CfP: Lyrik und Neue Medien
- Ort: Villa Vigoni, Comer See, Italien
- Beginn: 22.05.12
- Ende: 25.05.12
- Disziplinen: Literaturwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
- Sprachen: Italienisch, Sprachenübergreifend
- Frist: 15.01.13
Call for papers
Deutsch-Italienisches Doktorandenkolloquium
im Rahmen der Villa Vigoni-Gespräche 2013, gefördert von der DFG
Lyrik und neue Medien - La poesia e i nuovi media
Lyrik galt lange Zeit als Ausdruck von Subjektivität und Innerlichkeit. Um die Unveräußerlichkeit des Individuums an die Zumutungen der Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen, strebte sie seit der Moderne nach einer „absoluten“ hermetischen Sprache. Der Preis, den sie dafür zahlen musste, war hoch: In dem Maße, in dem sie sich umgangssprachlicher Kommunikation verweigerte, wurde sie als elitäres Medium abgetan. Entsprechend marginalisiert steht denn auch die Lyrik der Gegenwart da, die kaum noch Leser außerhalb eines akademisch-universitären Publikums zu finden scheint. Allerdings: Im World Wide Web, wo Individualität (der postmodernen Krise des Begriffs zum Trotz) ungezwungen exhibiert wird, scheint die Lyrik neue Reservate gefunden zu haben: Die Lyrik-Blogs, die den traditionellen zeitlichen und „räumlichen“ Abstand zwischen Lyrik-Autor und Leser durch eine ungleich schnellere und unmittelbarere Form der Kommunikation überbrücken und so ein potenziell millionenfaches Publikum erreichen. Eine andere Möglichkeit, Gedichte wieder unter das (jüngere) Volk zu bringen, nutzen Autoren wie Tiziano Scarpa und Aldo Nove, wenn sie auf öffentlichen Lyrik-Performances die eigenen Texte vor dem Hintergrund bekannter Popsongs skandieren.
Neue Existenzmöglichkeiten scheinen sich der Lyrik folglich dann aufzutun, wenn sie mediale Grenzen überschreitet (bzw. zu ihren Wurzeln als „sangbarer“ Text zurückkehrt) oder neue mediale Möglichkeiten wahrnimmt. Besonders bezeichnend ist in dieser Hinsicht die seit den 1990er Jahren etablierte Bewegung der digitalen Poesie, welche die durch den Computer und durch Internet möglichen Formen der Zeichenverknüpfung als Mittel zur Sprachgestaltung nutzt: Im Grunde eine Fortführung von Ideen, die seit den 1960er Jahren von der experimentellen Literaturbewegung OULIPO angestoßen worden waren.
Die Reflexionen über den Themenkomplex „Lyrik und neue Medien“ befinden sich derzeit noch im Anfangsstadium. Neben eher praktisch orientierten Texten, die über die Veröffentlichungs-möglichkeiten von Lyrik im Internet informieren, finden sich auf der Lyrik gewidmeten Internet-portalen auch poetologische Programmschriften.. Äußerst selten sind theoretische Untersuchungen, die über das poetologische Innovationspotenzial der Cyberlyrik, seine mediale Bedingtheit und eventuell auch seine Grenzen reflektieren. Der Literatur- und Kulturwissenschaft eröffnet sich über die Thematik „Lyrik und neue Medien“ ein weites Feld, das literaturwissenschaftlich-ästhetische und medienwissenschaftliche Fragen ebenso berührt wie kultursoziologische Fragestellungen. Ziel des Doktorandenkolloquiums ist es, neue Erscheinungsweisen und zugleich damit zusammen- hängende poetologische und formal-stilistische Merkmale der Lyrik zu erforschen. Dabei ergeben sich folgende Fragestellungen:
- Welche Erscheinungsformen (Lyrik-Blogs, spezifische Diskussionsforen, Lyrik-Zeitschriften im Internet, Performances, interaktive Lyrik, mediale „Kreuzungen“ wie Lyrik und Popmusik) gibt es? Welche Veränderungen in der Produktion und Rezeption von Lyrik zeigen sich hier? Lässt sich eine Demokratisierung, eine Ent-Auratisierung der Lyrik feststellen?
