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21.07.2011

Tagungsbericht XXVII. Forum Junge Romanistik

  • Ort: Regensburg
  • Beginn: 15.06.11
  • Ende: 18.06.11
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft, Sprachpraxis, Didaktik
  • Sprachen: Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Weitere romanische Sprachen

Organisationsteam XXVII. Forum Junge Romanistik

Institut für Romanistik

Universität Regensburg

 

Tagungsbericht XXVII. Forum Junge Romanistik: Minderheit(en): Fremd? Anders? Gleich?

 

Vom 15. bis 18. Juni 2011 fand in Regensburg das XXVII. Forum Junge Romanistik statt. Die jährliche Tagung des romanistischen Mittelbaus wurde von Julia Blandfort, Simona Fabellini, Magdalena Silvia Mancas und Evelyn Wiesinger ausgerichtet und trug den Titel Minderheit(en): Fremd? Anders? Gleich?. Die Veranstaltung widmete sich damit einem Thema, das nicht nur in gesellschaftlichen Debatten aktuell ist, sondern auch für die Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft sowie die Fachdidaktik zahlreiche Anknüpfungspunkte bietet.

 

Eröffnet wurde die Tagung im historischen Dollingersaal im Zentrum von Regensburg am 15. Juni mit der Begrüßung von Norbert Hartl, als Vertreter der Stadt Regensburg, von Professor Dr. Isabella von Treskow, Stellvertretende Geschäftsführerin des Instituts für Romanistik der Universität Regensburg, Dr. Marina O. M. Hertrampf, der Mittelbauvertreterin des Deutschen Romanistenverbandes e.V. und dem Organisationsteam des XXVII. Forums Junge Romanistik.

 

Der erste thematische Schwerpunkt mit dem Obertitel Identität wurde von Melanie Fessler (Innsbruck) und ihrem Vortrag Von Go-Spielerinnen, Rebellinnen und Spionen. Die Darstellung frei wählbarer Identitäten bei der ‚Minderheitenautorin’ Shan Sa eingeleitet. Sie untersuchte anhand der beiden Romane Les conspirateurs und La joyeuse de go wie die Figurenkonstellationen ein prozesshaftes Identitätsverständnis vermitteln. Christina Ulrike Liebl (Bamberg) fokussierte in ihrem Vortrag ‚Uno crece cuando aprende a separarse de los démas’ – Identitätskonstruktion und Kommunikationsstruktur in Déjalo ya volveremos von Esther Bendahan auf die Frage der Entwicklung der Protagonistin. Sie verfolgte dabei die These, dass die Abgrenzung von bzw. die Integration in die Mehrheitsgesellschaft im Roman durch unterschiedliche Kommunikationsstrukturen ausgedrückt wird. Aus einer sprach¬politischen Perspektive näherte sich Christoph Ditschler (Marburg) dem Thema Minderheit(en). Er stellte in seinem Vortrag Recht, Schutz und Förderung der Minderheiten-sprachen in der Europäischen Union dar, auf welchen rechtlichen Grundlagen Sprachenpolitik in Europa steht. Die angeregten Diskussionen des Nachmittags wurden während des Abendbuffets fortgesetzt.

 

Ab dem zweiten Tagungstag fanden die Vorträge in den Räumen der Universität statt und waren damit auch für Studenten, Dozenten und weitere Interessierte gut in den universitären Alltag integrierbar.

Das Thema der Identitätsfindung und –konstruktion setzte sich auch in den vormittäglichen Vorträgen fort. Domenica Elisa Cicala (Klagenfurt) gab zu Beginn ihrer Präsentation Pecore nere: identità multiple tra culture e società einen Einblick in die Entwicklung der Migrantenliteratur in italienischer Sprache. Anhand der Erzählung Salsicce von Igiaba Scego zeigte sie anschließend, wie der Text als Ausgangspunkt für Reflektionen über die multikulturelle Zusammensetzung der italienischen Gesellschaft im Unterricht dienen kann. Auch der folgende Vortrag Das anderswo gefühlte Selbst schreiben: Ich Verschiebungen im Postkolonialismus beschäftigte sich mit der italienischen Migrantenliteratur. Maria Kirchmair (Innsbruck) untersuchte an den Publikationen La regina di fiori e di perle von Gabriella Ghermandi, Madre piccola von Cristina Ali Farah und Il latte è buono von Garane Garane, wie die Identitätskonstruktion der Migranten mit räumlicher Bewegung verbunden wird. Ebenfalls eine kulturwissenschaftliche Betrachtung nahm Benjamin Inal (Gießen) in seinem Vortrag Konkurrenzen zwischen Mehrheit und Minderheit, Zentrum und Peripherie: Divergierende Bürgerkriegs- und Diktaturerinnerungen in Spanien und dem Baskenland vor. Er stellte dar, wie die Erinnerungspolitik von Seiten der spanischen Mehrheit dazu führt, dass alternative Räume baskischer Erinnerungen gesucht werden, welche die Basis einer Nationalidentität der Minderheit bilden. Aus einer sprachwissenschaftlichen Perspektive untersuchte Theresa Schwarz (Mainz) die Frage der Fremdheit. Ihr Vortrag Die Sapir-Whorf-Hypothese am Beispiel von Embera und Bogotanern in Kolumbien stellte den Bezug zwischen der dreigliedrigen Weltsicht des kolumbianischen Minderheitsvolks der Embera und ihrer Sprache anhand der lexikalischen Zusammensetzung dar. Christoph Hornung (Würzburg) analysierte in seinem Vortrag Das Verhältnis des lorquianischen Sprechers zu seiner Stimme im eigenen und fremden Raum an den Gedichten El grito und El poema doble del lago de Eden wie die von Federico García Lorca durchlebte Fremdheitserfahrung in New York zu sprachlicher Verunsicherung und der grundlegenden Veränderung der Kommunikations¬situation in seiner Poesie führte.

