Die Sprache(n) der Comics
- Ort: Heidelberg
- Beginn: 16.06.09
- Ende: 17.06.09
- Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
- Sprachen: Französisch, Italienisch, Sprachenübergreifend
Die Sprache(n) der Comics
Internationales Wissenschaftsforum Heidelberg (IWH)
Comics können als wichtiger Knotenpunkt im Netzwerk der zeitgenössischen Kultur angesehen werden, denn kein anderes Genre übt eine derartig „vermittelnde“ Funktion aus wie Comics. Genau genommen sind Comics an sich das Ergebnis einer „Vermittlung“, besser gesagt einer Interaktion zwischen Text und Bild: ein Comic entsteht nämlich dann, wenn durch das Einfügen einer Sprechblase ein geschriebener Text Teil einer Zeichnung wird, wobei das bildliche und das geschriebene Element in einem ausgewogenem Zusammenspiel gleichermaßen zur Erzählung beitragen.
Trotz ihrer wesentlich innovativen Rolle im Bezug auf andere Kulturformen und
-medien (sowohl visuelle als auch textuelle), gehören Comics zu den Phänomenen des gegenwärtigen Alltagslebens, die von der universitären Forschung vernachlässigt werden. Obwohl Comics aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven analysiert werden könnten (Literaturkritik, Kunstgeschichte, Sprachwissenschaft, Semiotik, Soziologie, Medienwissenschaft usw.), tritt man ihnen von Seiten der Universitätswelt größtenteils mit Nichtbeachtung entgegen. „Comic-Forschung“ wird nur vereinzelt praktiziert und gründet dann meistens im individuellen Interesse von einzelnen Wissenschaftlern.
Mangelndes wissenschaftliches Interesse muss man vor allem auch der Linguistik ankreiden: Comics entstehen aus der untrennbaren Wechselbeziehung zwischen Text und Bild, das Hauptaugenmerk der Forschung richtete sich - wenn überhaupt - auf die Analyse des visuellen Teils (beispielsweise aus semiotischer Sicht in seiner Relation zum Text), während die Untersuchung des verbalen Elements kaum Platz im Wissenschaftsbetrieb gefunden hat.
Ist die Sprache in Comics wirklich so irrelevant, stereotypiert und somit des wissenschaftlichen Interesses unwürdig? Oder kann sie vielleicht als Gradmesser wenn nicht sogar als Motor für Sprachwandelerscheinungen gesehen werden? Die Bedeutung der Textsorte Comics für die Entwicklung der Gegenwartssprache(n) verdient, ausführlich untersucht zu werden, denn Comics stellen ein bislang noch unerforschtes Gebiet dar, was Sprachexperimente, fingierte Mündlichkeit, „Register“-mixing-Phänomene, lexikalischen Erfindungsgeist, sprachlichen Gebrauch von Lautsymboliken und Wortspielereien in all ihren Facetten betrifft. Comics stellen Normen sui generis für die eigene Textsortengestaltung auf, des weiteren beeinflussen sie als sprachlich besonders kreative Textsorte wie u. a. die massenmedienrelevanten Formen Werbung u. Ä. das Normgefüge der Gegenwartssprache gewissermaßen als Keimzelle oder Generator eines informellen sprachlichen Standards.
Dieser Workshop, welcher auf eine interdisziplinäre Ausrichtung besonders Wert legt, verfolgt zwei parallele Zielsetzungen: Es geht zum Einen darum, die Charakteristika der Comic-Sprache herauszuarbeiten und zu beschreiben, indem einige Konstanten ausgemacht werden sollen, die für diese Textsorte als grundlegend angesehen werden können. Im Grunde genommen soll somit die Hypothese verifiziert werden, ob eine eigene Comic-Varietät existiert, die sich von der Sprache anderer Textsorten unterscheidet, und wie die bestimmenden Charakterzüge einer solchen Comic-Sprache aussehen.
Eine Untersuchung der Comic-Sprache kann auf der anderen Seite nicht vom massenmedialen Charakter der Comics absehen. Deswegen muss die Frage gestellt werden, inwieweit der Comic – und vor allem seine Sprache – die eigene Leserschaft beeinflusst. Die außergewöhnlich große Verbreitung der Comics im europäischen Raum (man denke vor allem an „Traditionsländer“ wie Frankreich, Belgien, Italien, Großbritannien), wo Comics zu unterschiedlichen Zeiten von den kulturellen Institutionen ignoriert, stigmatisiert, verboten und dann doch akzeptiert (in manch seltenerem Fall sogar auch lobgepriesen) wurden, rechtfertigt nämlich die Hypothese, dass wenn auch keine direkte Einflussnahme stattfindet bzw. stattfand, so doch zumindest eine auffällig parallele Entwicklung zwischen der Comic-Sprache und den einzelnen nationalen Gegenwartssprachen zu erkennen ist.