- Wo und auf welche Weise werden die neuen Medien selbst in der Gegenwartslyrik zum Thema gemacht? Welche poetologischen Reflexionen oder Konzepte lassen sich daraus ab-leiten? Inwiefern bewirken die spezifischen Kommunikationsmechanismen der neuen Me-dien veränderte Konzepte von „Autorschaft“, „Text“ (bzw. „Kunstwerk“), vom „Adressaten“, vom Rezeptionsprozess und weiteren Aspekten des Kunstbetriebs bzw. der kulturellen Sinnproduktion?
- Wirken sich die neuen Kommunikationsmöglichkeiten und -formen auf Sprache und Form der Lyrik aus – auf Ebene der Syntax, der Orthographie, des Vokabulars, aber auch der Metaphern-Wahl?
- Haben die neuen Formen von Produktion und Rezeption Auswirkungen auf den literarischen Kanon?
Das Kolloquium richtet sich an Doktorandinnen und Doktoranden, die sich mit europäischer, insbesondere italienischer und deutscher Lyrik der Gegenwart beschäftigen; komparatistische Fragestellungen sind dabei willkommen. Sprachen des Kolloquiums sind Italienisch und Deutsch.
Veranstalter:
Prof. Dr. Christine Ott (Frankfurt am Main)
PD Dr. Caroline Lüderssen (Heidelberg)
Prof. Pietro Cataldi (Università per Stranieri di Siena)
Prof. Alessandro Scarsella (Ca' Foscari Venezia)
Reise- und Aufenthaltskosten werden übernommen.
Bewerbungen (1-2seitiges Exposé, Bibliographie, Lebenslauf) werden erbeten bis zum 15.1.2013 an: c.ott@em.uni-frankfurt.de, caroline.luederssen@rose.uni-heidelberg.de, cataldi@unistrasi.it, alescarsella@unive.it
Bibliographie:
Sekundärliteratur:
Anders, Günther, Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München: 1956.
Andrews, Bruce, „Electronic poetics“, www.ubu.com/papers/andrews_electronic.html, Zugriff am 7.4.2012.
Baldini, Massimo; Marucci, Donatella, „Il destino della parole“, in: Baldini, Massimo; Marucci, Donatella (Hg.): La parola nella galassia elettronica. Rom: 2005, S. 11-20.
Baldini, Massimo, Marucci, Donatella, „Le caratteristiche della parola nella galassia elettronica“, in: Baldini, Massimo; Marucci, Donatella (Hg.): La parola nella galassia elettronica. Rom: 2005, S. 21-26.
Balestrini, Nanni [intervista a], „Riflessioni sulla scrittura elettronica“, in: Baldini, Massimo; Marucci, Donatella (Hg.): La parola nella galassia elettronica. Rom: 2005, S. 85-92.
Balpe, Jean-Pierre, „La position de l'auteur dans la génération automatique de textes à orientations littéraires“, in: Lynx nº 17, Université de Paris-X Nanterre, Nanterre: 1987.
Baudrillard, Jean, Simulacres et simulation. Paris 1981.
Baudrillard, Jean, Der symbolische Tausch und der Tod“, in: Schöttker, Detlev (Hg.): Von der Stimme zum Internet. Texte aus der Geschichte der Medienanalyse. Göttingen: 1999, S. 172-181.
Cataldi, Pietro, „Letteratura e musica. Ipotesi pluridisciplinari per la didattica dell’italiano“, in: Allegoria 12 (2000), S. 65-75.
Cataldi, Pietro, „La fine del canone. I poeti e il postmoderno“, in: Moderna III (2001), S. 149-156.
