Tagungsbericht XXVI. Forum Junge Romanistik "Repräsentationsformen von Wissen"
- Ort: Bochum
- Beginn: 26.05.10
- Ende: 29.05.10
- Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft, Sprachpraxis, Didaktik
- Sprachen: Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Weitere romanische Sprachen
Das XXVI. Forum Junge Romanistik, das vom 26.-29. Mai 2010 an der Ruhr-Universität Bochum stattfand, machte es sich zur Aufgabe, den „Repräsentationsformen von Wissen“ nachzugehen und dabei die grundlegende Funktion der Darstellung und ihrer Techniken, Verfahren und Praktiken für die Herausbildung von Wissensinhalten zu reflektieren. In den 11 Sektionen und insgesamt 31 Vorträgen wurden das Ineinandergreifen von Sprache und Wissensproduktion, die vielfältigen Transferprozesse zwischen Literatur und Wissenschaft sowie einzelne Formen der Darstellung und Herstellung von Wissen beleuchtet.
Die einzelnen thematischen Sektionen, die sich von verschiedenen Richtungen und auf unterschiedlichen Konkretionsebenen dem Thema näherten, umfassten didaktische, sprach- und literaturwissenschaftliche Ansätze, ebenso wie kulturwissenschaftliche und medienwissenschaftliche Fragestellungen. Dabei traten hispanistische, italianistische, französistische und nicht zuletzt komparatistische und medienwissenschaftliche Ansätze in einen Dialog.
26.05.10
Mit der Sektion „Idiomatik und Metaphorik“ (Moderation: Uta Friederich), die den Auftakt der Tagung bildete, wurde die Frage nach den Repräsentationsformen von Wissen gleichsam auf seiner elementarsten Ebene betrachtet, sind doch Metaphern im alltäglichen Denken und Handeln allgegenwärtig und prägen unseren Zugang zur Welt. Von dieser Überlegung ging auch der Vortrag von Corinna Koch (Bochum) aus, der das didaktische Potenzial von Metaphern im Fremdsprachunterricht untersuchte und dabei sowohl auf der Ebene der Sprachrezeption sowie auf der Ebene der Sprachproduktion Möglichkeiten eines zusätzlichen landeskundlichen Wissens und einer größeren Sprechkompetenz und Sprachreflexion diskutierte. Christine Konecny (Innsbruck) ging in ihrem Vortrag „Von ‚eingepflanzten’ Nägel zu ‚hinuntergeschluckten’ Tränen und ‚jungfräulichen’ DVDs“ der Konzeptualisierung von Wissen in referentiell äquivalenten deutschen und italienischen Kollokationen nach und gab einen Überblick über die methodischen Vorüberlegungen, die zur zweckmäßigen lexikographischen Aufbereitung eines zweisprachigen Kollokationswörterbuchs und einer Datenbank notwendig sind.
Die nachfolgende Sektion knüpfte auf ganz augenfällige Weise an das übergreifende Thema der Tagung an und beschäftigte sich mit „Wissenschaftlerfiguren“ (Moderation: Katja Hettich) in der Literatur. Dabei hob bereits der erste Vortrag von Felix Schmelzer (Münster) den erkenntnisgenerierenden Anteil der Ästhetik in wissenschaftlichem Denken hervor und beschrieb die Transformation von Weltbildern und Wissensordnungen als unmittelbare Folge der Veränderung ästhetischer Prämissen. Anhand der umwälzenden kosmologischen Erkenntnisse von Kepler, Galilei und Kopernikus wurde gezeigt, dass gerade die Anwendung künstlerischer Verfahren, etwa die Vorstellungen geometrischer Harmonie, den wissenschaftlichen Fortschritt maßgeblich mitbestimmen kann. Einer ähnlichen Idee folgend stellte Christine Tobler (Tübingen) in ihrem Vortrag „Le récit de la science“ das ästhetische Potenzial des wissenschaftlichen Diskurses anhand von Flauberts Roman Bouvard et Pécuchet heraus. Dabei steht der ebenso enzyklopädische wie willkürliche Wissensdurst der beiden Romanfiguren einer Hypertrophie des literarischen Diskurses gegenüber, durch den die reine Akkumulation von Wissen wieder problematisiert wird. Johanna Koehn (Jena) beschäftigte sich unter dem Stichwort „Literarische Aufklärungsforschung“ mit dem historischen Roman als fiktionaler Gattung. Die Romane Le château des songes von Michel Jouvet und La sècte des égoistes von Eric-Emmanuel Schmitt wurden auf vier verschiedenen Ebenen (materiell, thematisch, formal, reflexiv) auf die Verschränkung von Literatur und Wissen hin untersucht. In allen drei Vorträgen wurde die inhaltliche Beschäftigung der Literatur mit wissenschaftlichen Inhalten über die Darstellung einer Wissenschaftlerfigur an eine poetologische Reflexion über wissenschaftliche Schreibweisen und Darstellungsformen verknüpft.
