CfP: "Der Vergleich", Deutsch-französisches Nachwuchsseminar
- Ort: Moulin d'Andé, Eure, Frankreich
- Beginn: 15.09.09
- Ende: 19.09.09
- Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
- Sprachen: Französisch
- Frist: 11.05.09
CIERA (Centre interdisciplinaire d'études et recherches sur l'Allemagne)
und FU Berlin, mit Unterstützung der Deutsch-französischen Hochschule
Der Vergleich ist mit den Schriften von Max Weber und Émile Durkheim
eine der grundlegenden Methoden der Sozialwissenschaften geworden und
hat weit über die Soziologie hinaus die strukturale Anthropologie, die
Ethnologie, die Linguistik, die Rechtswissenschaften, die Geographie und
in geringerem Maße auch die Geschichtswissenschaften, daneben aber auch
die Literaturwissenschaften und weitere ästhetische Disziplinen geprägt.
Seit seinen Anfängen ist der Erfolg der komparativen Methode mit der
Zunahme der Untersuchungsfelder und der Suche der Wissenschaft nach
einem „universalistischen Standpunkt“ verbunden.
Diese Entwicklungen sind heute kritisch zu hinterfragen. Nicht nur die
Annahme der Wissenschaft, dass man eine Interpretation finden könne, die
integrativ ist, ist angesichts des enormen Anwachsens von Informationen
in immer mehr Wissensgebieten problematisch geworden. Auch die
Analyseeinheiten der Wissenschaft sind aufgrund der im Rahmen von
Globalisierungsprozessen zu beobachtenden Vernetzung von Bereichen und
Akteuren in einem solchen Maße miteinander verwoben, dass es
problematisch ist, einzelne Aspekte zu isolieren, um sie miteinander zu
vergleichen. Darüber hinaus sind die westlichen Sozialwissenschaften
durch die postcolonial studies in Kritik geraten. Universalistische
Ansprüche sind von nicht westlichen Gesellschaften zurückgewiesen und
mit neuen und komplexen Konstruktionen beantwortet worden, in denen die
Rückkehr zu so genannten autochthonen Traditionen und die Aufnahme von
Elementen aus den westlichen Diskursen, in Form der Selbstbestätigung,
ineinander greifen (cf die Debatten, die Edward W. Said in Orientalismus
1978 auslöste)
Die Vervielfältigung der Perspektiven hat zu einer Schwächung der
analytischen Kategorien der Geistes und Sozialwissenschaften geführt,
für die nicht nur der Anspruch rationaler Erkenntnis, sondern auch die
Suche nach einer objektiven und integrativen Methode fragwürdig geworden
ist. Vor diesem Hintergrund, und nicht zuletzt um dem Risiko des
Kulturrelativismus zu begegnen, sind die epistemologischen Grundlagen
und die empirischen Verwendungen einer methodischen Operation, die für
die Produktion von Wissen in den Geistes- und Sozialwissenschaften
grundlegend ist, neu zu bewerten.
Der zunehmende Einfluss der Globalisierung und die neuesten
Veränderungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften haben auch die
Methoden und Objekte des Vergleichs grundlegend verändert. Zwar galt der
Vergleich schon immer als eine besonders effiziente Methode,
Forschungsobjekte analytisch voneinander zu trennen und
Analysekategorien, die national definiert sind, in Frage zu stellen.
Inzwischen aber ist die vergleichende Methode mehr als ein theoretisch
reflektierter Ansatz, Objekte und nationale Kontexte in Hinblick auf
Ähnlichkeiten und Unterschied zu untersuchen. Es gibt eine Reihe von zum
Teil sehr verschiedenen Neuansätzen die es sinnvoll erschienen lassen,
die epistemologische Reflektion über die Operationen des Vergleichs
wieder aufzunehmen. Es handelt sich um Transferstudien, Studien von
Zirkulationsprozessen, histoire croisée, intertwined oder entangled
history. Die Besonderheit dieser Ansätze besteht in der Konstruktion von
Forschungsobjekten, die „den einfachen gegenüberstellenden Vergleich“
hinter sich lassen. Gegen den Zwang zur Stabilisierung, der mit der
klassischen komparativen Methode verbunden ist, bestehen sie auf der
Diachronie sozialer Interaktionen und der Unabhängigkeit der Einheiten,
die miteinander in Verbindung gebracht werden.
