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27.08.2008

CfP: "Alterität des Mittelalters? Aufforderung zur Revision eines Forschungsprogramms"

  • Ort: München
  • Beginn: 21.11.08
  • Ende: 22.11.08
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft
  • Sprachen: Sprachenübergreifend

Im Jahr 1977 von dem Romanisten Hans Robert Jauß geprägt, steigt ‚Alterität‘ in den 1990er Jahren zu einem Leitbegriff der interdisziplinären Mediävistik auf, welcher den „Diskurs über die kulturell-historische (vertikale) Distanz zwischen Mittelalter und Moderne“ bezeichnet. Seine Plausibilität bezieht er etwa von jenen theoretischen Überlegungen aus dem Umkreis der Postmoderne, die eine absolute Anerkennung aller Arten kultureller Fremdheit einfordern und jede Form einer verstehenden Aneignung unter den Verdacht des Kolonialismus stellen. Auch die (verspätete) Konjunktur der Ethnologie spielt hier eine wichtige Rolle, enthält doch beispielsweise Clifford Geertz’ Methode der ‚dichten Beschreibung‘ das Versprechen, einen nicht-hermeneutischen Zugang zu anderen Kulturen zu eröffnen. Andere Theoreme wie das der historischen Anthropologie, der Performativität, der Präsenz, der Medialität, der Ritualität usw. lagern sich hier an und tragen zum Gesamtbild einer ausgeprägten Andersartigkeit des Mittelalters bei. In den verschiedenen mediävistischen Fächern entsteht eine Reihe grundlegender Studien, welche die Eigenheit ihrer Gegenstände herausstellen, etwa Hans Beltings „Bild und Kult“ oder Jan-Dirk Müllers „Spielregeln für den Untergang“. Sie werden flankiert von einer mittlerweile unübersehbaren Anzahl weiterer Arbeiten, welche die Fremdheit des Mittelalters akzentuieren.

 

Gerade weil die Mediävistik dem Paradigma der Alterität wirklich wichtige Impulse verdankt, scheint es sinnvoll, es nun auch einmal kritisch zu befragen. Denn nur so lässt sich der Gefahr steuern, dass das Konzept der Alterität vollends zum Dogma erstarrt – eine Gefahr, die sich in einem zunehmend habitualisierten Begriffsgebrauch abzeichnet.

Anlass für eine solche Revision könnten etwa die folgenden Probleme bieten:

 

1) Schwächen im Bereich der Theorie

Bei näherem Hinsehen zerfällt das Konzept der Alterität in unvereinbare Positionen. So zielen die Entwürfe von Hans Robert Jauß immer noch auf eine Horizontverschmelzung hin, welche das Fremde im Bekannten respektive die Alterität in der Modernität aufgehen lässt. Dagegen legt Peter Czerwinski das Mittelalter auf eine radikale Andersartigkeit fest, indem er ihm eine eigene Art des Zeichengebrauchs zuschreibt. Beides unter Alterität zu verbuchen, geht im Grunde genauso wenig an, wie die theoretischen Probleme zu übersehen, die sowohl Jauß’ Hermeneutik als auch Czerwinskis Geschichtsphilosophie aufweisen. Dass die Mediävistik sich um solche Probleme bislang nicht groß gekümmert hat, obwohl sie seit Jahren ständig von Alterität spricht, weckt den Verdacht, dass es sich bei ‚Alterität‘ eher um einen Begriff handelt, der Stimmungswerte transportiert – etwa: ‚meine Arbeit entspricht aktuellen (kultur-)wissenschaftlichen Interessen‘ –, als um ein echtes Forschungsparadigma. Ob es die Anstrengung lohnt, es zu einem solchen zu machen, wäre zu diskutieren.

 

2) Alles anders? und: Anders als was?

Ein Grundproblem der Kategorie ‚Alterität‘ besteht darin, dass sie es nahelegt, zwischen dem Mittelalter und der Moderne eine Fundamentalopposition zu etablieren. In der Folge erscheinen beide Epochen weit monolithischer, als sie es (gewesen) sind. Verdeutlichen lässt sich das Gemeinte an der Diskussion um die Medialität, die der oralen Kultur des Mittelalters gerne die Schriftkultur der Moderne gegenüberstellt. Eine genauere Analyse erweist das Mittelalter freilich als semiorale Mischkultur, während sich in der Gegenwart Phänomene einer Reoralisierung beobachten lassen. Der Begriff ‚Alterität‘ scheint gerade nicht geeignet, genaue und differenzierte Beschreibungen anzuleiten, sondern er führt eher zur Formulierung plakativer Gegensätze. Aus diesem Grunde wäre zu überlegen, ob er nicht besser durch offenere und neutralere Termini wie den der ‚Historizität‘ zu ersetzen wäre. Verschärft wird die eben skizzierte Problematik dadurch, dass sich auch der Gegenhalt eines ‚anderen Mittelalters‘, nämlich die Moderne, bei näherem Hinsehen in eine Vielzahl unterschiedlicher und ungleichzeitiger Elemente und Strukturen auflöst, gerade, wenn man Moderne nicht einseitig als westliche Moderne begreift und wenn man ihre Spaltung in klassische Moderne, Postmoderne und Post-Postmoderne berücksichtigt. Dagegen arbeiten Mediävisten, die die Andersartigkeit des Mittelalters betonen, vielfach mit klischeehaften Abziehbildern einer monolithischen Moderne, und das Paradigma ‚Alterität‘ liefert ihnen die Rechtfertigung dafür, die etablierten Fachgrenzen zu respektieren und sich ganz auf die Bestellung des eigenen, eng abgesteckten Gärtchens mit seinen merkwürdigen Gewächsen zu konzentrieren.

