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21.04.2009

CfP: "Das Geschlecht der Anderen. Narrationen und Episteme in Ethnologie, Kriminologie, Psychiatrie und Zoologie des 19. und 20. Jahrhunderts"

  • Ort: HU Berlin
  • Beginn: 11.12.09
  • Ende: 12.12.09
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
  • Sprachen: Sprachenübergreifend
  • Frist: 15.07.09

HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN

DFG-Graduiertenkolleg Geschlecht als Wissenskategorie

 

Internationale Konferenz, 11. und 12. Dezember 2009

 

Das Geschlecht der Anderen.

Narrationen und Episteme in Ethnologie, Kriminologie, Psychiatrie und

Zoologie des 19. und 20. Jahrhunderts

 

Konzeption: Florian Kappeler, Julia Roth, Anne Stähr, Vojin Saša Vukadinovic

in Kooperation mit Sophia Könemann, Dr. des. Julie Miess, Susann Neuenfeldt

 

Ausgangspunkt der Konferenz ist die Beobachtung, dass die Konstitution von Geschlechter-positionen und -metaphern besonders seit dem 19. Jahrhundert an diverse Konstruktionen eines „Anderen“ gebunden ist, das über die Definition und Zuschreibung von Binaritäten wie rational/wahnsinnig, kulturell entwickelt/primitiv, deviant/„normal“ und menschlich/tierisch wirkt. Über diese vergeschlechtlichten Formen des Anderen bildet sich ein Wissen, das sich sowohl in Diskursen der Psychiatrie, der Ethnologie, der Zoologie und der Kriminologie als auch in künstlerischen und literarischen Formen verdichtet.

 

Es bietet sich an, solche historischen Verdichtungs-und Transferprozesse zwischen wissen-schaftlichen Disziplinen interdisziplinär und intersektional zu untersuchen. Die gemeinsame Perspektive bilden die Genderforschung und besonders deren poetologische und narratologi-sche Aspekte. Dabei stellt sich die Frage, wie die angesprochenen Wissensformationen Ge- schlechtskategorien durch poetische Strukturen reproduzieren. Theoretische Ansätze, die wis-senshistorische und ästhetische Forschung kombinieren, haben derzeit Hochkonjunktur und werden zugleich kontrovers diskutiert. Auch in den Gender Studies gibt es Tendenzen, Wis-sensforschung und Poetologie zusammenzudenken. Vor diesem Hintergrund orientiert sich die Tagung an aktuellen Ansätzen gendertheoretischer Wissensgeschichte und Narratologie sowie Poetologien des Wissens, innerhalb derer die Zirkulation dieser Konfiguration zwische Kunst und Wissen untersucht werden kann.

 

Dabei ist zu fragen wie sich die „poetischen“, d.h. im weitesten Sinne darstellungstechnischen Komponenten wissenschaftlichen Wissens und die Produktion von Geschlechterbildern zu-einander verhalten. Gibt es einen Transfer von Geschlechtermetaphern zwischen Wissen-schaften und Literatur/Künsten? Wie schreiben sich geschlechtlich strukturierte Subjektposi-tionen und Klassifikationen in die Wissensproduktion ein? Gibt es nicht nur Aussagen, son-dern auch Darstellungsformen, die sowohl in wissenschaftlichen wie auch in literarischen und künstlerischen Techniken und Darstellungsformen zum Tragen kommen?

Auf der Tagung soll diese Konfiguration auf ihre Darstellungsformen (z.B. Ausstellung, Foto-grafie, Reisebericht) und Präsentationstechniken (etwa Hermeneutik, Beobachtung, Metapho- risierung) hin befragt werden: Wie bilden und autorisieren sie den Nexus zwischen Gender und Irren/Fremden/Kriminellen/Tieren? Wie zirkulieren sie zwischen Psychiatrie, Ethnologie und Zoologie einerseits, Wissenschaften und Künsten andererseits? Und gibt es ein Ende die-ser Konfiguration? Wirkt sie auch in aktuellen Diskursen fort – etwa in der angeblich ge-schlechts-und poesiefreien Neuroforschung oder auch in den postcolonial studies, die bean- spruchen kulturelle Zuschreibungen zu dekonstruieren?

 

Neben keynote-Vorträgen sind bisher vier Panels geplant, die sich an den Wissensfeldern der Kriminologie, der Psychiatrie, der Ethnologie und der Zoologie orientieren. Da die Transfer-prozesse und Interdependenzen zwischen diesen Wissensfeldern und ihren Darstellungsfor-men im Fokus der Tagung stehen, sind aber ausdrücklich auch Papers willkommen, die sich keinem Panel oder mehreren zuordnen können.

