CfA: "Mimesis", Archiv für Mediengeschichte 12
- Disziplinen: Literaturwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
- Sprachen: Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Sprachenübergreifend
- Frist: 13.04.12
Die nächste Ausgabe des »Archivs für Mediengeschichte« wird sich dem Thema der Mimesis widmen, deren Geschichte und Theorie vor dem Hintergrund aktueller Medienforschung untersucht werden soll. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Annahme, dass die kulturgeschichtliche Genese der Mimesis Aufschlüsse über die historische Konstitution des Medialen gibt. Gemeint ist damit eine Untersuchung der Mimesis, die sich – über eine ästhetische, ontologische oder erkenntnistheoretische Fragestellung hinaus – der virulenten Beziehung von modernen medialen Techniken und der historischen Permanenz der Kulturtechnik der Mimesis widmet. Über die geläufigen Ansätze – etwa der Literaturwissenschaft, Philosophie, Anthropologie oder Technikgeschichte – hinaus sollen Forschungsperspektiven mit dezidiert medienhistorischen Schwerpunkten verfolgt werden. Eine derart ausgerichtete Beschäftigung soll – entgegen der verbreiteten geschichtsphilosophischen Behauptung einer moderner Entwertung mimetischer Praktiken – eine neue Betrachtung der Mimesis ergeben, die Konsequenzen für eine mediale Historiographie unter den Bedingungen zeitgenössischer „Cultures of Copy“ mit sich bringt.
Unter diesen Prämissen bieten sich folgende Schwerpunkte an:
Erstens soll im Themenkomplex »Prozesse und Techniken der Mimesis« der Frage nachgegangen werden, inwiefern mimetische Prozesse durch mediale Anordnungen in ihrer Spezifik bestimmt werden. Handelt es sich um Prozesse der Nachbildung und Wiederholung, des Lernens und Einübens, des Aufgreifens von Ähnlichkeiten, der Repräsentation, der Reproduktion, des Ausdrucks, der Etablierung von ordnenden Strukturen, die für mimesispflichtig, also ›kanonisch‹ ausgegeben werden? Welchem Verständnis von Mimesis entsprechen die jeweils eingesetzten Techniken der Beschreibung, der Erzählung, der Übersetzung, der mimischen Darstellung, der Zeichnung, Malerei oder Plastik, der technischen Reproduktion oder der graphischen Inskription? Im Mittelpunkt stehen hier zugleich basale mediale Operationen, denen durch medientechnische Evolutionssprünge neue Anwendungsfelder erschlossen werden – etwa Kopieren, Zitieren, Paraphrasieren, Montage, Remake, Sampling oder Serialisierung. Darüber hinaus gilt es nach den medial-figurativen Ausprägungen einer ›riskanten‹ oder ›verworfenen‹ Mimesis zu fragen: Welchem Verständnis von Mimesis entsprechen etwa Plagiatoren, Fälscher, Experimentatoren, Imitatoren o.ä. und welche medialen Bedingungen sind für ihr Wirken entscheidend?
Zweitens soll verfolgt werden, inwiefern Medien und Mimesis systematisch aufeinander bezogen werden können. Unter dem Begriff der »mimetischen Ordnung« könnte davon ausgegangen werden, dass mediale Techniken und Prozesse der Mimesis sobald sie auftreten, sich im Einzugsgebiet einer symbolischen bzw. institutionellen Ordnung bewegen. Eine mimetische Ordnung ist zugleich mit der Erzeugung und der Regulation bzw. Eindämmung mimetischer Prozesse beschäftigt. Unter diesem Aspekt könnten Verfahren und Verhaltensformen untersucht werden, die dazu dienen, mit unterschiedlichen Intensitätsstufen der Mimesis strukturiert umzugehen, etwa hinsichtlich der rhetorischen Imitatio, theatralischer und künstlerischer Repräsentationsanweisungen, pädagogischer Lernvorschriften oder massenkommunikativer Darstellungsformen und Suggestionstechniken. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche mimetischen Prozesse und Techniken kulturell und ggf. sogar juristisch gefördert, sanktioniert oder tabuisiert werden und welche Dispositive (etwa auf dem Feld des Urheberrechts) mit dieser Regulierungsfunktion verbunden sind.