 

3) Alterität als Bearbeitung von Defiziten

Ein weiteres Problem ist mit dem eben skizzierten eng verknüpft: Wer als Mediävist im Modus der Alterität argumentiert, läuft leicht Gefahr, andernorts angefertigte Beschreibungen aufzunehmen und sich an ihnen abzuarbeiten. Diese Beschreibungen, die in den neueren Abteilungen der verschiedenen Fächer, aber auch in der Soziologie produziert werden, laufen häufig darauf hinaus, die Vormoderne unter die Vorzeichen eines defizitären ‚Noch nicht‘ zu stellen. Im Hinblick auf diese Diskurslage könnte man sich fragen, ob sich der Erfolg der Kategorie ‚Alterität‘ in der Mediävistik nicht vor allem der Hoffnung verdankt, die vorgeblichen Defizite des Mittelalters irgendwie zu adeln. Gegen eine solche Sichtweise, die die Mediävistik einem permanenten Rechtfertigungsdruck aussetzt, sollte man mittelalterliche und moderne Phänomene unbefangen zueinander in Beziehung setzen und nach funktionalen Äquivalenzen oder auch nach verbindenden Traditionen fragen. Zu denken wäre hier an bestimmte Typen von Rationalität genauso wie an bestimmte Formen von Kunst. Solche Arbeiten könnten das Bild vom anderen Mittelalter mit neuen Ansichten anreichern und es gegebenenfalls auch korrigieren.

 

4) Aufmerksamkeitslenkung

Geht man hingegen immer gleich von der Prämisse der Alterität aus, lenkt das die Aufmerksamkeit auf bestimmte Forschungsthemen und Erklärungsmuster. Was die Wahl wissenschaftlicher Themen angeht, besteht die Gefahr, dass das Mittelalter auf das Bizarre, Kuriose oder Exotische reduziert wird. Schwerer wiegt jedoch das Problem, dass alternative Erklärungsansätze durch die Vermutung der Alterität blockiert werden, die derzeit gegenüber allen Alternativen einen Plausibilitätsvorsprung besitzt. Eine differenzierte Wahrnehmung hätte demgegenüber zu prüfen, ob es nicht bei bestimmten Themen sinnvoll sein könnte, wieder verstärkt mit Universalien zu argumentieren. Solche könnten etwa aus ganz grundlegenden Eigenschaften der Medien Sprache oder Bild abgeleitet werden, derer sich mittelalterliche wie moderne Sprach- oder Bildkünste bedienen. Oder sie könnten im Rekurs auf die (Evolutions-)Biologie, die Psychologie usw. gewonnen werden – eine Diskussion, die gerade anläuft. Solche und andere neue Fragen könnten eine Reaktion darauf darstellen, dass das Konzept der Alterität nach 20 Jahren doch Symptome der Auszehrung aufweist. Gefragt sind also Beiträge, die sich mit dem forschungsleitenden Konzept der Alterität auseinandersetzen, es auf seine Leistungen, vor allem aber auch auf seine Grenzen befragen, die Möglichkeiten eines Weiterdenkens andeuten usw. Anzusiedeln ist Alterität dabei durchgehend auf der Metaebene, es soll nicht ein weiteres Mal um die Wahrnehmung des Fremden im Mittelalter gehen. Besonders erwünscht sind provokante Beiträge, die eine Diskussion herausfordern können, die für das Selbstverständnis der Mediävistik zentral sein könnte.

 

Themenvorschläge mit einem kurzen Abstract werden bis zum 1. Oktober 2008 erbeten an:

 

PD Dr. Manuel Braun

Institut für deutsche Philologie

Schellingstr. 3

D-80799 München

manuel.braun@germanistik.uni-muenchen.de

 

Konzept und "call for papers" (pdf-Download)

www.brackweder-ak.de/CFP_Alteritaet.pdf

 

Von:  Manuel Braun

Publiziert von: Kai Nonnenmacher