 

I Sex/Crime: Poetologien von Geschlecht und Verbrechen als Wissenstransfer

 

Im Zentrum des Panels steht der Transfer zwischen Literaturen und Wissensfeldern, in denen die Kategorien sex und crime produktiv zusammenwirken. Verbrechen, Sexualität und Ge-schlecht gehen in den Wissensbeständen des 19. und 20. Jahrhunderts vielfältige Korrelate ein und referieren besonders um 1900 innerhalb des Kriminalitäts-und Literaturdiskurses verstärkt aufeinander. Bis in die Gegenwart schreibt sich eine Poetologie der geschlechtlich codierten Kriminologie in Literatur, Film und Publizistik ein. Der historische wie der aktuelle Diskurs über VerbrecherInnen wird in Kunst-und Wissensfeldern rückgebunden an geschlechtlich motivierte Zuschreibungen. Darüber hinaus werden als kriminell klassifizierte Handlungen in Verbindung mit der Kategorie der Devianz erzählt und stehen so in Korrespondenz mit ande-ren Wissensfeldern: dem der Ethnologie (VerbrecherInnen und das Fremde), der Zoologie (bestialische Konnotierung) und der Psychiatrie (Pathologisierung von VerbrecherInnen). Aus diesen Vorüberlegungen ergeben sich drei Fragestellungen: Wie werden VerbrecherInnen mit dem Fokus auf ihre Geschlechtlichkeit als Wissensobjekte der Diskurse hervorgebracht? Wel-che Darstellungsformen für die Korrelation von Geschlecht und Verbrechen wirken intersek-tional/transdisziplinär zwischen Kunst-und Wissensdiskursen (Wissen über Kriminalität und Geschlecht)? Welche Funktion übernimmt dabei die Klassifikation von VerbrecherInnen als deviant im Sinne von fremd/bestialisch/krank?

 

II Ethnologien der Geschlechter

 

In diesem Panel stehen vergeschlechtlichte Wissensproduktionen im postkolonialen Kontext im Mittelpunkt. Vor dem Hintergrund seit der europäischen Kolonisation tradierter implizit vergeschlechtlichter und rassisierter Bilder des kolonisierten „Anderen“ soll von verschiede-nen Ebenen und disziplinären Zugängen aus ein postkolonialer, kritisch-weißer und kriti-schokzidentalistischer Blick auf Repräsentationen und Narrationen geworfen werden, in de-nen sich diese Bilder fortschreiben (z.B. Geschlecht und Nation, vergeschlechtlichte und rassi-sierte Repräsentationen von Ländern/ Regionen/Nationen/Kulturen, Ausstellungspraktiken). Diese finden sich häufig an der Schnittstelle zu kriminologischen, psychiatrischen oder biolo-gisch-zoologischen Diskursen (etwa Naturalisierungsmetapher kolonialisierter Regionen wie z.B. bei Humboldt, Narrationen von Gewalt, Mafia, Prostitution, Drogen-und Waffenhandel, Korruption). Ein besonderes Augenmerk soll auch auf Theorien aus den ehemaligen spani-schen Kolonien (Mittelund Südamerika) liegen, die im postkolonialen Diskurs bisher wenig Beachtung fanden.

 

III Poetischer Wahn

 

Ende des 19. Jahrhunderts wurde im „westlichen“ Kontext psychiatrischer Wissensproduktion eine Konfiguration wirkmächtig, in der Künste bzw. KünstlerInnen und Wahnsinn als eng miteinander verbunden erschienen. Einerseits wurde der Wahn zur Voraussetzung künstleri-scher Produktion erklärt und psychiatrisches Wissen fand Eingang in die Kunsttheorie, ande-rerseits wurden die Künste zu Voraussetzungen psychiatrischen – und keinesfalls nur psycho- analytischen – Wissens: Denn dieses bezog sich immer häufiger auf ästhetische Produkte und benutzte selbst ästhetische Techniken zur Wissensproduktion über den „Wahnsinn“. Zugleich wurden Konzeptionen kranker Seelen – etwa bei Ernst Kretschmer oder Emil Kraepelin – mit Bildern anderer Kulturen und nicht-menschlicher Populationen analogisiert, die psychiatri-schen Kategorisierungsweisen orientierten sich (etwa bei Auguste Forel und Emil Kraepelin) an der Zoologie und psychiatrische Theoreme verbanden sich mit ethnographischen For-schungen. Wahnsinn korreliert also mit weiteren Formen der Devianz wie ‚Rasse’, Geschlecht und Bestialität. Eine interessante Frage aus heutiger Perspektive ist, ob diese okzidentalistische Konjunktur pathologischer Poetiken und poetischer Pathologien, die in hohem Maße vergeschlechtlichen-de Züge aufweist, sich seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts – z.B. durch die Frauen- und die Antipsychiatriebewegung sowie die neue Dominanz neurologischer Ansätze in der Psychiatrie und inzwischen z.T. auch in der Literatur/-wissenschaft – auflöst oder transformiert. Im Hin- blick darauf sollen die historischen Darstellungsformen und - techniken künstlerischer Produk-te und wissenschaftlichen Wissens über den Wahn und die ihnen immanenten Geschlechter-konstruktionen rekonstruiert und die Überschneidungen mit weiteren Wissensfeldern aufge-zeigt werden.

