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02.08.2012

CfP: Sektion "Der Augenblick als Herausforderung lyrischen Sprechens - Motiv und Denkfigur der Moderne", XXXIII Romanistentag Würzburg 2013

  • Ort: Würzburg
  • Beginn: 22.09.13
  • Ende: 25.09.13
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft
  • Sprachen: Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Weitere romanische Sprachen, Sprachenübergreifend
  • Frist: 20.11.12

Der Augenblick ist Ewigkeit. Goethes Satz formuliert in nuce den Anspruch und die Komplexität des Begriffs 'Augenblick', der immer schon das Denken herausgefordert hat. Seine lange Tradition hat ein enormes Bedeutungsspektrum hervorgebracht, das so Unterschiedliches bezeichnet wie Ek­stase, leere Gegenwart oder Epiphanie.

 

Philosophie, Theologie und Literatur ringen seit jeher um ein angemessenes Verständnis des Augen­blicks, der diskursübergreifend sowohl Motiv als auch Denkfigur ist. Der Augenblick stellt eine Kristallisationsfigur dar, in der das Ganze auf dem Spiel steht: In der Gegenwart zu leben, verheißt seit der antiken Ethik die Möglichkeit eines glücklichen Lebens. Der göttliche Kairos muss wie die sprichwörtliche Gelegenheit beim Schopfe gepackt werden.

 

Der Coup d'œil kann die Gabe bezeichnen, einen militärischen Vorteil zu erkennen, aber auch ganz all­gemein die Möglichkeit des Denkens, Analogien und Korrespondenzen zu entdecken. Ein Ereig­nis kann wie ein Blitz einschlagen: Der messianische wie auch der apokalyptische Augenblick än­dern den Lauf der Geschichte. Der entscheidende Augenblick im Plot verschiebt den Sinn des Gan­zen. Schöne Augenblicke ebenso wie traumatische Erlebnisse sind die Fixpunkte der Erinnerung und der persönlichen Existenz.

 

Der Moment der göttlichen Inspiration, eine außerordentliche Form des Wahnsinns, kann poetisches Schaffen ermöglichen, aber auch überfordern. Die unio mystica er­öffnet dem Gläubigen die Erfah­rung der Präsenz Gottes und fordert die Sprache dazu heraus, das Unsagbare zu sagen. Der momen­to di innamoramento ist zugleich unmögliche Liebe und Chance des ly­rischen Sprechens. Der Au­genblick des Schweigens kann sowohl das Scheitern der Spra­che an der Wirklichkeit als auch die performative Bewältigung einer Leerstelle bedeuten. Der er­habene Augenblick verkörpert nicht nur eine ausgezeichnete Selbst- und Landschaftserfahrung, sondern wie der Schock eine Herausforde­rung des Subjekts, sich zu seiner Endlichkeit zu verhalten. Die Erfah­rung der sinnentleerten Gegen­wart kann das Individuum in die Verzweiflung treiben, in der Litera­tur ist sie aber auch Herausfor­derung und Chance des zur Sprache Kommens.

 

Augenblicke lautet das erste Kapitel des Museums der modernen Poesie, und in der Tat ist es immer eine Herausforderung für die Lyrik gewesen, Augenblicke darzustellen, zu reflektieren und zu hin­terfragen. Die Geschichte der europäischen Lyrik ist auch die des lyrischen Augenblicks. Dabei ist der Augenblick traditionell eine besondere Form der Gegenwartserfahrung, aber auch eine Produktio­n von Präsenz, die eng mit der Frage nach dem Subjekt verknüpft ist:

 

Die Relevanz der Frage nach dem Augenblick auch für unsere eigene Gegenwart– gerade als Wech­selbegriff von subjektiver Erfahrung und literarischer Gestaltung – kristallisiert sich beispielhaft daran, ob und wenn inwiefern Gumbrechts These vom historischen Zeitbewusstsein der klassischen Moderne gegenüber unserer breiten Gegenwart zuzustimmen ist (Gumbrecht 2012). Wie konnte sich ein Verständnis des Augenblicks als reiner Übergang und infinitesimale Zeitkürze, für die paradigmatisch Baudelaire einsteht, entwickeln? Eine Antwort müsste sich notwendig zu der Frage verhalten, wie der Tod des Autors oder der Autor als Geste (Agamben 2005) zu verstehen und zu bewerten ist. Diese Korrelation von Augenblick und Subjekt fordert eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit und der Form von Literaturgeschichtsschreibung überhaupt, da sich in ihr auch immer das jeweilige Selbstverständnis der Gegenwart reflektiert.

 

Die geplante Sektion will epochenübergreifend und in interdisziplinärer Ausrichtung die Gestaltung des Augenblicks in den romanischen Literaturen untersuchen. Die komplexe Frage, wie und warum Au­genblicke in der Moderne gestaltet werden, ist eine Chance für den wissenschaftli­chen Dialog.

 

Bitte reichen Sie bis zum 20. November 2012 den Vorschlag Ihres Sektionsbeitrag ein.

 

Organisation: Michael Bernsen, Milan Herold

Kontakt: mherold@uni-bonn.de

Von:  Milan Herold

Publiziert von: cs