Im Anschluss an die Sektionen wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Forum Junge Romanistik vom Geschäftsführenden Direktor des Romanischen Seminars, Prof. Dr. David Nelting, vom Altdekan Prof. Dr. Manfred Eikelmann sowie von der Hochschulattachée (NRW und Hessen) und Direktorin des Robert-Schuman-Instituts in Bonn, Frau Dr. Catherine Robert begrüßt. Der erste Tagungstag wurde mit einem Büffet beendet, bei dem es bereits erste Gelegenheit gab, sich bei einem Glas Wein untereinander kennenzulernen und auszutauschen.
27.05.10
Mit einer Sektion über die „Narratologische Herstellung von Wissen und Nicht-Wissen“ (Moderation: Annika Nickenig) begann der zweite Tag des Forum Junge Romanistik. Lena Seauve (Berlin) stellte mit ihrem Vortrag über „Wissen als Erzählornament in Jean Potockis Manuscrit trouvé à saragosse“ einen ‚roman à tiroir’ vor, bei dem die abenteuerliche Lebensgeschichte des Protagonisten Alphonse van Worden mit einer Vielzahl weiterer, mehrfach verschachtelter Erzählungen verknüpft wird, in denen ein sehr heterogenes Wissen über Menschen, Sitten und Wissenschaften des ausgehenden 18. Jahrhunderts enthalten ist. Mit dem Begriff des Ornaments bezeichnete Seauve das poetische Verfahren Potockis, mit dem die aufgeführten Wissensdiskurse nicht nur rhythmisiert werden, sondern auch als selbstreflexive Versatzstücke fungieren. Eine ähnlich bedeutende Rolle spielt das Erzählverfahren bei der Organisation von Wissen in den Werken Jorge Borges’, was Gerardo Alvarez (Bochum) in seinem Vortrag „Borges y la incapacidad de saber“ anhand einiger kurzer Erzählungen, darunter „El idioma analítico de John Wilkins“, darlegte. Borges zeigt in seinen Texten immer wieder die Unmöglichkeit von Wissen auf, gerade indem er wissenschaftliche Darstellungsweisen (Anordnungen, Kategorisierungen, Archivierungen, etc.) vorführt und letztlich in Willkür umschlagen lässt. Indra Runge (Bremen) schließlich beschäftigte sich mit der narratologischen Hervorbringung von Nicht-Wissen aus einer medienwissenschaftlichen Perspektive anhand einer Analyse von Amenábars Film Abre los ojos. Mit dem charakteristischen ‚plot twist’, einem grundsätzlichen Zweifel an der Identität der Figuren und dem Einsatz unzuverlässigen Erzählens beschrieb Runge Merkmale des ‚Mindfuck Movie’, der dem Zuschauer Rätsel aufgibt und ihn zwingt, die eigenen Sehgewohnheiten in Frage zu stellen. In allen drei Vorträgen wurde deutlich, dass die narratologische Modellierung von Wissen bedeutungskonstitutiv sein kann und dass oftmals gerade das offenkundige Nicht-Wissen, die Wissens-Lücke oder die Bruchstelle die Hervorbringung eines anderen, selbstreflexiven Wissens ermöglicht.
