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15.11.2009

Nachruf: Zum Tode von Gerhard Goebel (1932 – 2009)

  • Ort: Berlin – Hannover – Frankfurt
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft
  • Sprachen: Französisch, Italienisch

Nachruf: Gerhard Goebel, Romanist

 

Zum Tode von Gerhard Goebel (1932-2009)

 

Geboren am 20. Juli 1932 in Berlin, beginnt Gerhard Goebel nach dem Abitur 1953 ein Studium der evangelischen Theologie an der Freien Universität, bevor er 1955 zur Anglistik und Romanistik wechselt. Zu seinen wichtigsten Lehrern zählen die Romanisten Erich Loos und Horst Baader und der Kunsthistoriker Hans Junecke. Verehrtes, prägendes Vorbild, nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht, ist einer der renommiertesten Vertreter unserer Disziplin, Walter Pabst. Auf das Studium folgt 1962 als Interludium in Frankreich ein dreijähriges Deutschlektorat an der Universität Dijon.

 

1965 erscheint die Promotionsschrift "Zur Erzähltechnik in den 'Histoires comiques' des 17. Jahrhunderts (Sorel-Furetière)". Obwohl Gerhard Goebel später sein erstes Buch nicht ohne Koketterie kleinredet, finden sich mit der Präferenz formaler Aspekte und der grundsätzlichen Affinität sowohl zu bislang marginalisierten Autoren als auch zum Komischen und Ludischen bereits wesentliche Charakteristika seines wissenschaftlichen Werkes. Zudem bewegt er sich hier, wie er gelegentlich sagte, mit größtem Vergnügen in seiner erklärten Lieblingsepoche, dem Barock.

 

Im Wintersemester 1969/70 habilitiert sich Gerhard Goebel, nunmehr Assistent, bei Walter Pabst mit der Arbeit "Poeta faber. Erdichtete Architektur in der italienischen, spanischen und französischen Literatur der Renaissance und des Barock". Dieses Pionierwerk untersucht Jahrzehnte vor dem spatial turn Darstellung und Funktion fiktiver Bauwerke, um so die eminent wichtige Rolle architektonischer Räume für die Literatur darzulegen. In turbulenten akademischen Zeiten entstanden, blickt die groß angelegte Studie mit selbstreflexiver Absicht janusgesichtig zurück und nach vorn. Zum einen praktiziert Gerhard Goebel nach bester romanistischer Tradition eine überaus sorgfältige philologische Analyse; wegweisend ist zum andern jedoch die interdisziplinäre Vorgehensweise mit der damals keineswegs üblichen Einbeziehung von Architektur und Kunstgeschichte. Daß er dabei mit höchster Kompetenz vorgeht, beweist der exzellente Ruf, den der "Poeta faber" seither in diesen Fächern genießt. Und nicht zuletzt rührt der reiche Gewinn, den die Lektüre auch heute noch zweifelsohne bietet, von jenem konzisen und dabei unglaublich leichtfüßig daherkommenden Stil, der rasch zu seinem Markenzeichen wird.

 

Gerhard Goebel wird 1971 Professor an der Freien Universität; 1975 wechselt er auf einen Lehrstuhl für französische Literatur an der Universität Hannover. Von 1981 bis zu seiner Emeritierung im Sommersemester 2000 lehrt er französische und italienische Literatur an der Frankfurter Universität.

 

Gerhard Goebel schuf ein umfangreiches wie vielgestaltiges wissenschaftliches Werk, das sich etwa zu gleichen Teilen frankoromanistischen und italianistischen Themen widmet; hinzukommen zahlreiche Studien zur Architekturtheorie. Als besondere Schwerpunkte zeichnen sich der Renaissance-Roman "Hypnerotomachia Poliphili" und Italo Calvino ab, zu dem er eine tiefe Affinität verspürte. Hohes internationales Ansehen genießt Gerhard Goebel als Mallarmé-Experte. Seine 1993 und 1996 vorgelegte zweibändige Übersetzung der Gedichte und kritischen Schriften gilt als Bravourleistung und ist die gültige Summa intensiver Beschäftigung mit Mallarmé seit den Studientagen.

 

Methodisch nicht eindeutig festgelegt, blieb der stets auf Präzision bestehende Gerhard Goebel bei grundsätzlich komparatistischem Ansatz dem Strukturalismus verbunden. Doch blieb ihm auch hier jeglicher Dogmatismus fremd. Mit dem kompetenten Rückgriff auf andere, dem eigene Fach scheinbar fremde bzw. gegensätzliche Wissenschaften – Mathematik und Architektur – nahm er, beispielsweise bei der Analyse von Lyrik, ganz singulär die Arbeitsweise der Kulturwissenschaft vorweg.

 

Gerhard Goebel war ein vorzüglicher Hochschullehrer, wozu sein ganz unprofessoraler Habitus maßgeblich beitrug. Nicht die Vermittlung von Lehrbuchwissen war ihm ein Anliegen, sondern das, was sich so schwer lernen (und entsprechend auch lehren) läßt: der Umgang mit Literatur, der seiner Ansicht nach immer spielerisch zu geschehen habe und dessen Ergebnisse oft nur vorläufig blieben. Von seiner seltenen pädagogisch-didaktischen Eignung zeugt die Zahl der von ihm betreuten Examina, Dissertationen und Habilitationen. Die ihm 2000 zur Emeritierung überreichte Festschrift mit dem bezeichnenden Titel "Les Mots de la Tribu" ist ein Dankesabtrag seiner Schüler und Weggefährten.

 

Die deutsche Romanistik verliert mit diesem außergewöhnlichen Ordinarius einen ihrer faszinierendsten Gelehrten. Angesichts der derzeitigen Umbruchsituation der europäischen Universitäten wirkt Gerhard Goebel – Gelehrter alter und bester Schule, der für eine freie und fröhliche Wissenschaft eintrat –, als Vorbild.

 

Gerhard Goebel starb am 9. November 2009 nach kurzer Krankheit.

 

Thomas Amos

 

Von:  Thomas Amos

Publiziert von: Kai Nonnenmacher