Mit dem Workshop soll dann diese Comic-Sprache mit dem Werdegang und Entstehungsprozess der betreffenden Gegenwartssprachen (hauptsächlich Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch) in Beziehung gesetzt werden. Es soll auf diese Weise verifiziert werden, ob und inwieweit diese bestimmte sprachliche Varietät, die hier eben mit dem alltagssprachlichen Schlagwort «Comic-Sprache» etikettiert wird, sich anbietet, als eine Art Spiegel (zum Teil auch als Zerrspiegel) für die Veränderungen und Entwicklungen innerhalb der informellen Sprachregister unterschiedlicher nationaler Gegenwartssprachen zu fungieren. Außerdem wird somit das Hauptaugenmerk auf eine sprachliche Erscheinungsform gerichtet, die sich von der im klassisch-literarischen Kanon verwendeten, schriftlich fixierten Hochsprache unterscheidet.
Der Workshop ist interdisziplinär ausgerichtet, nicht nur im Hinblick auf die unterschiedlichen Nationalsprachen (Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch), anhand derer die Comic-Sprache beleuchtet wird, sondern auch weil die Analyse von linguistischen Aspekten im Comic immer auch einen literaturwissenschaftlichen, einen semiotischen und einen kulturwissenschaftlichen Ansatz mitberücksichtigen muss, um der komplexen Wesensart des Comics als Text-Bild-Sequenz-Einheit gerecht zu werden. Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen und Linguisten aus unterschiedlichen Philologien soll der Workshop ein Forum bieten, um einen fruchtbaren Austausch und eine lebendige Kommunikation zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang möchte der Workshop Die Sprache(n) der Comics also nicht nur Comic-interessierte Wissenschaftler ein Diskussionsforum bieten, sondern vielmehr Sprachwissenschaftler dazu bewegen, sich mit der Comic-Sprache auseinander zu setzen und die Wechselbeziehungen zwischen der Sprache von Comics und den informellen Registern der jeweiligen Nationalsprachen zu untersuchen. Auf diese Weise soll versucht werden, erstmalig das Thema „Comic und Sprache“ auf hohem wissenschaftlichem Niveau zu behandeln, um weitere Forschungsperspektiven zu eröffnen.
Workshop “Die Sprache(n) der Comics”: Programm mit Zeitplan
16.06.09
9.30-9.45 Dr. Daniela Pietrini, Universität Heidelberg: Begrüßung und Eröffnung des Workshops.
9.45-10.15 Dr. Martin Schüwer, Geschwister-Scholl-Gymnasium, Pulheim bei Köln: Laute malen: Zum Status der Schrift in Comics.
10.15-10.30 Diskussion
10.30-11.00 Prof. Dr. Gino Frezza, Universität Salerno: Figurazione del parlato e immagine statica-dinamica nei fumetti.
11.00-11.15 Diskussion
11.15-11.45 Kaffeepause
11.45-12.15 Dr. Marcus Müller, Universität Heidelberg: „Halt’s Maul Averell!“ – Die Inszenierung multimodaler Interaktion im Comic.
12.15-12.30 Diskussion
12.30-13.00 Prof. Dr. Sergio Brancato, Universität Salerno: Il fumetto post-seriale. Trasformazioni dei comics tra storia e autobiografia.
13.00-13.15 Diskussion
Mittagspause
15.00-15.30 Dr. Christina Sanchez-Stockhammer, Universität Erlangen-Nürnberg: Comicssprache – leichte Sprache?
15.30-15.45 Diskussion
15.45-16.15 Dr. Thomas Amos, Universität Heidelberg: Die postmoderne Comic-Reihe "Ciés obscures". (Arbeitstitel)
16.15-16.30 Diskussion
16.30-17.00 Kaffeepause
17.00-17.30 M.A. Christian Grünnagel, Universität Heidelberg: Désenchantement d’un mythe. Le langage de la violence d’Astérix le Gaulois à Vae Victis!
17.30-17.45 Diskussion
17.06.09
9.30-10.00 Nelson Puccio, Universität Heidelberg: Il fumetto Disney „made in Italy“ e la sua traduzione in tedesco.
10.00-10.15 Diskussion
10.15-10.45 Dr. Daniela Pietrini, Universität Heidelberg: La fiction de l’oralité et les «mots de la communication » dans la bande dessinée francophone.
10.45-11.00 Diskussion
11.00-11.30 Kaffeepause
11.30-12.00 Prof. Dr. Edgar Radtke, Universität Heidelberg: „Linus“ und „Il Mago“: Sprachlicher Aufbruch in der intellektuell gefärbten Comic-Zeitschrift der 70er Jahre.
12.00-12.15 Diskussion
12.15-12.45 Prof. Dr. Ass. Mirko Tavosanis, Universität Pisa: La scrittura non standard nei fumetti italiani.
12.45-13.00 Diskussion
Mittagspause
15.00-15.30 Prof. Dr. Ass. Fabio Rossi, Universität Messina: Dannate lingue del Paz! Osservazioni linguistiche sui fumetti di Andrea Pazienza.
15.30-15.45 Diskussion
15.45-16.15 Prof. Dr. Wolfgang Hünig, Universität Duisburg-Essen: Englische und deutsche Karikaturen als Waffen im ersten und zweiten Weltkrieg.
16.15-16.30 Diskussion
16.30-16.45 Dr. Daniela Pietrini, Universität Heidelberg: Zusammenfassung der Ergebnisse und Bilanz. Verabschiedung der Gäste.
Publiziert von: Kai Nonnenmacher