaturen infolge von Globalisierung und Migration einen immer wichtigeren Stellenwert einnehmen, sondern auch, weil die literarische Auseinandersetzung mit Fremdem und Eigenem, Anpassung und Abgrenzung – sei es auf der Produktions- oder Rezeptionsebene – „Reflexionsräume“ öffnet (Hofmann), die weit über die gesellschaftliche und soziohistorische Relevanz der Texte hinausgehen. Unterschiedliche Alteritätserfahrungen, die aus einem Dialog von Mehrheit und Minderheit resultieren, lassen einen Zwischenraum entstehen, der sowohl literarisch produktiv als auch identitätskonstituierend wirken kann, und Forschung aus literaturwissenschaftlicher und/oder kulturwissenschaftlicher Hinsicht ermöglicht. Dabei spielen die versuchten Typologisierungen wie „Minderheit(en)literatur“, „Migrantenliteratur“, „Migrationsliteratur“, „Diasporaliteratur“, „Exilliteratur“, „interkulturelle Literatur“, „transkulturelle Literatur“, „kleine Literaturen“ (Deleuze/Guattari), „Literatur ohne festen Wohnsitz“ (Ette) oder „Literatur in Bewegung“ (Ette) nicht nur für die literaturwissenschaftliche Analyse eine wichtige Rolle. Terminologische, poetologische sowie gattungstheoretische Fragestellungen können auch für eine Herangehensweise aus der Perspektive der Kulturwissenschaft von Bedeutung sein. Begriffe wie „Interkulturalität“, „Transkulturalität“, „Hybridität“ oder „Third Space“ sind für die Frage nach einer Poetik der Minderheit, nach kulturspezifischen literarischen Erzählmustern und -traditionen, nach der Rolle der Literatur als Kulturvermittlung von großer Relevanz.
Es eröffnen sich damit für die Literatur- und Kulturwissenschaft unter anderem folgende Anknüpfungspunkte:
– Können wiederkehrende Thematiken festgestellt werden (Inklusion und Exklusion, Diskriminierung und Verfolgung, Heimat, Gewalt, Trauma und Verfolgung etc.)?
– Kann die idealisierende Verklärung oder kritische Abgrenzung festgestellt werden (Kohäsion, Zusammenleben, Miteinanderleben etc.)?
– Wird Identität als naturgegeben oder als Wahlmöglichkeit wahrgenommen (Integrations-möglichkeiten in die Mehrheitsgesellschaft, Selbstdefinition vs. Fremddefinition als Minderheit, Rekonstruktion von Identität)?
– Erscheint die Zugehörigkeit zu einer kollektiven Identität erwünscht (Gemeinsame Erinnerungsorte von Mehrheit und Minderheit, Assoziierung/Distanzierung verschiedener Minderheiten untereinander)?
– Wie ist der Umgang mit Auto- und Heterostereotypen? (Repräsentation, (De-) konstruktion, Exotik, Fremdheit, Marginalität)
Fachdidaktik
Auch in der romanistischen Fachdidaktik ist das Thema sprachliche und kulturelle Minderheit(en) aktueller denn je: Schulklassen aller Schularten werden multikultureller und Fremdheitserlebnisse, sowie die Relativierung und das Nebeneinander nationaler Selbst- und Fremdbilder gehören zum Erfahrungsschatz einer immer größeren Anzahl von Schülern. Die Multikulturalität der eigenen aber auch der Zielkultur(en) erfordert den beständigen Ausbau der interkulturellen Lern- und Handlungskompetenz, die durch die Schule aktiv angeregt und unterstützt werden soll.
Das Thema Minderheit(en) bietet daher für die Fachdidaktik multiple Anknüpfungspunkte, wie beispielsweise folgende Fragen:
– Was charakterisiert den historischen Umgang mit Minderheiten im Unterricht (von der Ausländerpädagogik & -didaktik über die Interkulturelle Pädagogik/Didaktik zu einer Pädagogik & Didaktik der Vielfalt)?
– Wie kann der fachsprachliche Unterricht respektvollen und reflexiven Umgang mit dem kulturell Fremden und damit einen Beitrag bei der Erziehung zu Toleranz ermöglichen?
– Können autobiographische Texte als Unterrichtsmaterial die Auseinandersetzung mit Fremdkulturen fördern?
– Wie erreicht man einen sensibilisierten Umgang mit Diversität von Registern, Stilen und Akzenten der Zielsprache ohne Frustration auszulösen?
– Kann die mediale Präsenz gesellschaftlicher Problematiken (z.B. illegale Einwanderung, Religionsfrage, Ghettoisierung) durch positive multikulturelle Diskurse (Bereichung der Kulturszene) überwunden werden?
– Wie kann die vernachlässigte Rolle sprachlicher und kultureller Pluralität (z.B. französischer Regionen, Kolonialisierung, Migration, Frankophonie oder deutsch-französische Beziehungen) im landeskundlichen Unterricht - auch aus einer historischen Perspektive - explizit zum Gegenstand von Unterricht gemacht werden?
Abstracts im Umfang von max. 300 Wörtern sowie Vortragstitel, Kontaktdaten und eine kurze Biobibliographie können bis zum 15. Januar 2011 an fjr(at)romanistik.de eingereicht werden. Vortragssprachen sind Deutsch und die romanischen Sprachen.
Publiziert von: Kai Nonnenmacher