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20.09.2012

Nachruf auf Prof. Dr. Dieter Woll (1933-2012)

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Am 15. September 2012 ist Dieter Woll, bis 1998 Professor für Romanische Philologie an der Philipps-Universität Marburg und einer der Wegbereiter der deutschen Lusitanistik, im Alter von 79 Jahren gestorben.

 

Am 27. April 1933 in Aachen geboren, kam Dieter Woll schon früh in Kontakt mit dem französischen Sprachraum und nahm nach der Reifeprüfung im März 1952 das Studium der Romanischen Philologie, Germanistik und Philosophie in Bonn auf. Das Gymnasiallehramt schien als Berufsweg vorgezeichnet, auch als er nach einem Studienaufenthalt in Freiburg an seine alte Alma Mater zurückkehrte, um das Studium bei dem bekannten Bonner Romanisten Harri Meier fortzusetzen. Durch einen Sommersprachkurs in Coimbra wurde jedoch 1955 seine Begeisterung für die portugiesische Sprache und Kultur geweckt, und als ihm Harri Meier anschließend vorschlug, über portugiesische Lyrik zu promovieren, nahm Dieter Woll das Angebot an. Damit war der Grundstein gelegt für seine Dissertation über die Lyrik von Mário de Sá-Carneiro, die auch heute noch vor allem in Portugal und Brasilien als Pionierleistung sehr geschätzt wird. Der Großteil dieser Dissertation, mit der Dieter Woll 1958 in Bonn promoviert wurde, entstand an der Universität Coimbra, wo er zunächst das Studienjahr 1956-57 mit einem Austauschstipendium des Instituto de Alta Cultura verbrachte und anschließend zwei weitere Jahre als Lektor für Deutsche Sprache tätig war. Im Anschluss wurde Dieter Woll 1959 zunächst Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Harri Meier bei der Arbeitsstelle des Romanischen Etymologischen Wörterbuchs, zwei Jahre später dann Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bonn. In dieser Zeit, unterstützt durch einen zweijährigen Forschungsaufenthalt in Brasilien und einer Professurvertretung an der Universität von Brasília, entstand seine Arbeit zum erzählerischen Werk des brasilianischen Autors Machado de Assis, mit der er 1970 an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn für das Fach Romanische Philologie habilitiert und im März 1971 zum außerplanmäßigen Professor ernannt wurde.

 

Im Sommersemester 1972 übernahm Dieter Woll für insgesamt drei Semester die Vertretung des Lehrstuhls von Mario Wandruszka an der Universität Tübingen und wurde damit Kollege von Eugenio Coseriu, der zur gleichen Zeit den Lehrstuhl für Allgemeine und Romanische Sprachwissenschaft innehatte. Die Tübinger Jahre an der Seite Coserius waren für ihn insofern entscheidend, als er sich von da an definitiv der Sprachwissenschaft zuwandte, denn nur im Rahmen der Romanischen Sprachwissenschaft, nicht der Literaturwissenschaft, war es ihm auf Dauer möglich, sich schwerpunktmäßig dem Portugiesischen zu widmen. Die intensive Beschäftigung mit der Lusitanistik führte zwar dazu, dass die Möglichkeiten, in Deutschland einen Ruf zu erhalten, eingeschränkt waren, bot ihm aber auch die Gelegenheit, 1975 eine zweimonatige Gastprofessur an der Universidade Nova de Lisboa wahrzunehmen. Im Oktober 1977 erhielt der Dieter Woll dann einen Ruf an die Universität Heidelberg als Wissenschaftlicher Rat und Professor für Übersetzungswissenschaft (mit besonderer Berücksichtigung des Portugiesisch-Brasilianischen), die bis 1997 einzige Professur in Deutschland speziell für Portugiesisch. Zugleich wurde er Leiter der portugiesischen und der spanischen Abteilung des Instituts für Übersetzen und Dolmetschen, dessen Gesamtleitung er 1979 übernahm.

