Nachruf auf Prof. Dr. Dr. h.c. Lothar Wolf (1938-2012)
- Disziplinen:
- Sprachen: Sprachenübergreifend
Am 15. Juni 2012 ist Lothar Wolf, Romanist, Ehrendoktor der Université de Sherbrooke (Québec) und einer der Gründungsväter der Kanadistik in Deutschland und zuletzt emeritierter Professor der Universität Augsburg im Alter von 73 Jahren gestorben.
Lothar Wolf wurde am 2. Dezember 1938 in Walldürn geboren und legte sein Abitur 1958 in Weinheim/Bergstraße ab. Er studierte Romanistik, Anglistik und Indogermanistik in Heidelberg, Straßburg und Barcelona. Nach dem Staatsexamen 1962 wurde er 1966 bei Kurt Baldinger promoviert und 1971 habilitiert. Seine Dissertation, wie seine Habilitationsschrift in den Beiheften der Zeitschrift für Romanische Philologie erschienen, trug den Titel "Sprachgeographische Untersuchungen zu den Bezeichnungen für Haustiere im Massif Central. Versuch einer Interpretation von Sprachkarten" und geht auf eigene dialektologische Feldforschungen im okzitanischen Sprachgebiet zurück. Für seine Habilitationsschrift, "Terminologische Untersuchungen zur Einführung des Buchdrucks im französischen Sprachgebiet", 1979 erschienen, wurde ihm der Straßburg-Preis der Stiftung Freiherr vom Stein verliehen. Unvergessen, und leider nie wieder neu aufgelegt, ist sein Studienbuch "Aspekte der Dialektologie" (1975). Seine beiden Sammlungen romanischer Übungstexte, "Texte und Dokumente zur französischen Sprachgeschichte" zum 16. und 17. Jahrhundert (1969, 1972), werden auch heute noch in Seminaren zur Sprachgeschichte verwendet; ebenso das mit Werner Hupka verfasste Lehrwerk zum Altfranzösischen von 1981.
1973 erhielt Lothar Wolf den Ruf an die Universität Augsburg, wo er unter Ablehnung von Professuren in Braunschweig und Heidelberg als ordentlicher Professor für Romanische Sprachwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung des Französischen sein akademisches Leben lang geblieben ist. Lothar Wolf verfügte über außerordentliche wissenschaftliche Beziehungen zu Frankreich und Kanada, was sich nicht nur 1985 in der Gründung des Instituts für Kanada-Studien der Universität Augsburg, an der er maßgeblich beteiligt und dessen Direktor er lange Zeit war, niedergeschlagen hat, sondern auch in den neun internationalen Kolloquien "Français du Canada, français de France", an denen er – zusammen mit französischen Dialektologen, deutschen Kollegen und kanadischen Linguisten – stets teilgenommen hat (zuletzt in Manitoba). Er war ferner Gründungsmitglied der Gesellschaft für Kanada-Studien, Herausgeber zweier kanadistischer Reihen ("Canadiana Romanica" und "Kanada-Studien") und Mitglied der Kommissionen "Dictionnaire onomasiologique de l‘ancien occitan und Dictionnaire étymologique de l‘ancien français" der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
Anlässlich seines 60. Geburtstages wurde ihm zu Ehren das internationale Kolloquium "Französische Sprache und Kultur/La langue française et la culture au Québec" veranstaltet (die Akten sind in der Reihe "Kanada-Studien" erschienen). Am 18. Oktober 1997 wurde Lothar Wolf die Ehrendoktorwürde der Universität Sherbrooke verliehen, 2005 erschien zu Ehren seines 65. Geburtstages seine Festschrift ("Mélanges offerts au Professeur Lothar Wolf"). Sie wurde an der Université Jean Moulin/Lyon III veröffentlicht, dem Ort, an dem er als Gastprofessor gelehrt hatte und seit 2000 als auswärtiges Mitglied des dortigen Institut de Linguistique tätig war.
Lothar Wolf hat stets die Vielfalt wissenschaftlichen Arbeitens und Lehrens geschätzt und hat vor allem zu den Themenbereichen ‚Frankophonie, insbesondere Kanada und Elsass’, ‚Dialektologie und Geolinguistik’, ‚Okzitanisch’, ‚Französische Sprachgeschichte (extern und intern)’, ‚Sprachnormierung’, ‚Sprachpolitik’, ‚Fachsprachen’ und ‚Lexikographie’ gearbeitet und hierzu zahlreiche Publikationen, darunter die 1987 erschienene Monographie "Französische Sprache in Kanada", verfasst. An einer Neuauflage in französischer Sprache hatte er seit mehreren Jahren gearbeitet.
Die ihm überreichte und in Lyon erschienene Festschrift trägt den Untertitel "Je parle, donc je suis ... de quelque part" – ein Satz, der das wissenschaftliche Credo des Romanisten Lothar Wolf sehr treffend zum Ausdruck bringt: Für ihn standen stets die Sprecher im Mittelpunkt seines wissenschaftlichen Denkens; ihre Sprache im Raum, in der Zeit und in der Gesellschaft – so lauten auch die Hauptkapitel seiner Festschrift und so lauteten auch die großen Abschnitte seiner Einführungsvorlesung – zu untersuchen, war ihm ein lebenslanges Anliegen.
Seine langjährige Krankheit erforderte einen häufigen Aufenthalt in Höhenluft, weshalb er nach seiner Emeritierung regelmäßig in Davos verweilte. Nichtsdestotrotz blieb er seinen Forschungsthemen verbunden und konnte noch kurze Zeit vor seinem plötzlichen und allzu frühen Tod den aus dem Nachlass von Pierre Nauton erarbeiteten Fichier des "Atlas linguistique et ethnographique du Massif Central" (alphabetisch, etymologisch und nach Karten geordnet), welcher digital zugänglich ist (http://www.philhist.uni-augsburg.de/de/lehrstuehle/romanistik/sprachwissenschaft/team/lwolf/NautonFich/), fertig stellen.
Unvergessen sind seine Exkursionen nach Frankreich (z.B. Loiretal, Burgund, Provence, Elsass) und nach Kanada. Alle, die ihn kannten, werden seine wissenschaftlichen Überzeugungen, seine menschliche Art, seinen Humor und seine Anekdoten, sehr vermissen.
Stellvertretend für seine Schüler, zu denen Norbert Weinhold, Ursula Reutner, Paul Fischer, Susanne Kolb, Walburga Sarcher und andere zählen,
Elmar Schafroth, Universität Düsseldorf.
Publiziert von: L.S.