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02.04.2009

CfP: "Der Vergleich", Deutsch-französisches Nachwuchsseminar

  • Ort: Moulin d'Andé, Eure, Frankreich
  • Beginn: 15.09.09
  • Ende: 19.09.09
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
  • Sprachen: Französisch
  • Frist: 11.05.09

CIERA (Centre interdisciplinaire d'études et recherches sur l'Allemagne)

und FU Berlin, mit Unterstützung der Deutsch-französischen Hochschule

 

Der Vergleich ist mit den Schriften von Max Weber und Émile Durkheim

eine der grundlegenden Methoden der Sozialwissenschaften geworden und

hat weit über die Soziologie hinaus die strukturale Anthropologie, die

Ethnologie, die Linguistik, die Rechtswissenschaften, die Geographie und

in geringerem Maße auch die Geschichtswissenschaften, daneben aber auch

die Literaturwissenschaften und weitere ästhetische Disziplinen geprägt.

Seit seinen Anfängen ist der Erfolg der komparativen Methode mit der

Zunahme der Untersuchungsfelder und der Suche der Wissenschaft nach

einem „universalistischen Standpunkt“ verbunden.

 

Diese Entwicklungen sind heute kritisch zu hinterfragen. Nicht nur die

Annahme der Wissenschaft, dass man eine Interpretation finden könne, die

integrativ ist, ist angesichts des enormen Anwachsens von Informationen

in immer mehr Wissensgebieten problematisch geworden. Auch die

Analyseeinheiten der Wissenschaft sind aufgrund der im Rahmen von

Globalisierungsprozessen zu beobachtenden Vernetzung von Bereichen und

Akteuren in einem solchen Maße miteinander verwoben, dass es

problematisch ist, einzelne Aspekte zu isolieren, um sie miteinander zu

vergleichen. Darüber hinaus sind die westlichen Sozialwissenschaften

durch die postcolonial studies in Kritik geraten. Universalistische

Ansprüche sind von nicht westlichen Gesellschaften zurückgewiesen und

mit neuen und komplexen Konstruktionen beantwortet worden, in denen die

Rückkehr zu so genannten autochthonen Traditionen und die Aufnahme von

Elementen aus den westlichen Diskursen, in Form der Selbstbestätigung,

ineinander greifen (cf die Debatten, die Edward W. Said in Orientalismus

1978 auslöste)

 

Die Vervielfältigung der Perspektiven hat zu einer Schwächung der

analytischen Kategorien der Geistes und Sozialwissenschaften geführt,

für die nicht nur der Anspruch rationaler Erkenntnis, sondern auch die

Suche nach einer objektiven und integrativen Methode fragwürdig geworden

ist. Vor diesem Hintergrund, und nicht zuletzt um dem Risiko des

Kulturrelativismus zu begegnen, sind die epistemologischen Grundlagen

und die empirischen Verwendungen einer methodischen Operation, die für

die Produktion von Wissen in den Geistes- und Sozialwissenschaften

grundlegend ist, neu zu bewerten.

 

Der zunehmende Einfluss der Globalisierung und die neuesten

Veränderungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften haben auch die

Methoden und Objekte des Vergleichs grundlegend verändert. Zwar galt der

Vergleich schon immer als eine besonders effiziente Methode,

Forschungsobjekte analytisch voneinander zu trennen und

Analysekategorien, die national definiert sind, in Frage zu stellen.

Inzwischen aber ist die vergleichende Methode mehr als ein theoretisch

reflektierter Ansatz, Objekte und nationale Kontexte in Hinblick auf

Ähnlichkeiten und Unterschied zu untersuchen. Es gibt eine Reihe von zum

Teil sehr verschiedenen Neuansätzen die es sinnvoll erschienen lassen,

die epistemologische Reflektion über die Operationen des Vergleichs

wieder aufzunehmen. Es handelt sich um Transferstudien, Studien von

Zirkulationsprozessen, histoire croisée, intertwined oder entangled

history. Die Besonderheit dieser Ansätze besteht in der Konstruktion von

Forschungsobjekten, die „den einfachen gegenüberstellenden Vergleich“

hinter sich lassen. Gegen den Zwang zur Stabilisierung, der mit der

klassischen komparativen Methode verbunden ist, bestehen sie auf der

Diachronie sozialer Interaktionen und der Unabhängigkeit der Einheiten,

die miteinander in Verbindung gebracht werden.