Mimetische Vorgänge werden an bestimmten Maßstäben gemessen, die Fragen von Wahrheit und Fälschung oder Recht und Unrecht an sie herantragen. Daher verdienen, drittens, Formen der »exzessiven Mimesis« sowie die Spielarten medialer Immersion, insbesondere auf dem Gebiet der technischen Analogmedien, besondere Aufmerksamkeit. Sie bezeugen das Vermögen mimetischer Praktiken, die ontologischen Trennungen und Klassifikationstypen zu stören und die Logik von Vorbild und Abbild, Referent und Zeichen, die die Beziehung der Nachahmung definiert, zu verkehren bzw. den Repräsentationscharakter medialer Darstellungen illusionistisch außer Kraft zu setzen. In mediengeschichtlicher Perspektive ist nach Zäsuren und Einschnitten zu fragen, die die Erzeugung und Regulierung mimetischer Praktiken unter neue, aktuell etwa digitale, Bedingungen stellen. Diese Bedingungen steigern die technische Raffinesse bei der Erzeugung perfekter Analoga und versuchen zugleich die Dynamik mimetischer Austausch- und Zirkulationsprozesse im Namen von Autorschaft und geistigem Eigentum einzugrenzen.
Ausgehend von anthropologischen Forschungen steht viertens zur Diskussion, wie sich das Verhältnis von »Mimesis und Anthropotechniken« fassen lässt. Mimesis erlaubt auf einer Ebene zweiter Ordnung die Beobachtung der Diffusion von Techniken und ihren Utensilien über politische und kulturelle Grenzen hinweg, wobei den Medien die Rolle zentraler Agenten einer transnational und transkulturell wirkenden Verbreitungsgeschichte solcher Techniken zukommt. Zu fragen ist, welchen Anteil mimetische Maschinen (z.B. Kamera, Radio, Phonograph) an der Entstehung eines spezifisch mediengeschichtlichen Wissens von auf Nachahmung bzw. ›Suggestion‹ (M. Mauss) beruhenden Techniken haben, mittels derer Menschen auf ihren Körper einwirken bzw. zur Übernahme neuer Körpertechniken bewegt werden.
Nach der Diskussion um Mimesis, Nachahmung und Indexikalität, die sich sowohl im Bereich der Literatur (Auerbach) wie auch des Films (Kracauer, Bazin) manifestierte, tritt das Verständnis von »Mimesis als Realismus« in den letzten Jahren erneut ins Zentrum ästhetischer und politischer Debatten. Ein fünfter Aspekt sollte sich daher vor allem auf den Status von Evidenz und Dokument, Fakt und Fiktion sowie den jeweiligen medialen Praktiken konzentrieren, in denen sich ein spezifisch mimetischer Realismus artikuliert, der mit der Normativität klassischer Darstellungslogik und ihrer Nachahmungsvorschriften bricht und sich an der alltäglichen ›Nichtswürdigkeit‹ von Ereignissen und unscheinbaren Handlungen orientiert und auf diese Weise eine extreme Stil- und Formenmischung erzielt.
Herausgeber: Friedrich Balke/Bernhard Siegert, Weimar; Joseph Vogl, Berlin
Beiträge zu diesen und weiteren Aspekten der Verschränkung von Medien und Mimesis sind höchst willkommen. Sie sollten 30.000 Zeichen nicht überschreiten und bis zum 01.09.12 vorliegen. Wir erbitten Kurzfassungen (Abstracts, Exposés) bis zum 13.04.12 an die Redaktion (gregor.kanitz[@]uni-weimar.de).
Kontakt: Gregor Kanitz, Internationales Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie, 99421 Weimar, gregor.kanitz[@]uni-weimar.de
Publiziert von: cs