 

Der zweite inhaltliche Block der Tagung widmete sich mit dem Oberthema Sprachkontakt und –wandel einer rein sprachwissenschaftlichen Themenstellung. Evelyn Wiesinger (Regensburg) gab in ihrem Vortrag Das Créole guyanais – Eine Minderheitensprache mit unsicherer Zukunft ? zunächst einen Einblick in die soziolinguistische Situation der Frankokreolsprache in Französisch-Guayana, um sich anschließend der Frage zu widmen, ob die komplexe sprachliche (Kontakt-)Situation mit dem Französischen und weiteren Kreolsprachen in dem Département d’outre-mer es heute rechtfertigt, das Créole guyanais als eine Minderheitensprache zu verstehen. Christina Märzhäuser (München) zeigte in ihrem Vortrag mit dem Titel Code-mixing und -switching zwischen Portugiesisch, Kabuverdianu und Englisch in Raptexten aus Lissabon auf welche Weise die unterschiedliche Sprachverwendung in den Texten als Zeichen für die lokale Verortung der Rapper, aber auch für ihre Zugehörigkeit zu einer sozial ausgegrenzten Minderheit gesehen werden kann. Den Abschluss der Vorträge des Nachmittags bildete Sprachkontakt und Sprachmischung in Paraguay am Beispiel des Jopará von Agnes Maria Härdle (Regensburg). Sie stellte dar, wie die Sprachkontaktsituation der indigenen Sprache Guaraní und des Spanischen zur Entwicklung einer neuen Varietät, des Jopará, führt.

 

Diesem letzten Vortrag schloss sich die Versammlung des Mittelbaus an, in deren Zuge die Mittelbauvertreterin des Deutschen Romanistenverbandes e.V. Marina O. M. Hertrampf Informationen zur Situation der Nachwuchswissenschaftler weitergab und darüber hinaus bildungspolitische Fragen erörtert wurden. Zwei Organisationsteams äußerten Interesse an der Durchführung des nächsten Forums Junge Romanistik und stellten ihre Vorschläge vor. Eine Gruppe Romanisten der Universität Eichstätt bewarb sich mit dem Thema Hybridität – Phänomene des Dazwischen um die Ausrichtung. Ein zweites Team kam von der Universität Graz und stellte sich mit dem Thema Spuren. Suche (in) der Romania zur Wahl. Die Mehrheit errang der Vorschlag aus Graz. Das XXVIII. Forum Junge Romanistik wird damit vom 18.-21. April 2012 an der Karl Franzens Universität Graz stattfinden.

 

Mit einem Grillabend, der noch viel Raum für weitere Diskussionen bot, klang dieser zweite Tagungstag aus.

 

Der dritte Tag des Forums Junge Romanistik begann mit dem sprachwissenschaftlichen Themenblock Standardisierung, der durch den Beitrag von Ulrich Farrenkopf (Freiburg) zur Entwicklung des Korsischen zur modernen Kultursprache eröffnet wurde. Anhand einer demoskopischen Studie auf Korsika zeigte er den aktuellen Stand des Sprachausbaus des Korsischen entlang der Kloss’schen Ausbauparadigmen, insbesondere im Hinblick auf Statusplanung, mediale und situative Verwendung des Korsischen sowie der Haltung der Korsen zu sprachpolitischen Maßnahmen im schulischen Bereich. Im Anschluss ging Susanna Gaidolfi (Eichstätt-Ingolstadt) in ihrem Vortrag Sardisch: zwischen Sprache und Dialekt anhand der Kriterien Ausbau, Abstand und Sprecherbewusstsein auf die Problematik der Einordnung des Sardischen aus einer emischen Perspektive zwischen Sprache und Dialekt ein. Der dritte Vortrag Die Sprache(n) Sardiniens gestern und heute im Kontext der aktuellen Stanardisierungsversuche von Laura Linzmeier (Regensburg) widmete sich dem Status des hybriden sardischen Dialekts Sassaresisch aus sprachlicher sowie soziolinguistischer Sicht vor dem Hintergrund aktueller Revitalisierungsbemühungen, aber auch der zunehmenden Italianisierung Sardiniens. Svenja Brünger (Jena) ging schließlich auf den aktuellen Stand der Kodifizierung der beiden Sprachinselvarietäten Fersentalerisch und Zimbrisch in der Autonomen Provinz Trient ein, wobei der Schwerpunkt bei den Ausführungen zu den Verwendungsbereichen der beiden germanischen Sprachvarietäten sowie zu den aktuellen Standardisierungsbemühungen z.B. im schulischen und administrativen Bereich lag. Der Themenblock Standardisierung wurde durch den Vortrag 3 + x = 3 ? – Mehrsprachig-keitsdynamik von Marie Leroy (Bozen) und Sabine Wilmes (Tours/Dortmund) abgeschlossen, der sich mit der Bedeutung des ladinischen Schulmodells für den Umgang mit sprachlicher Diversität beschäftigte. Die Referentinnen stellten dabei ihre Untersuchung zur Wahrnehmung des mehrsprachigen ladinischen Schulmodells, das Migrantensprachen bisher ausschließt, in den Printmedien der Sprachgruppennachbarn sowie innerhalb der ladinischen Minderheit vor.

