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26.02.2012

CfP: Le passage / Der Übergang (6. interdisziplinärer deutsch-französischer Workshop für NachwuchsforscherInnen)

  • Ort: Paris, Frankreich
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft, Weitere Teilbereiche
  • Sprachen: Französisch, Sprachenübergreifend
  • Frist: 04.03.12

« Die Passage, dieses abstrakte, der Zeit und dem Raum gewidmete Wort, dem die Architektur die Form des Durchgangs gegeben hat, verdeutlicht aufexemplarische Weise den Zusammenhang von Ort, Schreiben und Gedächtnis." (Christine Rheys)

 

Betrachtet man den Übergang als Ort der U-topie im etymologischen Sinne eines « Nicht-Ortes » (Marc Augé / Gisela Febel), so wird er zu einer Verbindung des Realen mit einer mehr oder weniger eingebildeten Realität. Er entspricht einer angestrebten oder auch unfreiwilligen Überleitung, die oft zu einer unumkehrbaren Veränderung führt, somit zum Verzicht zwingt und doch gleichzeitig eine neue Zeit ankündigt. Indem ersich scheinbar jeglicher Fixierung entzieht, wird der Übergang häufig als eine gleichzeitig räumliche und zeitliche Abfolge, die aber auch abrupt oder gleitend ist, als ein Phänomen im Werden verstanden, dessenAusgang offen ist. In Anlehnung an Deleuzes Begriff der "Deterritorialisierung" ist er ebenfalls als symbolischer Ort zu verstehen, der sich dadurch definiert, dass man ihn verlässt. In dieser Hinsicht erscheint er als nur schwer zu fassender Vorgang mit unscharfen Konturen. Jedoch ermöglicht dieser Gebietsverlust zugunsten eines neuen symbolischen Raumes eine Entdeckung oder eine Wiederaneignung.

 

Als solcher ist der Übergang eng mit der Frage der Erschaffung und des Ausdrucks verbunden, wenn man diese als Übergang vom Gedanken zum Wortoder aber von einer Ausdrucks- bzw. Kommunikationsweise (Sprachen, Kunstformen, sozialen Interaktionen, etc.) zu einer anderen versteht. Dies bedeutet konkret, dass die Frage nach der Entstehung und Entwicklung jeglichen Diskurses ein Kernanliegen dieses Workshops ist. Dadurch ermöglicht die Untersuchung des Übergangs die Modalitäten der Herausbildung gewisser historischer, soziologischer, politischer, psychischer, literarischer, künstlerischer sowie weiterer Phänomene zu erhellen.

 

Als vielgestaltiges Bindeglied zwischen dem Ich und dem Anderen nimmt der Übergang mitunter einen Initiationscharakter ein, so im Falle des Protagonisten des Bildungsromans, der dorthin geht, wo ihn seine Schritte hinführen. Ebenso ist er Ort von Ritual, Pakt und Gedächtnis, evoziert somit einen Transitzustand oder auch einen "floating gap" (Jan Vansina). Der Übergang leitet zudem eine "Wende" ein, die mitunter befreiend odertraumatisierend wirkt, und kündigt einen Paradigmenwechsel auf individueller bzw. kollektiver Ebene an.

 

Die Ritualisierung des Übergangs verkörpert diese Zwischenphase ("Liminalität"/A. van Gennep) und verdeutlicht den Willen, das Ende eines bestimmten Zustandes hervorzuheben, um gleichzeitig einen neuen einzuleiten, woraus sich die Problematik der Intentionalität ableitet. Wie kann man etwas in Worte fassen (im Sinne von übertragen), um ein Erlebnis oder einen Gedanken weiterzugeben (im Sinne von vermitteln)? In diesem Sinnewerden nicht so sehr bereits in ihrer Form erstarrte und ein Erbe darstellende Spuren im Mittelpunkt unseres Interesses stehen, sondern vielmehr die absichtliche oder unbewusste Vorgehensweise, um diese Spuren zu hinterlassen. Der enge Zusammenhang mit Schreiben und Erinnern führt somit zur Erschaffung einer neuen Sprache, die die Emanzipation von einem Leiden, den Ausdruck einer inneren Empörung oder einfach ein persönliches Erlebnis widerspiegelt.

 

Der Übergang bietet daher eine weitaus dynamischere Auffassung von Geschichte und Künsten, die Einfallsreichtum, Vorstellungskraft und Schaffensprozessen zusätzlichen Raum gibt. In diesem Zusammenhang ist die Analyse von Zeitzeugenberichten als zwangsläufig subjektivem Mittel der Erinnerungskonstruktion (In Stahlgewittern, Ernst Jünger; Témoins, JeanNorton Cru; Passage de témoin -- wortwörtlich Die Übergabe des Staffelstabs --, Raymond Aubrac und Renaud Helfer-Aubrac), das politische, soziale, kulturelle, historische und auch historiografische Fragen aufwirft, von großer Bedeutung, um der Frage nach dem Übergang nachzugehen.

 

Im Rahmen dieses Workshops wird es somit darum gehen, den Übergangsraum zu definieren und abzugrenzen, sowie Übertragungs- (Zeichen, Bilder, Töne, etc.) und Rezeptions-prozesse und deren Formen zu analysieren. InAnbetracht dieser Überlegungen und im gleichen Maße wie der Schriftsteller, Künstler, Historiker oder politisch Handelnde wird auch der Rezipient (oder soziale Akteur) als eine Art Mittler (« passeur ») betrachtet. So gesehen, besteht ebenfalls ein Interesse am Übergang von einer Sprache in eine andere (Übersetzung, Übersetzungswissenschaft), voneiner Kunst, ja von einer Geschichte zur anderen. Führt der Übergangdamit zu einer Verformung oder Verfälschung? Stößt er auf eine potenzielle Sterilität?

 

Als gleichzeitig umkehrbarer und nicht wieder rückgängig zu machender Prozess, als Kontinuitäts- und Bruchfaktor gilt der Übergang als zweideutig und paradox und verkörpert eine "ewige Wiederkehr". Aus dieser"oxymorischen" Perspektive wird der Begriff des Übergangs zu untersuchen sein.

 

Arbeitssprachen: Deutsch und Französisch

 

Interdisziplinärer Workshop : Literatur, Philosophie, Linguistik, Soziologie, Geschichte, Ideengeschichte, Kunstgeschichte, Geografie, Städtebau, Psychologie, Semiologie, Politikwissenschaft, etc.

 

Die Vorträge sollten nicht länger als 20 Minuten dauern. Die schriftliche Fassung der Beiträge ist auf 22.000 Zeichen (inklusive Fußnoten)begrenzt. Das Datum und der Veranstaltungsort des Kolloquiums werden baldmöglichst bekannt gegeben. Bitte senden Sie einen Beitragsvorschlag von ungefähr 500 Wörtern und Ihre Publikationsliste bis spätestens zum 4. März 2012 an folgende Adresse: AtelierGiraf2012@yahoo.com

 

Auf Ihre Vorschläge freuen sich:

Pascal Décarpes, Henning Fauser, Ingrid Lacheny und Bérénice Zunino.

Von:  Henning Fauser via H-Germanistik

Publiziert von: cs