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24.03.2008

Nachruf auf Kurt Reichenberger

  • Ort: Berlin
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft
  • Sprachen: Spanisch, Sprachenübergreifend

Bereits am 20. Februar 2008 starb der Romanist und Verleger Kurt Reichenberger, plötzlich und unerwartet, einen Tag vor seinem 86. Geburtstag. Die internationale hispanistische Gemeinde verliert mit ihm eines ihrer aktivsten Mitglieder. Kurt Reichenberger, Professor emeritus für spanische Literatur der Universität Würzburg, war bis zuletzt wissenschaftlich und als Verleger höchst aktiv. Die Beisetzung fand am 25. Februar im Kreis der Familie statt.

 

Kurt Reichenberger wurde 1922 in Düsseldorf geboren. Nach dem Krieg studierte er Romanistik in Bonn bei Günther Müller, Ernst Robert Curtius und Heinrich Lausberg. Er promovierte dort 1952 mit einer Arbeit über Boethius’ Consolatio philosophiae. Im Anschluß daran war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Bonn tätig, absolvierte jedoch gleichzeitig eine Ausbildung als Bibliothekar. In dieser Tätigkeit war er zunächst an der Universitätsbibliothek in Köln beschäftigt, später dann an der Universitätsbibliothek in Stuttgart. In Bonn hatte Kurt Reichenberger seine spätere Frau Dr. Roswitha Schagen kennengelernt, die er 1961 heiratete. Der Ehe entstammen die drei Kinder Eva (geb. 1963), Klaus (geb. 1965) und Theo (geb. 1966).

In den Jahren 1962 bis 1987, dem Jahr seiner Pensionierung, war Kurt Reichenberger als Bibliotheksdirektor des Bundesarbeitsgerichts Kassel tätig. Gleichzeitig habilitierte er 1970 an der Universität Würzburg mit einer sprachwissenschaftlichen Arbeit über das System der Diminutive und Augmentative in den romanischen Sprachen. 1982 wurde er von der Universität Würzburg zum außerplanmäßigen Professor ernannt.

1962-65 war Kurt Reichenberger für die Herausgabe der Romanischen Bibliographie zuständig. In diese Zeit fällt die Idee eines bibliographischen Handbuchs zu Calderón. Im Rahmen eines der von Hans Flasche organisierten Kongresse des Coloquio Anglo-Germano sobre Calderón war die dringende Notwendigkeit einer Calderón-Bibliographie diskutiert worden. Damit begann die rege bibliographische und verlegerische Tätigkeit von Kurt und Roswitha Reichenberger, die in den Jahren 1979-81 zur Herausgabe der beiden Bände I und III des Manual bibliográfico calderoniano im Selbstverlag führte, und 1982 dann zur Gründung des Verlags Edition Reichenberger in Kassel.

Der hispanistische Fachverlag setzte neben dem bibliographischen Schwerpunkt zunächst einen weiteren auf kritische Texteditionen des spanischen Theaters des Siglo de Oro. Bald wurde das Programm des Verlags thematisch erweitert, und heute gehört die Edition Reichenberger zu den wichtigsten wissenschaftlichen hispanistischen Fachverlagen. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt weiterhin auf der spanischen Literatur des Siglo de Oro, Texteditionen wie kritischer Sekundärliteratur, doch finden sich gleichzeitig Serien zur lateinamerikanischen Literatur, zur Literaturtheorie, zur katalanischen Literatur und zur Musikwissenschaft im Programm. Die Arbeit zu Calderón und die Herausgabe verschiedener Bibliographien wurde fortgesetzt (siehe hierzu die ausführliche Webpräsentation des Verlags unter www.reichenberger.de). Eine besondere Herausforderung verlegerischer Art war die nun fast abgeschlossene Herausgabe der autos sacramentales von Calderón. Im Jahr 2005, anläßlich der 400-Jahr-Feier der Veröffentlichung des ersten Teils des Don Quijote, widmete sich Kurt Reichenberger verstärkt der Herausgabe verschiedener Werke und Sammelbände zu Cervantes.

Die intensive verlegerische Tätigkeit, die neben seiner Arbeit als Bibliotheksdirektor vor seiner Pensionierung nahezu seine gesamte Freizeit in Beschlag nahm, hinderte Kurt Reichenberger jedoch nicht an eigener ausgezeichneter wissenschaftlicher Tätigkeit. Er forschte zu verschiedenen Gebieten des Siglo de Oro, zu Calderón, Garcilaso de la Vega, Rodrigo de Borja, zu den Lusiaden und immer wieder zu Cervantes. So verfaßte er in den letzten Jahren eine Reihe von Studien zu verschiedenen Aspekten des Don Quijote. Kurt Reichenberger nahm an einer Vielzahl von Kongressen teil und kümmerte sich mit großem Engagement um den Zusammenhalt der internationalen Gemeinschaft der Siglo de Oro-Forschung. Gemeinsam mit Robert Lauer (University of Oklahoma) initiierte er ein Forum zur Verbreitung von Informationen und zu Diskussionen innerhalb der internationalen Community der am Siglo de Oro Interessierten.

Die Arbeit der Reichenbergers erfuhr über die Jahre vielfache Anerkennung der internationalen hispanistischen wissenschaftlichen Gemeinde. Bereits 1989 widmeten Alberto Porqueras-Mayo und José Carlos de Torres Kurt und Roswitha Reichenberger einen Sammelband über Calderón und das spanische Theater des Siglo de Oro. 1995 wurden die beiden Verleger mit dem "Nicolás Antonio"-Preis für Bibliographie ausgezeichnet. Im Jahr 2000 werden die Reichenbergers anläßlich des Kongresses Calderón de la Barca y la España del Barroco öffentlich geehrt, während ihnen gleichzeitig Ignacio Arellano, José María Díez Borque, Luciano García Lorenzo und Felipe Pedraza den Sammelband Calderón 2000 widmen. 2003 schließlich erhalten Kurt und Roswitha Reichenberger für ihr Engagement für die spanische Kultur das spanische Gran Cruz de la Orden Civil de Alfonso X el Sabio. 2006 dann werden die beiden Wissenschaftler und Verleger Reichenberger anläßlich des renommierten Theaterfestivals von Almería für ihre unermüdliche und wichtige Arbeit zum spanischen Theater des Siglo de Oro geehrt.

 

Die internationale Gemeinschaft der Siglo de Oro-Forschung trauert um Kurt Reichenberger. Sie trauert um einen kreativen Wissenschaftler, einen sehr aktiven und akuraten Verleger, um einen jung gebliebenen Forscher voller Ideen. Und nicht zuletzt trauert sie um einen wundervollen Menschen, der auf besondere Weise noch den menschlichen Kontakt zu seinen Autoren, aber auch zu anderen Kollegen und Interessierten suchte. In liebevollen Briefen und emails tauschte Kurt Reichenberger Ideen und Anregungen aus, zollte Anerkennung, diskutierte und kritisierte. Die hispanistische Gemeinde trauert mit Roswitha Reichenberger und den Kindern. Kurt Reichenberger lebt in seiner wissenschaftlichen und verlegerischen Tätigkeit weiter und wird uns auf diese Weise stets präsent sein.

 

 

Von:  Dr. Ingrid Simson

Publiziert von: jd