Der Freitagnachmittag war dem ersten Teil des Themenblocks Migration gewidmet, der durch den Vortrag Senza Voce? Paula Schöpfs Lyrik im Spannungsfeld von Sprechen und Schweigen eröffnet wurde. Julia Blandfort (Regensburg) beschäftigte sich darin mit der Sichtbarmachung der kulturellen Besonderheiten der Roma-Gemeinschaften in der Lyrik der Sintizza Paula Schöpf, die mit der jahrhundertealten Tradition der invisibilità der Roma gegenüber der Mehrheitsgesellschaft bricht. Im Anschluss präsentierte Sara Izzo (Bonn) ihren Beitrag Die Aphorismen von Alexandre Romanès – Wandertrabanten auf konstanter Umlaufbahn?, in dem sie sich der aphoristischen Struktur mehrerer Gedichte Romanès‘ sowie der Frage nach einer Öffnung bzw. Sprengung der sozialen Sphären der Roma durch die Literatur widmete. Der darauffolgende Vortrag ‚In Brasilien sind die Erdbeeren groß‘ – Repräsentation und Dekonstruktion von Stereotypen in Zé do Rocks‚ Schröder liegt in Brasilien von Birgit Aka (Passau) beschäftigte sich mit dem Umgang bzw. dem Durchbrechen von brasilianisch-deutschen Auto- und Heterostereotypen im ersten Montage-Filmprojekt des in Deutschland lebenden Brasilianers Zé do Rock. In ihrem Beitrag Du rêve à la cave: pratiques de l’espace dans Bleu-Blanc-Rouge et Le thé au harem d’Archi Ahmed stellte schließlich Magdalena Silvia Mancas (Passau/Regensburg) die soziale und/oder symbolische Verortung des Migranten in den meist peripheren Räumen der Zuwandererstadt Paris dar, die in den Romanen von Alain Mabankou und Mehdi Charef als Strategie des ‚devenir Parisien‘ dargestellt wird. Eine Stadtführung am Abend gab den Teilnehmern der Tagung Gelegenheit einen Einblick in die Geschichte Regensburgs zu bekommen und die internationale Atmosphäre der Stadt kennenzulernen.

 

Das Thema der Migration setzte sich in den Vorträgen des letzten Tages fort. Ninon Franziska Thiem (Erfurt/Paris) untersuchte in ihrem Vortrag Wörtliche Migrationen – Vietnamesische Begriffe in der postkolonialen französischen Indochina Literatur wie vietnamesische Begriffe, die in einen sonst auf Französisch geschriebenen Text immigrieren, eine ‚Minderheit’ darstellen, die eine Reflexion im Umgang mit Fremdheit und Andersartigkeit ermöglichen. Herle-Christin Jessen (Heidelberg) zeigte in ihrem Vortrag mit dem Titel Écriture migrante als écriture en abyme: Régine Robins La Québécoite, wie die Migrationsthematik poetologisch reflektiert wird. Aus einer sprachwissenschaftlichen Perspektive heraus erforschte Mariella Costa (Hannover) die sprachlichen Generationsdynamiken bei italienischen Einwanderern in Deutschland. Ausgehend von der Frage, wie sich eine Sprache in einem Migrationskontext entwickelt, zeigte sie, inwiefern der Sprachgebrauch italienischer Einwanderer durch generations-, geschlechts- und gruppenspezifische Merkmale beeinflusst und bestimmt werden kann. Den Abschluss der Vorträge des letzten Tages der Veranstaltung bildete der Beitrag Dialektvitalität der Wolgadeutschen in Argentinien von Anna Ladilova (Gießen). Nach einer soziokulturellen Einbettung wurde die gegenwärtige soziolinguistische Situation in wolgadeutschen Siedlungen in Argentinien dargestellt, die vor allem von sprach- und gesellschaftlichem Wandel geprägt ist.

 

Die Tagungsakten werden in der Reihe Forum Junge Romanistik unter dem Titel Minderheit(en): Fremd? Anders? Gleich? bei Meidenbauer 2012 veröffentlicht.

 

 

 

Von:  Julia Blandfort

Publiziert von: Barbara Ventarola