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15.11.2008

"Stadt und Land in Mittelalter und Renaissance in der Romania": Bericht zur 2. Fachtagung des Netzwerks Mittelalter und Renaissance in der Romania (MIRA)

  • Ort: Regensburg
  • Beginn: 27.09.08
  • Ende: 28.09.08
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
  • Sprachen: Französisch, Italienisch, Spanisch

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1. Das Netzwerk

 

Das Netzwerk Mittelalter und Renaissance in der Romania (MIRA) wurde 2005 von Nach­wuchswissenschaftlern aus Romanistik und Geschichtswissenschaften mit der Absicht gegründet, Literatur-, Sprach- und Geschichtswissenschaftler zusammenzuführen, die sich mit der Romania während des Mittelalters und der Renaissance befassen. Eine erste MIRA-Fachtagung fand vor zwei Jahren unter dem Titel „Aktualität des Mittelalters und der Renaissance in der Romanistik“ in Trier statt. 2007 zeichnete das Netzwerk dann für eine Sektion „Formen der Institutionalisierung von kulturellem Wissen im Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit“ beim XXX. Romanistentag in Wien verantwortlich. Die aus diesen beiden Veranstaltungen hervorgehenden Tagungsbände erscheinen in Kürze im Wissenschaftsverlag Martin Meidenbauer, bei dem zu diesem Zweck eine eigene Reihe gegründet wurde.

 

2. Die Tagung

 

Ende September fand die zweite MIRA-Fachtagung an der Universität Regensburg statt. Als Ort einer solchen Veranstaltung lädt Regensburg in besonderer Weise dazu ein, sich mit der Bedeutung der städtischen Lebenswelt in Mittelalter und Renaissance für die romanischen Sprachen und Literaturen zu befassen, so dass sich der Titel „Stadt und Land in Mittelalter und Renaissance in der Romania“ förmlich aufdrängte. In der Veranstaltung wurden grundsätzliche Bezüge zwischen städtischer Organisationsform und romanischen Sprachen und Literaturen deutlich gemacht, etwa die Bindung romanischer Idiome und bestimmter romanischsprachiger literarischer Werke und Formen an erstere. Derartige Zusammenhänge wurden nicht nur aus sich selbst heraus aufgezeigt, sondern auch in Gegenüberstellung zu ländlichen Strukturen, Prägungen und Orientierungen. Mit den 17 sehr anregenden Vorträgen gelang es dem Netzwerk, die Romania in ihrer ganzen geographischen Breite abzudecken, also von Südost- bis Südwesteuropa. Auch der zeitliche Rahmen vom Frühmittelalter bis zur Spätrenaissance fand zur Gänze Berücksichtigung.

 

3. Das Programm

 

Nach einführenden Worten zur Thematik der Tagung durch die Veranstalter begann das Tref­fen mit dem Vortrag „Die mittelalterliche Stadt als Kommunikationsraum“ von Maria Selig (Regensburg). Sie machte grundsätzliche Unterschiede zwischen dem Aufbau einer höfischen und einer städtischen Gesellschaft klar und wies auf ihre Tragweite für die Kommunikation hin. Danach versuchte Klaus Grübl (München) mit seinen Ausführungen „Zur Geschichte der Skripta von Beauvais (13./14. Jhdt.)“, die Varianz in altfranzösischen Urkunden aus der südlichen Pikardie durch Rückbindung an städtische Kommunikationsstrukturen zu erfassen. Die Abhängigkeit auch humanistischer Bildung von den institutionellen Verhältnissen einer Stadt führte Martin Biersack (Granada) in „‘quanta utilidad viene a la republica’. Die städtische Lateinschule von Granada und der Fall des Bachiller Gonzalo Hernández“ anhand einer Episode aus dem Spanien der Renaissance vor Augen. Danach gab Elmar Eggert (Bochum) einen begriffsgeschichtlichen Überblick, für den er sich auf „Die Behandlung von Städten und Ländern in mittelalterlichen spanischen Enzyklopädien“ stützte. Lidia Becker (Trier) zeichnete in „Die Stadt- oder Bürgersprache Dalmatisch“ die romanistische Diskussion um die Stellung dieses Stadtidioms innerhalb der Romania nach. In ihr spielte der Vergleich mit ländlich geprägten balkanromanischen Sprachformen eine große Rolle. Manuel Barbera (Turin) und Ludwig Fesenmeier (Bochum) formulierten in „fare i conti: Überlegungen zu einer (Neu)Edition altitalienischer Kontobücher“ sprachwissenschaftliche Desiderata an künftige Ausgaben kaufmännischer Rechnungsbücher. Die führende Stellung italienischer Städte im Handel der Renaissance spielte auch für die Beiträge von Andrea Mozzato (Venedig) und Carolin Wirtz (Bonn) eine zentrale Rolle; allerdings zeigten sie unter dem gemeinsamen Titel „Die Anziehungskraft der Metropolen: Deutsch(sprachig)e Kaufleute und Handwerker im Venedig des Spätmittelalters“, dass Venedig eine große Zahl von Personen anzog, die nicht nur der erstgenannten Berufsgruppe angehörten, sondern in beträchtlichem Maße auch der zweiten, deren städtische Lebensrealität eine gänzlich andere war.

