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23.06.2010

Aufruf zur Solidaritätsbekundung: Italienische Einrichtungen der Wissenschaft und Kultur von massiven Kürzungen bedroht

  • Ort: Rom
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft, Sprachpraxis, Didaktik, Weitere Teilbereiche
  • Sprachen: Italienisch

Zahlreiche italienische Einrichtungen der Wissenschaft und Kultur

kämpfen derzeit um ihre Existenz. Art. 7, Abs. 24, der kürzlich im

italienischen Gesetzblatt unter dem Titel "Sofortmaßnahmen zur

Finanzstabilisierung und wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit"

veröffentlichten und noch vom Parlament zu beschließenden Eilverordnung

bestimmt:

 

"Mit Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzesdekretes werden die

Haushaltsmittel für die entsprechenden Kapitel in den Voranschlägen der

zuständigen Ministerien bezüglich der staatlichen Beihilfe für

Körperschaften, Institute, Stiftungen und andere Organisationen um 50%

gegenüber dem Jahr 2009 gekürzt. Zum Zwecke der Rationalisierung und

Neuordnung der Modalitäten, unter denen der Staat zur Finanzierung der

vorgenannten Einrichtungen beiträgt, setzen die zuständigen Ministerien

innerhalb einer Frist von 60 Tagen nach Inkrafttreten des vorliegenden

Dekretes die Aufteilung der verfügbaren Mittel fest."

 

Auf Initiative des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano wurde ein Anhang

(vgl. die Liste unter

hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp ),

bestehend aus einer Liste von 232 Kulturinstituten und -einrichtungen,

aus dem Dekret vorerst herausgenommen und damit ein regelrechtes

"Massensterben" von Einrichtungen der Wissenschaft und der Kultur

verhindert, für die jegliche staatliche Beihilfe gestrichen werden

sollte. Die Neufassung von Abs. 24 bietet allerdings keinerlei

Sicherheit, insbesondere für die nichtwirtschaftlichen öffentlichen

Körperschaften wie das Istituto storico italiano per il medio evo

(ISIME), das der Kontrolle des Ministeriums für Kulturgüter und

kulturelle Aktivitäten unterliegt. Dieses Ministerium muss nach den

Bestimmungen des Gesetzesdekretes eine Kürzung des entsprechenden

Haushaltskapitels um 50% vornehmen, was weit über den von den

Sofortmaßnahmen vorgesehenen Mittelwert von 10% hinausgeht.

 

Die wichtigsten Historikervereinigungen Italiens haben hierzu kürzlich

wie folgt Stellung genommen:

 

"Die scientific community der italienischen Historiker sieht in der

unterschiedslosen Streichung der Zuwendungen für die Einrichtungen, die

wissenschaftliche Bestände, Quellen, Archive und Bibliotheken verwalten,

welche für die europäische Geschichte und Kultur von grundlegender

Bedeutung sind, ein schweres Symptom der Unkultur und kultureller Armut.

Unter Bedingungen, die sich seit Jahren äußerst schwierig gestalten, und

dank des Einsatzes von Hunderten von Wissenschaftlern, die oftmals

ehrenamtlich arbeiten, fördern die italienischen Kultureinrichtungen

Forschungen, Studien und Initiativen, die der Weiterentwicklung und der

Vermittlung des Fachwissens und der Fachkenntnisse dienen und dabei auch

über die Grenzen der fachwissenschaftlichen Kreise hinausgreifen. Ins

Auge fällt das äußerst geringe Gewicht, das die Höhe der gestrichenen

Gelder im Gesamtrahmen des Haushaltsmanövers besitzt; an sich von

bescheidener Größe, sind die Summen jedoch wesentlich für die

Entwicklung der italienischen Kultur auch im internationalen

Zusammenhang - einer Kultur, die auf diese Weise schwer getroffen wird,

während man sich anschickt, ihre Bedeutung im Rahmen der Feiern zur

einhundertfünfzigjährigen Gründung des Einheitsstaates herauszustellen.

Ins Auge fällt auch die unterschiedslose Unbestimmtheit einer Maßnahme,

während man gleichzeitig die Wichtigkeit von Evaluierung und Leistung

betont. Unsere Verbände fordern und hoffen deshalb, dass das Parlament

und die politischen Kräfte diesen Haushaltsposten wiederaufnehmen und

allenfalls für die Zukunft die Einführung von Beurteilungskriterien

vorsehen, welche den Instituten und Stiftungen die Finanzierung für

herausragende Forschungsprojekte sicherstellen, die von

wissenschaftlicher Seite a priori und a posteriori der Prüfung durch

kompetente Fachleute unterliegen. Nicht akzeptiert werden kann der Plan,

die Verteilung der verbleibenden Geldmittel zukünftig der Entscheidung

des Schatzministers und des Ministerpräsidentenbüros zu überlassen. Der

Grundsatz der Fachkompetenz, dieses sichere Fundament für jegliche

wissenschaftliche Unternehmung, verlangt, dass die Beurteilung in

vollkommen transparenter Weise durch das Ministerium für kulturelle

Güter unter Heranziehung der wichtigsten italienischen Fachleute aus den

jeweils betroffenen Disziplinen erfolgt."

