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10.02.2009

Internationaler Solidaritätsaufruf mit französischen Wissenschaftlern

  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft, Sprachpraxis, Didaktik
  • Sprachen: Französisch

Sehr geehrte Kollegen,

 

Die französischen Universitäten befinden sich momentan in einem unbefristeten Streik, der in seinem Umfang bislang einzigartig ist.

 

69 der 84 französischen Universitäten protestieren somit kollektiv gegen die von Forschungsministerin Valérie Pécresse vorgelegten Reformprojekte der Regierung und haben zu diesem Ziel die « Coordination nationale des universités » gegründet. In der geplanten Reform sollen die akademischen Freiheiten der Wissenschaftler aufs stärkste beschnitten werden.

 

Zum Beispiel sollen demnächst, anstelle der aktuellen objektiven Beurteilung durch übergreifende Kommissionen (Conseil national des universités, dem CNU), die Präsidenten der Universitäten über unsere Arbeit urteilen, und dies in für sie im Allgemeinen fachfremden Bereichen. Hat ein Forscher so der Meinung einer einzelnen Person nach nicht zufriedenstellende Ergebnisse in der Forschung erzielt (d. h., nicht genug veröffentlicht, in strikter Logik des « publish or perish »), so kann er dazu verpflichtet werden, mehr Stunden als die momentan gesetzlich festgelegten 192h/Jahr Seminar zu geben. Lehre als Sanktion ? Eine einfache Art, Stellen einzusparen ? Andere gravierende Veränderungen betreffen die Karriereentwicklung der Wissenschaftler, die Einstellungsverfahren in den Staatsdienst für Lehrer (die « Concours »), die Promotionsbedingungen u. ä.

 

Noch dazu hat der Staatspräsident in einer Rede vom 22. Januar die Fronten verhärtet, in dem er sich abschätzend über unsere Arbeit geäußert hat, nebenbei behauptend, die Qualität unserer Forschung würde nie evaluiert werden. Dies widerspricht der Realität. Wir treten erst als « Maîtres de conférences » in den Staatsdienst ein (gleiches für den Zugang zu Professuren), nachdem wir unzählige « Evalutionen », direkte und indirekte, als Hürden genommen haben. Diese Evaluationen werden stets von unabhängigen Jurys durchgeführt. Die Promotionen werden vor einer Jury von Professoren unterschiedlicher Universitäten abgelegt. Die « Agrégation » ist ein nationales, unabhängiges Numerus-Clausus-Auswahlverfahren, ohne das ein Literaturwissenschaftlier praktisch keine Chancen auf Einstellung hat. Vor eine Bewerbung an den Unis muss man erst die « Qualifikation » erwerben, also als « einstellbar » beurteilt werden ; das ist eine der Hauptaufgaben des allgemein anerkannten CNU (Conseil national des Universités) und seinen einzelnen, den Fachbereichen entsprechenden Abteilungen.

 

Wir sind nicht generell reformunwillig, weigern uns aber, diese Reformen anzunehmen, die von der Regierung in einem Hauruck-Verfahren, ohne Diskussion aller Beteiligten und unter Missachtung des Prinzips der Freiheit von Forschung und Lehre angestrebt werden.

 

Bitte überlegen Sie, ob Sie sich mit uns durch das Unterzeichnen des internationalen Aufrufs solidarisch erklären möchten :

 

math.univ-lyon1.fr/appel/spip.php

 

 

Mit herzlichen Dank für Ihre Kenntnisnahme und das Weiterleiten dieses Aufrufs,

 

Beate Langenbruch

Maîtresse de conférences en littérature française du Moyen Âge

École Normale Supérieure Lettres et Sciences humaines, Lyon

CIHAM, Lyon

CEREdI, Rouen

 

 

Links zum Thema :

 

- Die Aktion der « Coordination nationale des universités » : www.fabula.org/actualites/article28670.php

 

- Namen der 69 bestreikten Unis : www.shesp.lautre.net/spip.php

 

- Rede von Sarkozy : www.elysee.fr/documents/index.php

 

Darin : die frz. Forschung sei ineffizient, « médiocre », also nur Mittelmaß, da wir im weltweiten Vergleich nicht genug publizieren (die quantitative Logik !). Die Exzellenz einiger frz. Fachbereiche (Mathematik, Physik, Ingenieurswesen) sei das Feigenblatt einer Wissenschaft, die im Allgemeinen lamentabel sei. Der Sinn und Nutzen der Universitäten liege nämlich in ihrer Fähigkeit, Arbeitsplätze zu schaffen und Unternehmen zu gründen, so der Wortlaut. Was das für unsere Rolle als Geisteswissenschaftler bedeutet, braucht nicht betont zu werden.

Von:  Beate Langenbruch

Publiziert von: Kai Nonnenmacher