Cataldi, Pietro, „La poesia, il canone, il mercato. Riflessioni sulla letteratura classica e la letteratura leggera“, in: Olivieri, Ugo M. (Hg.): Un canone per il terzo millennio. Testi e problemi per lo studio del Novecento tra teoria della letteratura, antropologia e storia. Milano: 2001, S. 137-153.
Cataldi, Pietro, „Siamo qui per divertirci. ‹Che noia la poesia› di Enzensberger e Berardinelli (Einaudi 2006)“, in: Allegoria, terza serie, XIX, 2007, 55, S. 250.
Cortelazzo, Michele A., „Il linguaggio dei messaggini“, in: Baldini, Massimo; Marucci, Donatella (Hg.): La parola nella galassia elettronica. Rom: 2005, S. 99-101.
Cramer, Florian, Exe.cut[up]able statements. Poetische Kalküle und Phantasmen des selbst-ausführenden Texts, Dissertation, Berlin: 2006.
Cramer, Florian, „Digital code and literary text“, www.netzliteratur.net/cramer/digital_code_and_literary_text.html, Zugriff am 7.4.2012.
Cramer, Florian, „Zehn Thesen zur Softwarekunst“, www.netzliteratur.net/cramer/thesen_softwarekunst.html, Zugriff am 7.4.2012.
Fajen, Robert, „Poesie der Allgegenwart. Zur Lyrik der ‹scrittori cannibali›“, in: Gerhard Penzkofer (ed.), Postmoderne Lyrik – Lyrik der Postmoderne? Studien zu den romanischen Literaturen der Gegenwart, Würzburg: 2007, S. 39-60.
Ferroni, Giulio, „Il linguaggio dei messaggini“, in: Baldini, Massimo; Marucci, Donatella (Hg.): La parola nella galassia elettronica. Rom: 2005, S. 103-104.
Gendolla, Peter; Schäfer, Jörgen, „Alla ricerca di tracce. Lettura nella rete, letteratura creata per la rete e la loro storia“, in: Testo 47 (2004), S. 65-75.
Heibach, Christiane, „Literaturtheorien und Vernetzung“, in: Heibach, Christiane: Literatur im elektronischen Raum. Frankfurt am Main: 2003, S. 40-59.
Heibach, Christiane, „Konzepte der kollektiven Produktion und Interaktivität – Ausbruch aus dem Autoren-/Künstler-Modell“, in: Heibach, Christiane: Literatur im elektronischen Raum. Frankfurt am Main: 2003, S. 40-59.
Iovinelli, Alessando, „La poesia oltre la Galassia Gutenberg“, in: Rivista di letteratura italiana 28 (2010), S. 137-145.
Kac, Edoardo (ed.), Media Poetry. An International Anthology. Bristol/Chicago: 2007.
Mazzoni, Guido, Sulla poesia moderna, Bologna: 2005.
Raley, Rita, „Reveal Codes: Hypertext and Performance“, in: Postmodern Culture 12:1 (September 2001).
Schenk, Klaus, “Das Fernsehgedicht. Medienbezüge in deutschsprachiger Lyrik der sechziger und siebziger Jahre”, in: Julika Griem (Hg.), Bildschirmfiktionen. Interferenzen zwischen Literatur und neuen Medien, Tübingen: Narr 1998, S. 89-115.
Simanowski, Robert, Reading Moving Letters. Digital literature in research and teaching. A handbook, Bielefeld: 2010.
Wallace, Patricia, „Il linguaggio e la psicologia di Internet“, in: Baldini, Massimo; Marucci, Donatella (Hg.): La parola nella galassia elettronica. Rom: 2005, S. 49-56.
Wegmann, Thomas, „Der mythische Narziss in der medialen Endlosschleife“, in: Almut-Barbara Renger (Hg.): Narcissus. Ein Mythos von der Antike bis zum Cyberspace, Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S. 167-179.
Websites:
www.satt.org/italo-log
www.poesianet.it
www.absolutepoetry.org
www.lyrikline.org
www.poetenladen.de
Publiziert von: cs