 

Der Präsident des ISIME, Prof. Massimo Miglio, erklärt: "Wir sind uns

der schwierigen Wirtschaftslage durchaus bewusst, doch die Probleme

werden nicht dadurch gelöst, dass man Stätten der Arbeit und Produktion

zur Schließung zwingt, die den Nachwuchs ausbilden und die man weltweit

für italienische Spitzeneinrichtungen hält. Kürzungen und Streichungen

kann und muss man in den unproduktiven Sektoren vornehmen. Eine

aufmerksame, vom Ministerium aus dieser Perspektive vorgenommene Prüfung

böte auch die Möglichkeit einer organischen, effektiven Neuordnung, die

wir alle wünschen; aus diesem Grund streben wir eine Unterredung mit den

Verantwortlichen aus dem Ministerium für Kulturgüter und kulturelle

Aktivitäten an. [...] Das Institut kann wie andere vergleichbare

Einrichtungen eine positive Bilanz vorweisen: Es initiiert zahlreiche

ehrenamtliche Aktivitäten, gibt den Nachwuchsforschern Arbeit und

fördert deren berufliche Kompetenzen, veröffentlicht jährlich ungefähr

15 Werke von hoher wissenschaftlicher Qualität, verfügt über eine

Spezialbibliothek und ein bedeutsames historisches Archiv, die frei

zugänglich sind, bildet als Träger der Scuola Storica Nazionale di Studi

medioevali und der Scuola per l'edizione delle fonti junge

Nachwuchswissenschaftler aus und organisiert zahlreiche Seminare und

Tagungen."

 

Das Deutsche Historische Institut arbeitet seit über 100 Jahren mit

zahlreichen, von massiven Kürzungen bzw. Schließung bedrohten

italienischen Einrichtungen zusammen. Die Nutzung beispielsweise von

deren Bibliotheken und Archiven ist für die internationale Community

unverzichtbar, auch der bestehende Zeitschriftenaustausch darf nicht

gefährdet werden.

 

Namens des Deutschen Historischen Instituts in Rom und seiner

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter protestieren wir mit Nachdruck gegen

den geplanten Kahlschlag, welcher bestehende internationale

Kooperationen bedroht.

 

Wir bitten Kolleginnen und Kollegen in Deutschland, ihre Solidarität zu

bekunden, sich diesem Protest anzuschließen und entsprechende Schreiben

an folgende, in Auswahl genannte Anschriften zu senden (bitte lassen Sie

Kopien der Schreiben dem DHI in Rom zukommen, damit sie ggf. gezielt in

die laufenden parlamentarischen Beratungen eingebracht werden können):

 

Associazione Nazionale Archivistica Italiana

( www.anai.org )

Società Italiana degli Storici medievisti

( cisadu2.let.uniroma1.it/sismed/ )

Società Italiana delle Storiche

( www.societadellestoriche.it )

Società italiana per gli Studi di Storia delle Istituzioni

( www.storiadelleistituzioni.it )

Società Italiana per la Storia dell'Età moderna

( www.stmoderna.it )

Società Italiana per lo Studio della Storia contemporanea

( www.sissco.it )

Associazione delle istituzioni di cultura italiane

( www.aici.it )

Istituto storico italiano per il medio evo

( www.isime.it )

Istituto Nazionale per la Storia del Movimento di Liberazione in Italia

( www.italia-liberazione.it )

Fondazione Lelio e Lisli Basso

( www.fondazionebasso.it )

Fondazione Accademia Musicale Chigiana

( www.chigiana.it )

Fondazione Claudio Monteverdi

( www.fondazionemonteverdi.it )

Fondazione Gioacchino Rossini

( www.fondazionerossini.org )

Fondazione Istituto Nazionale di Studi Verdiani

( www.fondazione-internazionale-giuseppe-verdi.org )

 

Rom, 17.6.2010

 

Für das Deutsche Historische Institut in Rom:

Prof. Dr. Michael Matheus

 

( www.dhi-roma.it - kruse@dhi-roma.it )

 

Von:  Michael Matheus via H-Soz-u-Kult

Publiziert von: Kai Nonnenmacher