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24.01.2010

Offener Brief für einen koordinierten Wiederaufbau des Bildungs- und Forschungswesens in Haiti

  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft, Sprachpraxis, Didaktik, Weitere Teilbereiche
  • Sprachen: Französisch, Sprachenübergreifend

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

als Reaktion auf das verheerende Erdbeben in Haiti verfassten unsere französischen KollegInnen einen offenen Brief; der sich für einen koordinierten Wiederaufbau des Bildungs- und Forschungswesens in Haiti einsetzt. Dieser Appell geht vor allem an die Regierungen jener Staaten, die am 25. Januar zu einer vorbereitenden Geberkonferenz für Haiti in Montreal zusammentreffen. Der Brief fordert neben einem solchen globalen Plan, der in Absprache mit den haitianischen Kollegen erarbeitet werden soll, auch Soforthilfe in Form von Stipendien und Gastdozenturen für haitianische Lehrende und Studierende.

 

Wir, der Vorstand der Gesellschaft für Karibikstudien (SOCARE), rufen Sie dazu auf, die hier abgedruckte deutsche Version des Briefes zu unterzeichnen, die in verschiedenen Medien veröffentlicht werden soll und sich an die deutschen Regierungsvertreter richtet, aber auch den verschiedenen Stiftungen übermittelt werden soll.

 

Sie können sich solidarisch erklären, indem Sie sich unter folgendem Link, der die französische Originalfassung sowie eine kreolische, englische und spanische Version enthält, als Unterzeichner eintragen. Die deutsche Fassung soll dort ebenfalls online gestellt werden.

 

www.petitiononline.com/EduHaiti/petition.html

 

Anja Bandau

(für den SOCARE-Vorstand)

 

Prof. Dr. Anja Bandau

Juniorprofessorin am

Lateinamerika-Institut/FU Berlin

chercheure invitée/Feodor-Lynen-fellow

EHESS Paris

 

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Unterstützung für den Wiederaufbau des haitianischen Bildungs- und Forschungswesens

 

All unsere Gedanken sind in diesem Moment Haiti zugewandt, einem Land, in dem wir Freunde haben, einer Gesellschaft, mit der wir im Rahmen von Forschungsprogrammen durch Lehrende und Forschende, durch unsere eigene Lehre vor Ort oder Studenten, die wir ausbilden, verbunden sind und die wir für ihren historischen Beitrag zur Geschichte der Menschheit und der Freiheit studieren.

Wir sprechen allen Haitianern unser aufrichtiges Beileid aus und wenden uns insbesondere an unsere Kollegen der Schulen und Universitäten, die vom Erdbeben zerstört wurden.

Das Ausmaß der Katastrophe ist schockierend, aber jenseits der augenblicklichen Notsituation müssen wir bereits an die Zukunft denken und den Aufbau des Bildungs- und Forschungswesens unterstützen, das -- wenn es gut organisiert ist -- eine Investition in eine bessere Zukunft darstellt. Das Erdbeben, das Haiti erlebt hat, sollte dazu anhalten, diesen dramatischen Einschnitt, der für viel zu viele Haitianer fatal wurde, als Signal für notwendige Veränderungen im Verhältnis zu diesem Land zu begreifen. Dies betrifft vornehmlich die Darstellung Haitis sowie das Konzept von internationaler Solidarität, weil sie sich gegenseitig bedingen. Weder „unabänderliches Schicksal“ noch „Fluch“ sind Ursache der Zerstörung des überwiegenden Teils der Bildungsinfrastruktur, vielmehr ist sie das Ergebnis einer massiven Landflucht und Ansiedlung in prekären Wohnlagen. Weder „blinder Aktionismus“ noch „Chaos“, sondern Würde und Widerstandskraft zeichnen die Beschreibungen des Einsturzes der École Normale Supérieure aus, und sie sind auch zu spüren in der Bitte um Wiederaufnahme der Kurse, die uns über die Mobilisierung der Recherchenetzwerke per Internet erreichten.