In der nachfolgenden Sektion „Wissensvermittlung durch Literatur und Sprache“ (Moderation: Victoria del Valle) kamen fachdidaktische Forschungsansätze zur Diskussion. Robert Mintchev (Dresden) stellte die Frage nach der geeigneten Auswahl von literarischen Werken für den italienischen und französischen Fremdsprachenunterricht und stellte dabei repräsentative klassische und zeitgenössische Texte für verschiedene Niveaustufen einander gegenüber. Bei der vergleichenden Betrachtung von Lehrplänen votierte Mintchev dabei für eine ausgewogene Berücksichtung zweier Faktoren, die Vermittlung eines literarischen Kanons in Hinblick auf einen standardisierten, kompetenzorientierten Unterricht wie die praktische Kommunikationsfähigkeit. Aline Willems (Trier) untersuchte in ihrem Vortrag „Wie deutsche Jünglinge sich zu beredten Franzosen wandeln“ Lehrwerke der französischen Sprache aus dem 19. und beginnenden 20. Jh. im deutschsprachigen Raum. Vor dem historischen Hintergrund der deutsch-französischen Beziehungen wurde gezeigt, wie stark der sozialgesellschaftliche Kontext auch die Inhalte und Formen interkultureller Sprach- und Wissensvermittlung beeinflusst. Anika Fiebich (Bochum) schließlich präsentierte einen Vortrag, der an der Schnittstelle von Sprachwissenschaft und Psycholinguistik verortet war und die Repräsentationsform oralsprachlicher Symbole in den Blick nahm. Sie diskutierte den Status von Füllwörtern wie ‚äh’ oder ‚ähm’, um herauszuarbeiten, welche Funktion solcherlei Lauten im gesprochenen Diskurs zukommen kann. Dabei setzte sie sich mit der These auseinander, dass ‚äh’ und ‚ähm’ keineswegs nur Sprechfehler sondern Füllwörter mit diskursiven Funktionen seien.
Die Sektion „Körperwissen“ (Moderation: Eva Siebenborn) beschäftigte sich interdisziplinär mit der Generierung von Wissen über den Körper und mit dem Körper. Den Auftakt bildete Julia Zwink (Berlin), die in ihrer Beschäftigung mit medizinischen Fachtermini in der hebräischen Übersetzung des Zad al-musafir wa-qut al-hadir aus dem 13. Jahrhundert einige Ergebnisse eines Forschungsprojektes vorstellte. Hier wurde deutlich, inwiefern das Wissen über den Körper und dessen sprachliche Realisierung in einem medizinischen Handbuch als Bindeglied zwischen Orient und Okzident fungiert. Nicht nur die Sprachen Arabisch, Hebräisch und Romanisch, sondern auch die verschiedenen Kulturen treten dabei in Austausch. Zwink interessierte sich besonders für das Vorkommen und die Identifizierung okzitanischer Lexeme, die in der Übersetzung in hebräischer Graphie abgebildet werden. Auch Sophie Ledeburs (Wien / Berlin) Ausführungen über die „Mediale Verdopplung psychiatrischer Aufschreibe- und Wissenstechniken“ blieben im Bereich des Medizinischen und widmeten sich von einem historiographischen Ansatz der Bedeutung von Krankenakten zwischen bloßer Beschreibung von Krankheit und Wissensproduktion. Dabei differenzierte Ledebur zwischen der Krankenakte und der daraus entstehenden Fallgeschichte, bei der über die Narration eine Neuordnung des Wissens entsteht. Axel Volmar (Siegen) nahm ein ganz anderes Medium der medizinischen Erkenntnisbildung in den Blick: den Klang. In seinem Vortrag „Körperklänge und Körperbilder auf dem Zauberberg. Akustische und visuelle Erkenntnismedien in der Geschichte der Medizin“ beschrieb er ausgehend von Thomas Manns Roman Der Zauberberg und vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung der Auskultationspraxis bei Laennec, Bichat und Bayle den Klang als eine Repräsentationsform, die bei der Diagnose von Lungenkrankheiten mit visuellen Darstellungstechniken (etwa Röntgenaufnahmen) in Konkurrenz tritt. Esther Schomacher (Bochum) und Jan Söffner (Berlin) schließlich machten in ihrem Beitrag „Warum es mit Repräsentationsformen nicht getan sein kann: Sieben Thesen zum Enactive Criticism“ den Körper zum Ausgangspunkt von Wissen und stellten die Möglichkeiten eines nicht-repräsentationalen Wissens zur Diskussion. Dabei stellten sie u.a. die Thesen auf, dass wir wissen können, ohne Gegenstände des Wissens zu bilden, dass wir nicht nur mit dem Körper, sondern als Körper denken, und dass deshalb der Körper zurück in die kulturwissenschaftliche Forschung gesetzt werden muss, aus der er so lange verbannt wurde.