 

So sind zwar die epistemologische Vorzüge der komparativen Methode

ebenso unbestritten wie ihre Stellung als eine Art kategorischer

Imperativ in den verschiedenen Disziplinen der Geistes- und

Sozialwissenschaften, dennoch stellen sich in der Operationalisierung

des Vergleichs grundlegende methodische Fragen, die im Seminar

diskutiert werden sollen:

 

Zunächst sind die verschiedenen Ansätze zu evaluieren. Die Zunahme an

theoretischen Vorschlägen und Formen der Objektkonstruktion sowie der

Konzepte aus den verschiedenen Disziplinen der Geistes- und

Sozialwissenschaften macht einen reflexiven Vergleich der Leistungen und

auch der „blinden Flecke“ der einzelnen Beiträge nötig. Das von CIERA

und FU gemeinsam organisierte Seminar stellt durch seinen

pluridisziplinären Ansatz und die Gegenüberstellung deutscher und

französischer Forschungstraditionen einen geeigneten Rahmen für ein

solches grundlegendes Nachdenken über eine Adaptation der Methoden an

die Objekte und Hypothesen der Forschung dar.

 

In einem zweiten Schritt ist danach zu fragen, wie das Vergleichsobjekt

konstruiert wird. Insbesondere wäre dabei die komplexe Verbindung

zwischen der Wahl des Objekts oder der Objekte (deren Anzahl,

Untersuchungsebenen sowie der Verflechtungen und Verbindungen zwischen

den Objekten) und dem Standpunkt des Betrachters zu thematisieren. Der

Vergleich wird nicht als eine stilisierte Repräsentation der Realität

verstanden, sondern als eine – durch die Auswahl von Fakten und das

Festlegen von Vergleichsmaßstäben erfolgte – Transformation der

Realität. In dieser Konzeptualisierung trägt der Vergleich dazu bei,

Normen, Repräsentationen und Untersuchungsebenen eines « Reellen » zu

transformieren, das durch den Forschungsprozess selbst hergestellt wird.

 

 

Zu den Zielen des Seminars gehört es, die verschiedenen Operationen, in

den Blick zu nehmen, die an der Konstruktion des Vergleichs beteiligt

sind und seine Produktivität ausmachen: die Abgrenzung der räumlichen

und zeitlichen Koordinaten, die Konstruktion von angemessenen

Untersuchungsebenen (in räumlicher und zeitlicher Hinsicht, ebenso wie

in Bezug auf soziale Faktoren), die Bedeutung des Standpunkts des

Betrachters (der sich entweder in gleicher Distanz zwischen den zu

vergleichenden Einheiten oder in einer asymmetrischen Position

befindet). Darüber hinaus wendet sich das Seminar dem Phänomen des

„asymmetrischen Vergleichs“ zu, bei dem Analysekategorien eines Objekts

auf ein anderes übertragen werden.

 

Abschließend sind die analysierten Phänomene und Vergleichsstrategien im

Kontext der Globalisierungsprozesse zu verorten. Ausgehend von der

Überlegung, dass das Reden von Globalisierung immer nach einem Vergleich

verlangt, wird im Seminar nach Ursache und Wirkung dieser Entwicklungen

gefragt. Weit über die Geistes- und Sozialwissenschaften hinaus ist seit

den 80er Jahren eine bemerkenswerte Zunahme komparativer Techniken und

ihrer Anwendung in Politik und Gesellschaft zu beobachten. Inter- und

supranationale Organisationen, die NGOs, wie auch Unternehmen und Medien

produzieren eine Vielzahl von Klassifizierungen, rankings, Listen,

Graphiken, Vergleichsstudien und Diskursen, die auf der Logik des

Vergleichs aufbauen. Auffällig ist insbesondere eine verstärkte

gesellschaftliche und politische Nachfrage nach dem Vergleich, die in

einem allgemeinen Wettbewerbsdenken zum Ausdruck kommt, was

grundsätzlich den Vergleich zwischen sozialen und institutionellen

Akteuren einschließt.

