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29.04.2009

CfP "Zwischen Präsenz und Repräsentation: Mythos in theoretischen und literarischen Diskursen"

  • Ort: Freiburg i.Br.
  • Beginn: 27.11.09
  • Ende: 29.11.09
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
  • Sprachen: Sprachenübergreifend
  • Frist: 30.05.09

"Zwischen Präsenz und Repräsentation: Mythos in theoretischen und literarischen Diskursen"

Interdisziplinäre Tagung am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS)

 

Organisatoren:

Bent Gebert (Freiburg i.Br.) und Uwe Mayer (Gießen)

 

Die vom 27.–29. November 2009 in Freiburg i.Br. stattfindende Tagung, die als siegreiches Projekt des diesjährigen Wettbewerbs für Nachwuchswissenschaftler der FRIAS School of Language & Literature ausgezeichnet wurde, widmet sich literarischen und wissenschaftlichen Mythosdiskursen. In erster Linie für Nachwuchswissenschaftler konzipiert, soll die Tagung ausleuchten, inwiefern Mythosdiskurse Funktionen des Literarischen im Spannungsfeld von Präsenz und Repräsentation verhandeln.

 

Diskurse über Mythos bilden eines der zentralen Felder, auf dem Funktionen des Literarischen formiert werden. Seit der Antike fungiert der Mythosbegriff dabei als prominente Leitvokabel, um Schnittstellen zwischen Formen und Funktionen von ›Präsenz‹ und ›Repräsentation‹ zu produzieren, zu reflektieren und zu verschieben. Hatte z.B. Platon die Verlässlichkeit literarischer Repräsentation unter dem Titel ›Mythos‹ grundsätzlich in Zweifel gezogen, so wendet Aristoteles den Mythosbegriff zum positiven poetischen Grundbegriff, um die mimetische Organisation von Wirklichkeit durch Dichtung zu beschreiben. Mittelalterliche Überlieferungen und Theorien schreiben Mythen zumeist den brisanten Repräsentationscharakter uneigentlicher Rede zu (integumentum, narratio fabulosa), deren Sinn erst zu dechiffrieren sei – und kultivieren eine hermeneutische Praxis, die noch die Mythensammlungen und Analysen Francis Bacons oder Giambattista Vicos prägt. Präsenz und Repräsentation bilden eine spannungsvolle und produktive Leitunterscheidung auch für Mythoskonzeptionen der Moderne, die über engere Begriffe des Literarischen hinaus gehen: für Freuds Re-Lektüren griechischer Mythen als Repräsentationen latenter Triebstrukturen ebenso wie für die strukturalistischen Mythenanalysen Lévi-Strauss’, die programmatisch zwischen präsenzhaften Tiefenstrukturen und wandelbaren Repräsentationen von narrativen Oberflächen unterscheiden; für Hans Blumenbergs viel beschworenes Konzept einer ›Arbeit am Mythos‹, demzufolge übermächtige Präsenzerfahrungen von Wirklichkeit mittels Repräsentation im Akt des Erzählens gebannt würden, wie für René Girards Assoziation von archaischen Mythen, Mimesis und Gewalt oder für jüngste Versuche, ›alttestamentarische Mythen‹ als Erzähl-Spuren von ›presence cultures‹ (Hans Ulrich Gumbrecht) zu beschreiben.

 

Mythosdiskurse bergen so bis in die Gegenwart hinein Verheißung und Aporie zugleich: die Verheißung, in Mythen oder Mythischem an Präsenzen unmittelbar teilhaben zu können – und die Aporie, mit dem Repräsentationscharakter von Mythen immer schon durch literarische Transformation, narrativen Abstand oder andere Arten der Verschiebung von Quellen der Bedeutsamkeit entfernt zu sein.

 

Dieser Aspekt der heterogenen und produktiven Geschichte europäischer Mythosdiskurse ist bisher kaum erschlossen. Die Tagung gilt daher dem Versuch, hierzu Beschreibungsmöglichkeiten am Leitfaden zweier komplementärer Fragen zu entwickeln:

 

(I.) Wie unterscheiden literaturwissenschaftliche, ethnologische, anthropologische, psychologische oder philosophische Mythostheorien zwischen Präsenz und Repräsentation – und inwiefern formieren sie dadurch die Wahrnehmung und/oder Produktion literarischer Mythen?

 

(II.) Wie operieren literarische Texte, die als mythisch, mythopoetisch oder als Werke einer Mythosrezeption gelten, mit der Unterscheidung von Präsenz und Repräsentation – und inwiefern verhandeln, problematisieren oder prägen sie damit Diskurse, die Mythos theoretisch reflektieren?