Zum Aus‚klang’ des Tages besuchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Forums ein Konzert in der Essener Philharmonie, wo Stücke von Schumann, Tschaikowsky und Hans Werner Henze gespielt wurden.
28.05.10
Die erste Sektion des dritten Tagungstages widmete sich dem „Wissen vom Anderen“ (Moderation: Anne Seitz). Teresa Staudacher (Wien) betrachtete die „Repräsentation der Heiden und Heidinnen bei Torquato Tasso“ und stellte dabei die Frage, wie sich die Überkreuzung unterschiedlicher Normen- und Wissenssysteme auf die Epik und Poetik des italienischen Dichters auswirkten. So führt das Zusammenfließen verschiedener Repräsentationsformen des ‚Anderen’ in Gerusalemme liberata zu einer brüchigen Konfiguration von Identität und Differenz und zur Hervorhebung von Ambiguität. In ganz andere Gefilde begibt sich Cyrano de Bergerac mit seiner Histoire comique des états et empires de la lune. Beatrice Nickel (Stuttgart) verfolgte in ihrem Vortrag, wie der literarische Mondflieger das kosmologische Wissen seiner Zeit aufgriff und unter anderem an die Thesen von Kopernikus und Kepler anschließen konnte, wobei es de Bergerac weniger um die Inszenierung einer idealen Gegenwelt ging als um die Spiegelung und Verkehrung der wissenschaftlichen Ansichten seiner Zeitgenossen. Simone Adam (Duisburg-Essen) verfolgte in ihrem Vortrag „Repräsentation von Wissen und Stereotypen in der Encyclopédie“ die aufklärerische Darstellung des geographischen Raumes Kanada. Dabei zeigte sie, wie in der Enzyklopädie der Raum des Fremden als Heterotopie entworfen wurde, der aber letztlich das Andere auf das Eigene zurückführt. In allen drei Vorträgen wurde deutlich, wie ein Wissen über den Anderen stets auch ein Wissen über das Eigene mitformuliert und ggfs. kritisiert wird.
An diese Fragestellungen knüpfte die Diskussion über „Erinnerungswissen“ (Moderation: Agnieszka Komorowska) thematisch an. Benjamin Inal (Gießen) stellte Gernika als kosmopolitischen Erinnerungsort vor, an dem sich eine Entwicklung von partikularer Symbolik hin zu universaler Vereinnahmung nachzeichnen lässt. Am Beispiel des Romans El otro árbol de Guernica wurde Gernika als transnationaler ‚lieu de mémoire’ sowohl für Opfer wie auch für Täter untersucht. Auch Stephanie Müller (Kassel) befasste sich mit „Erinnerungswissen und Erinnerungsschreiben“ und nahm dabei Jacques Roubauds Le grand incendie de Londres in den Blick. Dieser Text, der sich als mnemotechnischer Selbstversuch auffassen lässt, wurde in seiner Dialektik von Einbettung und Ausbettung, d.h. in seiner Teilhabe an bestehenden Wissensdiskursen untersucht, die der literarische Text in seiner Eigenschaft als ‚contre-discours’ jedoch anders organisiert. In beiden Vorträgen wurde also zur Diskussion gebracht, inwiefern Literatur grundsätzlich als Erinnerungsort fungieren kann und auf welche Weise ein Erinnerungswissen darin zur Darstellung kommt.