So sind zwar die epistemologische Vorzüge der komparativen Methode
ebenso unbestritten wie ihre Stellung als eine Art kategorischer
Imperativ in den verschiedenen Disziplinen der Geistes- und
Sozialwissenschaften, dennoch stellen sich in der Operationalisierung
des Vergleichs grundlegende methodische Fragen, die im Seminar
diskutiert werden sollen:
Zunächst sind die verschiedenen Ansätze zu evaluieren. Die Zunahme an
theoretischen Vorschlägen und Formen der Objektkonstruktion sowie der
Konzepte aus den verschiedenen Disziplinen der Geistes- und
Sozialwissenschaften macht einen reflexiven Vergleich der Leistungen und
auch der „blinden Flecke“ der einzelnen Beiträge nötig. Das von CIERA
und FU gemeinsam organisierte Seminar stellt durch seinen
pluridisziplinären Ansatz und die Gegenüberstellung deutscher und
französischer Forschungstraditionen einen geeigneten Rahmen für ein
solches grundlegendes Nachdenken über eine Adaptation der Methoden an
die Objekte und Hypothesen der Forschung dar.
In einem zweiten Schritt ist danach zu fragen, wie das Vergleichsobjekt
konstruiert wird. Insbesondere wäre dabei die komplexe Verbindung
zwischen der Wahl des Objekts oder der Objekte (deren Anzahl,
Untersuchungsebenen sowie der Verflechtungen und Verbindungen zwischen
den Objekten) und dem Standpunkt des Betrachters zu thematisieren. Der
Vergleich wird nicht als eine stilisierte Repräsentation der Realität
verstanden, sondern als eine – durch die Auswahl von Fakten und das
Festlegen von Vergleichsmaßstäben erfolgte – Transformation der
Realität. In dieser Konzeptualisierung trägt der Vergleich dazu bei,
Normen, Repräsentationen und Untersuchungsebenen eines « Reellen » zu
transformieren, das durch den Forschungsprozess selbst hergestellt wird.
Zu den Zielen des Seminars gehört es, die verschiedenen Operationen, in
den Blick zu nehmen, die an der Konstruktion des Vergleichs beteiligt
sind und seine Produktivität ausmachen: die Abgrenzung der räumlichen
und zeitlichen Koordinaten, die Konstruktion von angemessenen
Untersuchungsebenen (in räumlicher und zeitlicher Hinsicht, ebenso wie
in Bezug auf soziale Faktoren), die Bedeutung des Standpunkts des
Betrachters (der sich entweder in gleicher Distanz zwischen den zu
vergleichenden Einheiten oder in einer asymmetrischen Position
befindet). Darüber hinaus wendet sich das Seminar dem Phänomen des
„asymmetrischen Vergleichs“ zu, bei dem Analysekategorien eines Objekts
auf ein anderes übertragen werden.
Abschließend sind die analysierten Phänomene und Vergleichsstrategien im
Kontext der Globalisierungsprozesse zu verorten. Ausgehend von der
Überlegung, dass das Reden von Globalisierung immer nach einem Vergleich
verlangt, wird im Seminar nach Ursache und Wirkung dieser Entwicklungen
gefragt. Weit über die Geistes- und Sozialwissenschaften hinaus ist seit
den 80er Jahren eine bemerkenswerte Zunahme komparativer Techniken und
ihrer Anwendung in Politik und Gesellschaft zu beobachten. Inter- und
supranationale Organisationen, die NGOs, wie auch Unternehmen und Medien
produzieren eine Vielzahl von Klassifizierungen, rankings, Listen,
Graphiken, Vergleichsstudien und Diskursen, die auf der Logik des
Vergleichs aufbauen. Auffällig ist insbesondere eine verstärkte
gesellschaftliche und politische Nachfrage nach dem Vergleich, die in
einem allgemeinen Wettbewerbsdenken zum Ausdruck kommt, was
grundsätzlich den Vergleich zwischen sozialen und institutionellen
Akteuren einschließt.