Die Schlüssel zu Haiti werden nicht den Ausländern überlassen, wie der haitianische Präsident René Préval konstatierte, selbst wenn die internationale Gemeinschaft um Solidarität gebeten wird.

Gérard Barthelemy, ein vor kurzem verstorbener französischer Anthropologe, hat unaufhörlich daran erinnert, dass die Fehlentwicklung Haitis umgekehrt proportional zur internationalen Hilfe verlief, die dem Land zu Teil wurde. Dies müssen wir ohne Zweifel im Hinterkopf behalten, wenn es um Bildung geht: Es gilt zu vermeiden, dass das Bildungssystem durch unkoordinierte Initiativen von Staaten, Organisationen oder Individuen aufgebaut wird. Unter der Leitung der haitianischen Verantwortlichen muss ein globales Modell erarbeitet werden, das von der Grundschulausbildung, über die technische (landwirtschaftliche und handwerkliche) bis zur universitären Bildung sowie der Ausbildung von Lehrpersonal alle Bereiche einschließt. Im Zusammenhang mit der am kommenden Montag, dem 25. Januar in Montreal stattfindenden Konferenz fordern wir jede unserer Regierungen auf, die Organisation eines internationalen Plans zu unterstützen, der synergetisch alle Kompetenzen zur Wiederherstellung des Bildungs- und Forschungssystem Haitis, das wesentlich für die kulturelle und intellektuelle Vitalität dieses Landes und Garant für sein Überleben ist, bündelt.

Ohne jedoch diese zukünftigen Entscheidungen abzuwarten, bestehen wir auf der Notwendigkeit, die haitianischen ForscherInnen und StudentInnen in ihren derzeitigen Gastländern zu unterstützen. Wir fordern die Regierung, insbesondere das Bildungsministerium auf, Ressourcen bereitzustellen, um Lehrende und Studenten durch Gastprofessuren und Stipendien kurzfristig zu unterstützen. Wir fordern die Etablierung von „Haiti-Professuren“ für Professoren und Dozenten, die Entsendung von Lehrkräften sowie die Schaffung von Ausbildungszentren in Haiti entsprechend den Bedürfnissen unserer haitianischen Gesprächspartner. Wir brauchen flexible Visaregelungen. Das sind wir unserem Ethos als Lehrende und Forschende in einer internationalen Gemeinschaft schuldig.

 

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Erstunterzeichner des Briefs in Deutschland:

 

Anja Bandau, Juniorprofessorin für Lateinamerikanistik, FU Berlin, Vorstand SOCARE

Marianne Braig, Professorin für Politikwissenschaft, FU Berlin

Sabine Bröck, Professorin für Nordamerikastudien Universität Bremen, Sprecherin von INPUTS,

Sergio Costa, Professor für Soziologie, Direktor des Lateinamerikainstituts, FU Berlin

Barbara Dröscher, Privatdozentin, Institut für Romanistik Universität Rostock

Jörg Dünne, Professor für romanistische Literaturwissenschaft, Universität Erfurt

Ottmar Ette, Professor für Romanistische Literaturwissenschaft, Universität Potsdam

Susanne Gehrmann, Juniorprofessorin für westafrikanische Literaturen, HU Berlin

Michael Hoenisch, Professor für Nordamerikastudien, John-F.-Kennedy-Institut, FU Berlin

Brigitte Kleine, Journalistin, Mainz

Gesine Müller, Leiterin der Nachwuchsgruppe Transkoloniale Karibik, Universität Potsdam

Elke Richter, Romanistin, Universität Bremen

Arturo Rodriguez-Bobb, Soziologe, Berlin

Roland Spiller, Professor für Romanistik, Universität Frankfurt/Main

Andrea Schwieger-Hiepko, Universität Hildesheim,

Natascha Ueckmann, Romanistin, Universität Bremen, Institut für Postkoloniale und Transkulturelle Studien (INPUTS)

Martha Zapata Galindo, Privatdozentin, Lateinamerikainstitut FU Berlin, Vorstand SOCARE

Zinka Ziebell, Lektorin für Portugiesisch, Universität Bremen

 

Von:  Anja Bandau

Publiziert von: jd