 

Entscheidend für diese Entwicklungen ist vor dem Hintergrund der Krise

der Nationalstaaten und dem Aufbau Europas eine Art Wahlverwandtschaft

zwischen komparativen Methoden und der zunehmenden Bedeutung von

Wettbewerb und Konkurrenzen in den unterschiedlichsten Bereichen des

menschlichen Lebens. Eine Problematisierung des Vergleichs, die dessen

Platz in den Geistes- und Sozialwissenschaften bestimmen will, muss auch

dessen gesellschaftliche Rolle im Kontext der Globalisierung

berücksichtigen. Dennoch besteht jenseits aller politischen,

gesellschaftlichen und medialen Verwendungen die Notwendigkeit die

Spezifität universitärer Arbeiten zu definieren oder um den Begriff des

Politologen Jacques Lagroye zu benutzen, ihr spezifisches « régime de

vérité ». Mit dieser Erweiterung des Fragehorizonts verbindet das

Seminar die Problematisierung des „Vergleichs“ mit dem Nachdenken über

die Bedingungen der Autonomie der wissenschaftlichen Methodik, die immer

wieder und insbesondere den Geistes- und Sozialwissenschaften streitig

gemacht wird.

 

Für die Diskussion werden fünf Fragekomplexe vorgeschlagen:

- Globalgeschichte, Vergleich und Transkulturalität

- Der diachrone Vergleich

- Die Kategorien des Vergleichs

- Strategien/Praktiken des Vergleichs

- Vergleichsfelder und Kontextualisierung

 

ABLAUF:

Das Seminar findet von Dienstag, den 15.9., nachmittags bis Samstag, den

19.9.2009, nachmittags statt. Jede halbtägige Sitzung beginnt mit dem

Vortrag einer/s Spezialistin/en. Darauf folgen jeweils die Vorstellung

und Diskussion der Beiträge der Teilnehmer/innen.

 

TEILNEHMERKREIS:

Das Seminar bietet 25 Nachwuchswissenschaftler/innen (Doktorand/innen

oder Postdocs) die Möglichkeit zur Teilnahme, unabhängig von ihrer

Nationalität und davon, ob sie in einer vergleichenden Perspektive

arbeiten oder nicht bzw. ob ihr Projekt Deutschland oder Frankreich zum

Thema hat. Die Arbeitssprachen des Seminars sind Deutsch und

Französisch. Jede/r Teilnehmer/in kann sich in der Sprache ihrer/seiner

Wahl ausdrücken. Erwartet werden jedoch zumindest ausreichende passive

Kenntnisse der jeweils anderen Sprache.

 

TAGUNGSORT:

Le Moulin d’Andé, Departement Eure (nächster Bahnhof: Val-de-Reuil, der

Transport vom Bahnhof zum Moulin d’Andé wird durch Sammeltaxis

sichergestellt)

 

BEWERBUNG:

Alle Bewerber/innen um eine Teilnahme werden gebeten, ein entsprechendes

Online-Formular auf den Internetseiten des CIERA auszufüllen. Die

Auswahl der Teilnehmer/innen erfolgt auf der Grundlage der

Bewerbungsunterlagen, zu denen gehören: ein wissenschaftlicher

Lebenslauf, eine Skizze der laufenden Forschungsarbeiten und ein auf die

Thematik des Seminars abgestimmter Textvorschlag, aus dem der Beitrag

während des Seminars hervorgehen muss. (Bewerber/innen, die nur als

Hörer/innen und Kommentator/innen teilnehmen wollen, werden gebeten, nur

einen Lebenslauf und eine Skizze ihrer laufenden Forschungsarbeiten

einzusenden.)

 

EINSENDENSCHLUSS für alle Bewerbungen:

11. Mai 2009

 

TEILNAHMEKOSTEN:

50 EUR (Einschreibgebühren und Beitrag zu den Verpflegungskosten). Die

Reisekosten (Bahn 2. Klasse oder Flugzeug zum günstigsten Tarif) und die

sonstigen Aufenthaltskosten werden vollständig von den Organisatoren

getragen.

 

Eliane Beaufils

CIERA, Maison de la recherche

28 rue Serpente

F-75006 Paris

beaufils@ciera.fr

 

Von:  Nathalie Faure

Publiziert von: Kai Nonnenmacher