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06.05.2010

Nachruf auf Helmut Lüdtke (1926-2010)

  • Ort: Kiel
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
  • Sprachen: Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Weitere romanische Sprachen

 

Die nationale und internationale Lusitanistik und Romanistik hat den Tod eines ihrer profiliertesten Altmeister zu beklagen. Helmut Hermann Wilhelm Lüdtke verstarb am 27. April in Kiel, nachdem er schon über Jahre mit seiner Krankheit zum Tode gelebt und gelitten hatte. Und doch konnte er das Leben eines Sprachwissenschaftlers und sein Lebenswerk in den Jahren der Emeritierung noch mit zwei grundlegenden Büchern abschließen, die in Universitätsbibliotheken und Instituten der Romanistik den Fachstudierenden von Nutzen sein werden.

 

Helmut Lüdtke kam aus dem Münsterland, wo er in Osnabrück am 26. November 1926 geboren wurde und seine Schulzeit bis zum Abitur verbrachte; er studierte an den Universitäten Köln, Bonn und Lissabon Romanistik, Anglistik und Allgemeine Sprachwissenschaft. Das wissenschaftliche Paradigma seiner Zeit war der Strukturalismus, in dessen theoretischem Rahmen er seine Promotion „Der lateinisch-romanische Vokalismus in struktureller Schau“ (U Bonn 1952) anlegte. Seine ersten Publikationen galten insbesondere dem Standard-Portugiesischen: im Boletim de Filologia (Lissabon) präsentierte er 1952 seine ersten beiden Aufsätze auf Portugiesisch über das phonematische System des Portugiesischen (zugänglich über www.cvc.instituto-camoes.pt), die für jede Einführung der portugiesischen Sprachwissenschaft und Phonematik ein grundlegender Baustein geworden sind. Die hiermit aufblühende saudade zu jenem kleinen Land am Atlantik verband mich mit ihm neben allen linguistischen Interessefeldern in unserer Kieler Zeit.

 

Wie andere Romanisten begann er auch als Lektor des DAAD – von 1952 bis 1956 in Venedig, um danach dann an den großen romanistischen Projekten der etymologischen Wörterbücher REW und FEW (Bonn, Münster und Basel) mitzuarbeiten. In Basel habilitierte er sich 1963 mit der Schrift „Die Mundarten Lukaniens“, wurde dort Privatdozent für drei Semester und erhielt den ersten Ruf an die Universität Freiburg, wo er von 1965 bis 1969 Romanische Sprachwissenschaft lehrte. In dieser Zeit entstand das detailreiche Werk „Geschichte des romanischen Wortschatzes“, das für viele Studierende zum Anreiz der Erweiterung des eigenen gesamtromanischen Wortschatzes in seiner dia-chronen Dimension wurde.

 

Der Universitäts- und Wohnortwechsel ging dann weiter in nördlich-preussische Richtung. An die vierjährige Periode des Ordinariats in Freiburg schloss sich siebenjährig die Professur an der TU Berlin an, die ihm weit bessere Gelegenheit zu Forschungen und Vortragsreisen bot, immer innerhalb Europas (außereuropäische romanophone Länder waren ihm aufgrund der Luft- und Seereise weniger erreichbar). Seine universitäre Laufbahn endete dann im hohen Norden an der Christian-Albrechts-Universität Kiel (1976-1992), wo er mehr als 16 Jahre als Sprachwissenschaftler zu allen romanischen Sprachen wirkte – der großen Sprachen wie Französisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch, wie aber auch der Minderheiten- oder „Kleinsprachen“, wie er sie nannte (das Maltesische, Aragonesische, Leonesisch-Asturische und Galicische). Neben Sprachgeschichte und Sprachwandel der romanischen Sprachen – insbesondere des Mittelalters und der frühen Neuzeit – lehrte Helmut Lüdtke aber auch deren Phonologie, Lexikologie und Syntax, wobei er mir den Teil (formaler) Semantik und Pragmatik in der Lehre überließ: in der Kommunikationstheorie traf man sich dann wieder. Helmut Lüdtke war ein sympathisch-offener Kollege, der sagte was er dachte, der zielstrebig seinen sprachwissenschaftlichen Problemen nachging, kooperativ und vorurteilslos die Probleme anging und gern auf Kongressen zu seinen Themen das Wort ergriff – etwa zu den italienischen Mundarten und zur Volkssprache (vox populi). Gemeinsam veranstalteten wir ein Kolloquium im November 1990 zur Linguistica contrastiva. Deutsch versus Portugiesisch, Spanisch, Französisch (erschienen in der Kieler Reihe der Acta Romanica 9, 1997). Bevor ich dann Kiel verließ, konnte ich ihm zu seinem 65. Geburtstag 1993 die Festschrift Sprachwandel und Sprachgeschichte mit 25 Beiträgen von renommierten Kollegen überreichen, die in linguistischer Ausrichtung und persönlichem Bezug ihm am besten entsprachen und damit die Breite und Anerkennung seiner Arbeiten unter Beweis stellten, was ihn herzlich beim Akt der Übergabe erfreute.

 

Die letzten, weiterhin sehr fruchtbaren Jahre des sprachwissenschaftlichen Forschers Helmut Lüdtke konnte ich dann aus dem nahen Rostock verfolgen, wenngleich seine romanische Reiselust mit den Jahren abgenommen hat. Es entstand die frz. Ausgabe seiner Monographie „Grammatischer Wandel“ (1988) unter dem Titel „Changement linguistique“ (1996) und am 11. Januar 2002 erhielt Helmut Lüdtke den Doctor honoris causa der Universität Potsdam; der schöne Sammelband „Kenntnis und Wandel der Sprachen: Beiträge zur Potsdamer Ehrenpromotion für Helmut Lüdtke“ hat diesen Festakt mit seinem sowie anderen Beiträgen überliefert. Seine Hauptkraft jedoch wendete er der Monographie „Der Ursprung der romanischen Sprachen. Eine Geschichte der sprachlichen Kommunikation“ zu, die im Westensee-Verlag seines Kollegen Harald Thun (Kiel 2005) erschienen ist – danach in vermehrter und verbesserter zweiter Auflage 2009.

 

Der polyglotte Romanist Helmut Lüdtke, der gern und mühelos Gelegenheitsreden in fließendem Latein hielt und sich als Stoiker verstand, war fraglos auch einer der ersten deutschen Lusitanisten der Nachkriegszeit.

 

Jürgen Schmidt-Radefeldt (Rostock/Kiel)

 

Von:  Jürgen Schmidt-Radefeldt

Publiziert von: Kai Nonnenmacher