Zum Auftakt der Nachmittagssektion „Neostandards und Sprachpolitik in den romanischen Sprachen“ (Moderation: Carolin Patzelt) reflektierte Julia Burkhardt (Leipzig) in ihrem Vortrag „‚Le capitaine est enceinte …’ Repräsentation von Gender im Französischen. Zum Problem ‚geschlechtergerechten‘ Sprachgebrauchs“. Dabei diskutierte Burkhardt sowohl die feministische Sprachkritik als auch die aktuelle französische Sprachpolitik und fragte, auf welche Weise in öffentlichen Diskursen Identitäten und Geschlechterzuschreibungen durch Sprache konstruiert und repräsentiert werden. In ihrem Vortrag „,Spengere i fochi’. Diatopie und Perzeption des Sprechers zur Darstellung der Variation in zweisprachigen Wörterbüchern“ gaben Fabio D’Agostini (München) und Luca Melchior (Graz) einen Einblick in ihre lexikographische Arbeit an dem italienisch-deutschen Online-Wörterbuch LEO und gingen der Frage nach, wie Lexeme, die dem italiano neostandard angehören, von den Usern der Internetplattform LEO wahrgenommen werden, von welchen Normvorstellungen und Repräsentationen die Sprecher bei der Bewertung solcher Begriffe ausgehen und ob eine diatopische Markierung in der lexikographischen Darstellung angebracht bzw. notwendig ist. Sie plädierten für eine Richtungsänderung der eher unidirektionalen Lexikographie hin zu einer stärkeren Einbindung der Sprecher, die nicht nur als Rezipienten lexikographischer Werke fungieren, sondern mit ihrem Sprachwissen auch als Informanten im Sinne einer sprecherbezogenen, perzeptiven Linguistik wertvolle Dienste für die Lexikographen leisten können. Auch Corina Leithner (Erlangen) beschäftigte sich in ihrem Vortrag „Normen (re-) präsentieren: Präskriptive und deskriptive Darstellungsprogramme in der italienischen Grammatikographie“ mit der Repräsentation sprachlicher Normen, jedoch aus diachroner Perspektive. Sie untersuchte das sich wandelnde Normverständnis der italienischen Grammatikographie vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, wobei sie präskriptive und deskriptive Grammatiken und deren Umgang und Darstellung von Barbarismen und Solözismen im Bereich der Verbalmorphologie verglich.
Die Sektion „Migrationslinguistik“ (Moderation: Judith Kittler) begann mit Julia Richters (Duisburg-Essen) Vortrag „Das Sprachstereotyp – Versuch der Konkretisierung eines Begriffs“, der sich insofern gut in die Sektion einpaßte, als Richter die kognitiven und sozialen Funktionen von sprachlicher Stereotype, Varietätenzuschreibungen, kurz Auto- und Heterorepräsentationen der Sprecher vorstellte und anhand einiger Beispiele aus literarischen Werken aufzeigte. Besonders in der Untersuchung von migrationsbedingten Varietäten, hier des Italienischen, haben es Linguisten immer schon mit solchen im Gehirn der Sprecher verankerten Zuschreibungen und Repräsentationen zu tun, wie dies dann auch der Vortrag von Elton Prifti (Potsdam) „Sprachliches Wissen im Generationenwandel bei italienischen Migranten in den USA“ zeigte. Prifti stellte seine auf Migrantenbriefen aus drei Jahrhunderten und Interviews mit Italo-amerikanern verschiedener Generationen fußende empirische Studie vor und zeigte anhand von Sprachbeispielen, wie sich das Wissen über die Sprache des Herkunftslandes – Dialekt und Standarditalienisch – , aber auch die Kompetenzen in der Herkunftssprache durch den Kontakt zur Sprache des Aufnahmelandes von Generation zu Generation wandelt. Den Abschluß der Sektion bildete Maria Costas (Hannover) Vortrag „Vermittlung von Fachwissen in einem Migrationskontext“, der sich mit den durch das deutsch-italienische Abkommen angeworbenen VW-Mitarbeitern in Wolfsburg und deren Integration in den Betrieb beschäftigte. Costa stellte dar, welche Maßnahmen, auch lexikographischer Art, in Form eines zweisprachigen Fachwörterbuchs für die Autoindustrie durch den VW-Vorstand getroffen wurden, um den neuen italienischsprachigen Arbeitern die Integration in den deutschen Betrieb und die Produktionsabläufe zu erleichtern.
Nach der Sektionsarbeit machten die Teilnehmer einen Spaziergang von der Ruhr-Universität zum Kemnader See und fuhren dann mit dem Schiff zum anderen Ufer. Den Ausklang des Tages bildete ein Sektempfang im sonnigen Burghof des Haus Kemnade und ein Festessen im dortigen ‚Rittersaal’.