 

Anhand dieser Leitfragen ist zu untersuchen, inwiefern Mythosdiskurse zugleich Funktionsweisen etablieren oder verändern, die in ihren jeweiligen (historischen) Kontexten als spezifische Merkmale ›literarischer Kommunikation‹ diskutiert werden: z.B. Wirklichkeit distanzieren, reorganisieren oder symbolisieren zu können; vorbegriffliche Reflexion einleiten zu können; Kontingenz für psychische Systeme zu reduzieren und Modelle sozialer Problembildung und -lösung zu bieten; performative oder habitualisierende Kraft zu entfalten; Quasi-Wirklichkeiten zu erzeugen oder Potentiale des kulturellen Gedächtnisses zu bilden. Zahlreiche Mythostheorien verstehen sich ausdrücklich als Theorien, die grundlegende Spannungsverhältnisse von Aisthesis und literarischer Poetik beschreiben – von Platon und Aristoteles bis zu Clemens Lugowski und Blumenberg. Die weitergehende Frage der Tagung lautet daher:

 

(III.) Inwiefern prägen Mythosdiskurse die Wahrnehmung von literarischer Kommunikation überhaupt?

 

Nicht was Mythos schlechthin ist, gilt es somit zu klären – die Vielfalt von Mythosdiskursen unterläuft eine essentialistische Fragestellung von vornherein. Zu erhellen sind vielmehr Konstellationen von Präsenz und Repräsentation in Mythosdiskursen, die zugleich Funktionen des Literarischen profilieren. ›Mythos‹ – so die Arbeitshypothese der Tagung – könnte zentraler Begriff einer bisher nur ansatzweise erforschten Geschichte des Literarischen und seiner Reflexion sein, die seit je in disziplinenübergreifendem Rahmen geführt wird. Welche Möglichkeiten bietet diese Geschichte für eine kulturwissenschaftlich geöffnete Literaturwissenschaft, die systematische Frage nach Funktionen von Literatur transdisziplinär neu zu stellen?

 

Als Tagungsbeiträge erbeten werden Vorträge, die Mythostheorien bzw. Texte der ›literarischen Mythosrezeption‹ aus einer der zwei genannten Perspektiven (I: Mythos in theoretischen Diskursen; II: Mythos in der Literatur) untersuchen. Besonders erwünscht sind Beiträge, die zugleich die weitergehende Fragestellung zum Verhältnis von Mythos und Literatur engagiert aufgreifen (III). Alle Beiträge sollte verbinden, dass sie Mythosdiskurse als Gegenstand in Hinblick auf die in ihnen verhandelte Differenz von Präsenz und Repräsentation untersuchen und Anknüpfungspotential für die weitergehende Frage nach Entwürfen des Literarischen bieten. Mögliche Gegenstände könnten demnach Mythostheorien, Definitionen oder Verwendungsweisen des Mythosbegriffs, zugeordnete Praktiken und Redeweisen, als ›mythisch‹ qualifizierte literarische Texte u.a.m. sein. Welche Formen von ›Präsenz‹ und ›Repräsentation‹ Mythosdiskurse bestimmen, ist zu untersuchen: denkbar sind unter anderem zeitliche Unterscheidungen (z.B. ›Gegenwart‹ / ›Vergegenwärtigung‹), aber ebenso räumliche (z.B. ›Dasein‹ / ›Abwesenheit‹), affektive (z.B. ›Terror‹ / ›Spiel‹), modale (z.B. notwendiger ›Kern‹ / mögliche ›Variationen‹), epistemische (z.B. ›Unmittelbarkeit‹ / ›Vermittlung‹, ›Verhüllung‹), strukturale (z.B. ›Erzählen‹ / ›Erzählmuster‹, ›Relation‹), soziale (z.B. kollektive ›mentalité‹ / ›Symbolisierung‹), ontologische (z.B. ›Heiligkeit‹ / ›profane Erzählung‹), rezeptionsästhetische (z.B. ›dominanter Erzähltyp‹ / ›Korrektur‹) oder mediale (z.B. ›Praxis‹ / ›Erzählen‹ oder ›Mündlichkeit‹ / ›Schriftlichkeit‹) Verhältnisse.

 

Die Tagungsbeiträge können, z.B. in Form von prägnanten Fallstudien, sämtlichen Epochen und disziplinären Orientierungen entstammen, die eine Affinität zum Mythosbegriff aufweisen.

Bei entsprechender Qualität ist die Publikation der Beiträge in einem Tagungsband der Reihe ›Linguae & Litterae. Publikationen der School of Language & Literature im Freiburg Institute for Advanced Studies‹ (Verlag de Gruyter, Berlin/New York) in Aussicht gestellt. Kosten für Reise und Unterkunft werden allen Beiträgern erstattet. Vortrags- und Diskussionssprachen der Tagung sind Deutsch und Englisch.

 

Die Vorträge sollten eine Dauer von 20-25 Minuten nicht überschreiten. Zur Vorbereitung auf die Diskussionen werden alle Beiträger gebeten, vorab Leitfragen, Thesen, Informationen zur Argumentation oder gegebenenfalls Textpassagen einzureichen, die unter den Teilnehmern zirkuliert werden.

 

Abstracts (300-500 W.) werden bis zum 30. Mai an eine der folgenden Adressen erbeten:

Bent Gebert (bent.gebert@germanistik.uni-freiburg.de)

Uwe Mayer (uwe.mayer@anglistik.uni-giessen.de)

 

Für Fragen stehen die Organisatoren gerne zur Verfügung.

Von:  Bent Gebert

Publiziert von: Kai Nonnenmacher