Entscheidend für diese Entwicklungen ist vor dem Hintergrund der Krise
der Nationalstaaten und dem Aufbau Europas eine Art Wahlverwandtschaft
zwischen komparativen Methoden und der zunehmenden Bedeutung von
Wettbewerb und Konkurrenzen in den unterschiedlichsten Bereichen des
menschlichen Lebens. Eine Problematisierung des Vergleichs, die dessen
Platz in den Geistes- und Sozialwissenschaften bestimmen will, muss auch
dessen gesellschaftliche Rolle im Kontext der Globalisierung
berücksichtigen. Dennoch besteht jenseits aller politischen,
gesellschaftlichen und medialen Verwendungen die Notwendigkeit die
Spezifität universitärer Arbeiten zu definieren oder um den Begriff des
Politologen Jacques Lagroye zu benutzen, ihr spezifisches « régime de
vérité ». Mit dieser Erweiterung des Fragehorizonts verbindet das
Seminar die Problematisierung des „Vergleichs“ mit dem Nachdenken über
die Bedingungen der Autonomie der wissenschaftlichen Methodik, die immer
wieder und insbesondere den Geistes- und Sozialwissenschaften streitig
gemacht wird.
Für die Diskussion werden fünf Fragekomplexe vorgeschlagen:
- Globalgeschichte, Vergleich und Transkulturalität
- Der diachrone Vergleich
- Die Kategorien des Vergleichs
- Strategien/Praktiken des Vergleichs
- Vergleichsfelder und Kontextualisierung
ABLAUF:
Das Seminar findet von Dienstag, den 15.9., nachmittags bis Samstag, den
19.9.2009, nachmittags statt. Jede halbtägige Sitzung beginnt mit dem
Vortrag einer/s Spezialistin/en. Darauf folgen jeweils die Vorstellung
und Diskussion der Beiträge der Teilnehmer/innen.
TEILNEHMERKREIS:
Das Seminar bietet 25 Nachwuchswissenschaftler/innen (Doktorand/innen
oder Postdocs) die Möglichkeit zur Teilnahme, unabhängig von ihrer
Nationalität und davon, ob sie in einer vergleichenden Perspektive
arbeiten oder nicht bzw. ob ihr Projekt Deutschland oder Frankreich zum
Thema hat. Die Arbeitssprachen des Seminars sind Deutsch und
Französisch. Jede/r Teilnehmer/in kann sich in der Sprache ihrer/seiner
Wahl ausdrücken. Erwartet werden jedoch zumindest ausreichende passive
Kenntnisse der jeweils anderen Sprache.
TAGUNGSORT:
Le Moulin d’Andé, Departement Eure (nächster Bahnhof: Val-de-Reuil, der
Transport vom Bahnhof zum Moulin d’Andé wird durch Sammeltaxis
sichergestellt)
BEWERBUNG:
Alle Bewerber/innen um eine Teilnahme werden gebeten, ein entsprechendes
Online-Formular auf den Internetseiten des CIERA auszufüllen. Die
Auswahl der Teilnehmer/innen erfolgt auf der Grundlage der
Bewerbungsunterlagen, zu denen gehören: ein wissenschaftlicher
Lebenslauf, eine Skizze der laufenden Forschungsarbeiten und ein auf die
Thematik des Seminars abgestimmter Textvorschlag, aus dem der Beitrag
während des Seminars hervorgehen muss. (Bewerber/innen, die nur als
Hörer/innen und Kommentator/innen teilnehmen wollen, werden gebeten, nur
einen Lebenslauf und eine Skizze ihrer laufenden Forschungsarbeiten
einzusenden.)
EINSENDENSCHLUSS für alle Bewerbungen:
11. Mai 2009
TEILNAHMEKOSTEN:
50 EUR (Einschreibgebühren und Beitrag zu den Verpflegungskosten). Die
Reisekosten (Bahn 2. Klasse oder Flugzeug zum günstigsten Tarif) und die
sonstigen Aufenthaltskosten werden vollständig von den Organisatoren
getragen.
Eliane Beaufils
CIERA, Maison de la recherche
28 rue Serpente
F-75006 Paris
beaufils@ciera.fr
Publiziert von: Kai Nonnenmacher