 

Im Wintersemester 1982 folgte Dieter Woll schließlich dem Ruf an die Marburger Philipps-Universität als Professor für Romanische Philologie. Zu seinen Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehörten fortan neben der literarischen Übersetzung besonders Etymologie und Wortgeschichte, später auch Syntax und Stilistik des Französischen, Spanischen und Portugiesischen. Dabei lag ihm vor allem der wissenschaftliche Nachwuchs am Herzen, den er nach Kräften förderte und durch seine Lehrveranstaltungen und interessante Gespräche zu eigenen Forschungsarbeiten anregte. Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Studierende schätzten neben seiner Fachkompetenz insbesondere seine Zuverlässigkeit, Kollegialität, Warmherzigkeit und Geselligkeit: So manche Institutsfeier und so manches Treffen im Marburger Weinlädele, zu denen alle Lusophilen eingeladen wurden, wird allen daran Beteiligten in bester Erinnerung bleiben. Erwähnenswert ist darüber hinaus sein Einsatz für die Koordination des Austauschprogramms mit der Universidad de Extremadura in Cáceres, aus dem sehr intensive Kontakte nicht nur zwischen Studierenden, sondern auch zwischen Lehrenden beider Universitäten entstanden sind.

 

Eine besondere, völlig unerwartete Freude bereitete Dieter Woll die Ehrung, die ihm durch die Anwesenheit außergewöhnlich vieler Kollegen bei der Überreichung seiner Festschrift anlässlich seines 65. Geburtstages im Jahr 1998 widerfuhr. Trotz oder wegen seiner Bescheidenheit war er mit vielen Romanisten sehr eng verbunden, und die intensive Beschäftigung mit der Lusitanistik hatte ihm sowohl innerhalb als auch außerhalb Deutschlands hohe wissenschaftliche Anerkennung eingebracht. Allerdings lässt sich das Wirken Dieter Wolls nicht auf die Lusitanistik reduzieren: Als Vollromanist im traditionellen Sinne beschäftigte er sich nicht nur sowohl mit Sprach- als auch mit Literaturwissenschaft, sondern interessierte sich auch für romanische Sprachen, die er nicht in der Lehre vertrat, wie das Italienische, Rumänische und Dolomitenladinische, oder für unterschiedliche dialektale Varietäten. Seine hohe Sprachkompetenz und seine Liebe zum sprachlichen Detail ließen ihn zum genauen Beobachter werden, der jede auffällige Sprachform auf Karteikarten notierte und so eine stattliche Datensammlung für seine wissenschaftlichen Forschungsvorhaben anlegte, von denen leider viele unvollendet blieben.

 

Auch nach seiner Pensionierung 1998 blieb Dieter Woll dem Marburger Institut für Romanische Philologie treu und nahm bis einschließlich 2002 weiterhin regelmäßig Lehraufträge im Bereich der Lusitanistik wahr. Gesundheitliche Einschränkungen führten schließlich dazu, dass er sich nach und nach aus der Lehre zurückziehen musste.

Mit seinem Tod hinterlässt Dieter Woll eine Lücke in der deutschen Romanistik und vor allem in der Lusitanistik. Seine wissenschaftliche Kompetenz, seine Menschlichkeit, seine Geselligkeit und seinen Humor werden alle, die ihn kannten, sehr vermissen.

Das Institut für Romanische Philologie der Philipps-Universität Marburg wird Dieter Woll als einem bedeutenden Wissenschaftler, beliebten Lehrer und hochgeschätzten Kollegen ein ehrendes Andenken bewahren.

 

Stellvertretend für das Institut für Romanische Philologie der Universität Marburg sowie für seine Schülerinnen und Schüler, zu denen Martin Hummel, Vera Eilers, Nicola Matschke und andere zählen,

 

Christina Ossenkop,

Universität Münster

Von:  Christina Ossenkop

Publiziert von: cs