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15.02.2011

CfP: Multidirektionale Transfers. Internationalität in der Geschlechterforschung (Querelles. Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung)

  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
  • Sprachen: Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Weitere romanische Sprachen, Sprachenübergreifend
  • Frist: 31.05.11

Internationalität gilt neben Innovation, Sichtbarkeit, Interdisziplinarität und Gleichstellung als nahezu unhinterfragbares Qualitätsmerkmal moderner Wissenschaft, als wichtiges „Exzellenzkriterium“. Internationalisierung kann ein Kriterium neben anderen sein, das einfach erfüllt werden muss oder den Leistungsdruck unter dem viele stehen noch erhöht. Möglicherweise bietet es jedoch Chancen und Risiken, die bisher noch wenig thematisiert wurden.

 

Auch die Geschlechterforschung und viele Gender Studies Institutionen sind in Internationalisierungsdebatten oder -prozesse involviert. Auch wenn die Internationalisierung der Geschlechterforschung ein wichtiger Schritt ist, um feministische Praktiken und Ansätze auf lokaler, regionaler, nationaler und/oder globaler Ebene anzuwenden oder zu diskutieren, bleibt ihre Auswirkung bisher weitgehend unerforscht.

 

Jenseits von Internationalität als Exzellenzkriterium wissenschaftlicher Einrichtungen ist dieser Diskussionsstrang jedoch in der Geschlechterforschung nicht völlig neu. Vielmehr spiegelt das Thema Internationalisierung eine intensive kontroverse wissenschaftliche Debatte innerhalb feministischer Geschlechterforschung wider: Generell können mindestens zwei Diskussionsstränge in der Debatte um die Internationalisierung in feministischen Debatten identifiziert werden (vgl. Moallem, Minoo: Review: Feminist Scholarship and the Internationalization of Women’s Studies. In: Feminist Studies, vol. 32, no. 2 [2006], 332–351: 334): Der erste Strang ist verbunden mit der Idee von einer imaginären Gemeinschaft von Frauen („sisterhood is global“), die durch dasselbe universelle patriarchale System unterdrückt wird und deren Befreiung durch eine Internationalisierung von bestimmten emanzipatorischen Werten und Normen möglich erscheint. Der zweite Strang basiert gerade auf der Kritik des ersten Strangs und bezichtigt ihn des feministischen Imperialismus. Er verweist auf bestehende und dominante politisch-ökonomische Kräfte der kolonialen Moderne und seiner post- oder neokolonialen Formationen wie beispielsweise Kapitalismus, Imperialismus und Ausbeutungsstrukturen, die auf machtgeladenen gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen basieren. Er verweist aber auch auf den in der Internationalisierungsdebatte transportierten Mythos des Fortschritts und auf die Ausblendung von Machtverhältnissen in der Produktion und Verbreitung von Wissen, in Deutungshoheiten und in der Schaffung von Wissensregimen.

 

Grundsätzlich kann einem transregionalen, trans- bzw. internationalen Gedankenaustausch sicherlich viel Potential zugeschrieben werden. So wird der Beitrag von nicht-westlichen WissenschaftlerInnen zu relevanten wissenschaftlichen Debatten, gerade zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschlechterforschung – aus verschiedenen Gründen - noch immer nicht ausreichend wahrgenommen und wertgeschätzt. Ein gleichberechtigter internationaler wissenschaftlicher Austausch wäre daher mehr als überfällig.

 

Doch was passiert mit theoretischen Konzepten und Epistemen, wenn sie von einem lokalen und sprachlichen Kontext „globalisiert“ und in andere Kontexte übertragen werden? Wie kann man hier inhaltlichen Verlusten und Verschiebungen vorbeugen bzw. diese bewusst und deutlich machen?

 

In der praktischen Umsetzung von Internationalisierungsbestrebungen stellen sich dazu die Fragen, ob dieser Prozess beispielsweise die Chancen bietet bisher marginalisierte Stimmen hörbarer zu machen oder besteht vielmehr die Gefahr, dass diejenigen WissenschaftlerInnen oder Institutionen, die sich nicht aus eigenen Kräften internationalisieren können, dabei zusätzlich marginalisiert werden?

 

In Band 16 (2011) des Jahrbuchs möchten wir uns diesen hier skizzierten Problembereichen rund um das Thema Internationalisierung widmen, dabei könnten folgende weitere Fragen ebenfalls zum Tragen kommen:

 

* Welche Möglichkeiten haben weniger etablierte bzw. marginale Felder wie die Geschlechterforschung, diesen Ansprüchen der Internationalisierung zu genügen? Ist für die Internationalisierung der Geschlechterforschung nicht ein spezielles Konzept notwendig, das sowohl die Besonderheiten dieses disziplinär, inter- und transdisziplinären Forschungsbereichs berücksichtigt als auch die besondere Sensibilität der Geschlechterforschung gegenüber der Problematik des Deutungsanspruchs eines westlichen Feminismus?

* Geht diese abstrakte wissenschaftliche Debatte an der Realität der fortschreitenden Internationalisierung der Zivilgesellschaft (v.a. NGO, die zu Geschlechterthemen arbeiten) vorbei?

* Wie muss unter postkolonialer feministischer Perspektive (u.a. Hinterfragung von Machtverhältnissen in der Wissensproduktion) das Thema Internationalisierung diskutiert werden?

* Ganz konkret: Welche Formen von Kooperationen und Austauschprozessen sind möglich und sinnvoll? Wie sind sie bi- bzw. multinational, inter- oder transnational zu organisieren?

* Sollte Internationalisierung auch ein Qualitätskriterium für Geschlechterforschung sein? Wenn ja, nach welchen Kriterien wird diese spezielle Qualität bewertet?

* Können nicht-eurozentrische Modelle von Modernität für den Umgang mit der nicht-westlichen Geschlechterforschung fruchtbar gemacht werden?

* Was bedeutet Internationalisierung für den Umgang mit (Mutter-)Sprachen: Ist die Übersetzung oder anglisierende Vereinheitlichung sinnvoller?

* Bieten sich neue Möglichkeiten bi-, multi-, internationaler Kooperation durch neue technische Voraussetzungen?

* Wie können bei der Notwendigkeit des internationalen Austauschs ökologische Notwendigkeiten berücksichtigt werden? Welche Alternativen zu weltweiter Mobilität gibt es?

 

Prof. Dr. Dörte Segebart, Freie Universität Berlin (doerte.segebart@fu-berlin.de)

Prof. Dr. Doris Wastl-Walter, Universität Bern (wastl@giub.unibe.ch)

 

Beiträge müssen über das Redaktionssystem des Jahrbuchs eingereicht werden, eine Übermittlung per E-Mail oder Post ist nicht möglich. Die Beiträge werden einem Peer-Review-Verfahren unterzogen.

 

Einreichungsschluss für Beiträge ist der 31. Mai 2011.

 

Beiträge, die nach positiver Begutachtung fertig lektoriert und gesetzt sind, werden kontinuierlich veröffentlicht. Alle akzeptierten Beiträge bilden gemeinsam den Band 2011 des Jahrbuchs Querelles und werden bis spätestens Ende Oktober 2011 veröffentlicht.

Von:  Dörte Segebart und Doris Wastl-Walter

Publiziert von: Christof Schöch