29.05.10
Zum Auftakt des letzten Tagungstages beschäftigten sich die Teilnehmer des Forums am Morgen in der Sektion „Sprache und Internet“ (Moderation: Inga Weitzig) mit Fragen der Darstellung von Sprachwissen und dem Kontinuum zwischen Nähe- und Distanzsprache in neuen Medien, vor allem in computervermittelter Kommunikation. Sabrina Braukmeier (Leipzig) stellte in ihrem Vortrag „Darstellung von Sprachwissen: Deutsch-italienisches Code-Switching im Weblog“ Überlegungen dazu an, welche verschiedenen Funktionen des Code-Switchings in einem italienisch-deutschsprachigen als Tagebuch konzipierten Weblog, also einer relativ jungen Kommunikationsform, festgestellt werden können und welchen Beitrag dies zur aktuellen Code-Switching-Forschung im Bereich der Mehrsprachigkeitsforschung leisten kann. Hier ging es vor allem um die Anordnung und Darstellung, d.h. schriftliche Realisierung des sprachlichen Wissens in einem eher nähesprachlichen Kontext. Auch Daniel Kallweit (Bochum) beschäftigte sich in seinem Vortrag „Neografie in computervermittelter Kommunikation des Spanischen“ mit innovativen sprachlichen Entwicklungen im Internet. Sein Hauptaugenmerk lag auf der Untersuchung neuer innovativer und kreativer Schreibweisen in spanischer Chatkommunikation und deren Herkunft und gruppenspezifischer Funktion. In diesem wie in Braukmeiers Untersuchung wurde der Frage nachgegangen, inwiefern das Medium der computervermittelten Kommunikation Auslöser und Förderer innovativer sprachlicher Tendenzen sein kann.
Die abschließende Sektion verhandelte die Frage nach dem „Wissen vom Subjekt“ (Moderation: Hendrik Schlieper) und legte dabei den Blickpunkt auf die hispanistische Literatur. Domenica Elisa Cicala (Klagenfurt) zeigte in ihrem Vortrag „L’‚ego sapiens’ e l’alibi del ‚docere’“ auf, inwiefern in verschiedenen autobiographischen Schriften des 18. Jahrhunderts (Muratori, Vio und Giannone) die Wissensdiskurse um die ‚scienza nuova’ aufgenommen und verarbeitet werden und zum präferierten Ort einer Reflexion über dieses Wissen avancieren. Dabei zeigt sie auf, mit welchen Narrativierungstechniken die Verbreitung dieses Wissens einhergeht. Andrea Gremels (Frankfurt) untersuchte lyrische Texte kubanischer Exil-Autorinnen in Paris hinsichtlich des in ihren Gedichten enthaltenen Textwissens oder Lebenswissens. Am Beispiel der Ausgestaltung des Herbst-Motivs wurde die Frage gestellt, warum und auf welche Weise in der Darstellung der eigenen Exil-Situation in Frankreich immer wieder auf eine spezifische europäische Lyrik-Tradition zurückgegriffen wird, die Melancholie und Vergänglichkeit zum Ausdruck bringt. Nina Preyer (Duisburg-Essen) befasste sich ebenfalls mit der Besonderheit kubanischer Literatur und untersuchte die politischen Essays des Schriftstellers Guillermo Cabrera Infante und die Funktion der Paratexte seines Werkes Mea Cuba. Dabei zeigte sie, dass die durch Vorwort und Anordnung unternommene paratextuelle Einbettung der Essays eine Form der Herausgeberfiktion entstehen lässt, die hilft, die regimekritischen Schriften vor der Zensur zu bewahren, ohne ihre politische Deutlichkeit zu entschärfen. Einmal mehr zeigte sich auch in dieser letzten Sektion, dass das Wissen literarischer Werken nicht allein in der jeweils erzählten Geschichte zur Sprache kommt, sondern immer auch in ihrer formalästhetischen Verfasstheit.
Unterstützt wurde die Tagung von verschiedenen uni-internen und externen Förderern. Ein ganz herzlicher Dank geht deshalb an das Romanische Seminar, die Fakultät für Philologie und das Rektorat der Universität Bochum, an die Research School und die Gesellschaft der Freunde der Ruhr-Universität, an den DRV, DHV, DIV, DKV, DLV, FRV, BRV und an ProSpanien, an die Stiftung Westfalen-Initiative und das Hochschulbüro (NRW-Hessen) der französischen Botschaft sowie an das BMBF.
Im kommenden Jahr findet das Forum Junge Romanistik XXVII. an der Universität Regensburg statt und widmet sich dem Thema „Minderheiten: Fremd? Anders? Gleich?“
(Victoria del Valle, Judith Kittler, Annika Nickenig, Eva Siebenborn)
Publiziert von: Kai Nonnenmacher