 

IV Animalities: Queere Tiere

 

Im Zuge der Industrialisierung und der Urbanisierung im 19. Jahrhundert wurden Tiere einer-seits mehr und mehr aus dem Alltagsleben verdrängt, während sie andererseits in Zoos, Tier-shows und Museen zunehmend zur Schau gestellt wurden. Entsprechend werden Tiere – die seit der Antike die imaginären Welten bevölkern – in Edgar Allen Poes Black Cat von 1843, Hermann Melvilles Moby Dick von 1851 oder auch später in Merian Coopers King-Kong-Film aus dem Jahr 1933 in ganz neue Figurationen gefasst. Wie unterschiedlich Tiere auch in naturwissenschaftlichen Diskursen imaginiert wurden, zeigt der historische Konflikt zwischen Brehms Anthropomorphismus und Darwins Evolutionstheorie. Die im 21. Jahrhundert an US-Amerikanischen Universitäten etablierten, transdisziplinär und transnational ausgerichteten Critical Animal Studies knüpfen an die Tradition des Anthropomorphismus an, während sie jedoch zugleich Figurationen von Tieren in einen macht-und herrschaftskritischen Bezug zu anderen Differenz und Hierarchie stiftenden Kategorien wie etwa Gender, Race, Class, Se-xuality und Nation setzen. Mit diesen neuen Ansätzen rufen die Critical Animal Studies einen Paradigmenwechsel in der postmodernen kulturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Tieren aus, der – nicht zuletzt auch beeinflusst durch die Theorien zur Performativität – tierkörperli-che Präsenzen und nicht die Konstruktionen des Tierkörpers in den Mittelpunkt stellen, wie das etwa noch in der Moderne der Fall war. Das Panel wird unter Rückgriff auf die Methoden der Critical Animal Studies verschiedene Figurationen von Tieren in ganz unterschiedlichen kulturellen Kontexten (z.B. Geisteswissenschaften, Zoologie, Psychiatrie, Medizin, Showbusi-ness, Tier-und Freakshow) in den Blick nehmen und vor allem nach den vergeschlechtlichten Wissensformen dieser Figurationen fragen.

 

 

CALL FOR PAPERS

INTERNATIONALE KONFERENZ

Das Geschlecht der Anderen. Narrationen und Episteme in Ethnologie,

Kriminologie,

Psychiatrie und Zoologie des 19. und 20. Jahrhunderts

11. und 12. Dezember 2009 an der Humboldt-Universität (Berlin)

DFG-Graduiertenkolleg Geschlecht als Wissenskategorie (Humboldt- Universität zu Berlin)

Organisation:

Florian Kappeler, Julia Roth, Anne Stähr, Vojin Saša Vukadinovic

in Kooperation mit Sophia Könemann, Dr. des. Julie Miess, Susann

Neuenfeldt

 

Wir freuen uns auf die Konferenz „Das Geschlecht der Anderen. Narrationen und Episteme in Ethnologie, Kriminologie, Psychiatrie und Zoologie des 19. und 20. Jahrhunderts“ hinweisen zu können, die am 11. und 12. Dezember 2009 an der Humboldt-Universität (Berlin) stattfinden wird. Mit diesem Call for Papers möchten wir interessierte Wissenschaftler/innen und Nachwuchswissenschaftler/innen herzlich dazu einladen ein kurzes abstract einzureichen.

 

Dieses soll max. 3000 Zeichen enthalten und durch einen kurzen CV (höchstens eine Seite) sowie Angaben zu benötigtem technischem Equipment ergänzt werden. Die Vorträge können auf Deutsch und Englisch gehalten werden und sollten ca. 20-30 Minuten dauern.

 

Die abstracts sind bis zum 20.6.2009 an folgende Adresse zu richten:

poetologie-tagung@gmx.de

 

Entscheidungen bezüglich des Calls werden bis zum 15.7.2009 mitgeteilt. Anreise-und Übernachtungskosten können i.A. anteilig erstattet werden.

Wir freuen uns auf Ihre Ideen und Ausarbeitungen!

 

Von:  Anne Stähr

Publiziert von: Kai Nonnenmacher