 

Christoph Oliver Mayer (Dresden) untersuchte „Das rinascimentale Lyon aus Sicht der Literaten“ Werke von Clément Marot, Maurice Scève und Joachim du Bellay, von denen letzterer mit La Deffence, et Illustration de la Langue Francoyse entscheidend zum Ende der literarischen Blütezeit der Stadt beitrug. Anschließend ging Imre Gábor Majorossy (Budapest) unter dem Titel „Jerusalem in der Provence. Ideal und Dasein der Stadt im Roman d’Arles“ der Bedeutung der südfranzösischen Stadt für den Zusammenhalt des Werkes nach.

 

Den zweiten Veranstaltungstag eröffnete Hermann Wetzel (Regensburg), der unter dem Titel „Boccaccio und die scrittori commercianti“ zeigte, dass Boccaccios Novellen in wichtigen Zügen vom Habitus italienischer Kaufleute der Renaissance geprägt sind. Danach ergründete Grazia Dolores Folliero-Metz (Siegen) in „Theorie und Praxis der Renaissance Stadt in Italien“, wie die bauliche Entwicklung der italienischen Städte in der Vormoderne durch De re aedificatoria von Leon Battista Alberti und dem Trattato di Architettura di Antonio Averlino, genannt Filarete, theoretisch fundiert wurde. Dass unser Blick auf die italienischen Städte jener Zeit einer doppelten Brechung unterliegt, nämlich durch die historiographischen Quellen zum einen des 15., zum anderen des 20. Jahrhunderts, machten Heinrich Lang und Christian Kuhn (Bamberg) klar. Unter dem Titel „Die mittelalterliche Stadt der Romania in der Kulturgeschichtsschreibung: Jakob Burckhardt, Johan Huizinga, Hans Baron als Quellen“ wiesen sie auf die Notwendigkeit wissenschafts- und historiographiegeschichtlicher Methoden für die Arbeit mit den Werken dieser drei Autoren hin.

 

Aus wortgeschichtlicher Perspektive führte Johannes Kramer (Trier) vor Augen, inwiefern die Bezeichnungen für „Stadt und Dorf im Romanischen und Rumänischen“ die spezifische Geschichte Südosteuropas widerspiegeln. Dem stellten Jürgen Strothmann (Paderborn) und Rembert Eufe (Regensburg) für den Westen „Die frühmittelalterliche Stadt als politische Größe. Überlegungen zum Frankenreich des 7. Jahrhunderts“ gegenüber, resultierend aus ihrer Zusammenarbeit im Rahmen eines DFG-Projekts zur Merowingerzeit. Im frühneuzeitlichen Sevilla hingegen bewegen sich die Figuren der Dialoge, die Miriam Lay Brander (Konstanz) in ihrem Beitrag zur „Konstitution städtischer Identität im spanischen Dialog der Frühen Neuzeit“ analysierte und auf für ihre Zeit repräsentative Prozesse der Identitätskonstitution hin überprüfte. Abschließend führte Kai Nonnenmacher (Regensburg) an der philosophischen Opposition von Stadt und Land in Lorenzo de’ Medicis ‘Altercazione’ die dialogische Inszenierung urbaner vita activa versus bukolischer vita contemplativa aus, weiterhin in Maurice Scèves ‘La Saulsaye’ die topographische Umdeutung des Liebesdiskurses als urbanen Gefühlsaufruhr gegenüber ländlicher Seelenruhe.

 

Abgerundet wurde die überaus geglückte Veranstaltung durch die Präsentation einer neuen Anthologie zur Troubadour-Dichtung sowie durch eine thematisch abgestimmte Stadtführung von einer Absolventin der Universität Regensburg.

 

Die Tagungsbeiträge sollen in der Reihe des Netzwerks publiziert werden.

Die nächste Tagung des Netzwerks MIRA wird in zwei bis drei Jahren in Dresden stattfinden.

 

Von:  Rembert Eufe

Publiziert von: Kai Nonnenmacher