Zum Tode des Kölner Romanisten Andreas Wesch
- Disziplinen: Sprachwissenschaft
- Sprachen: Französisch, Spanisch, Weitere romanische Sprachen
Andreas Wesch kam 1961 auf die Welt und ist in Umkreis von Darmstadt und
in Salzgitter aufgewachsen. Seine berufliche Karriere führte ihn durch die
besten Adressen der deutschen (und jenseits der deutschen) Romanistik:
Studium und Promotion an der Freien Universität Berlin, Assistentur und
Habilitation in Freiburg im Breisgau, Vertretungen in Straßburg
und Konstanz; seit 2001 war er Professor für Romanische
Sprachwissenschaft in Köln. Früh gehörte er Arbeitskreisen an, die sich
später als wichtige "Nachwuchsschmieden" der Romanistik/Linguistik
erwiesen: er war Mitinitiator des fächerübergreifenden linguistischen
Kolloquiums LiMo an der FU Berlin, er gehörte zu den ersten westlichen
Teilnehmern des "Nachwuchskolloquiums der Romanistik", das, gegründet in
der DDR, nach dem Mauerfall Pionierarbeit für die Integration der
Romanistik im Osten und im Westen leistete (A. Wesch hatte schon lange
vorher enge Kontakte zu Kollegen und Nachwuchsleuten aus der DDR). In
Freiburg war er höchst aktives Mitglied des Sonderforschungsbereichs
Mündlichkeit und Schriftlichkeit.
An all seinen Wirkungsplätzen stand er vornehmlich im Gespräch mit
sprachtheoretisch-strukturlinguistisch orientierten Kollegen, zu
deren Fragen er gerade auch in jüngerer Zeit Beiträge geleistet hat;
primär aber verkörperte er "die andere" Sprachwissenschaft, man
könnte auch sagen die "eigentliche": eine Sprachwissenschaft, die
Respekt hat vor ihrem Gegenstand, den Sprachen (im Plural), die die
Fakten, die Vielfalt und Individualität ernst nimmt, die sich
interessiert für die jeweils dahinterstehende Kultur und somit für
die Historizität der Sprachen: in seiner Dissertation über die
Información de los Jerónimos (eine kommentierte Textausgabe des
Protokolls einer Untersuchung über die spanische Indio-Politik in Santo
Domingo aus dem frühen 16. Jh) ist er Philologe, Sprachhistoriker und
Diskursanalytiker. Vor allem aber war er ein ausgewiesener
Soziolinguist: seine noch unpublizierte Habilitationsschrift
vergleicht in exemplarischer Weise die Varietätensysteme des
Spanischen und des Französischen. Ihr Anliegen ist ebenso ein
theoretisches, nämlich die einzelsprach-historische Dimension des
Variegefüges oder Diasystems aufzuzeigen, wie ein deskriptives: mit dem
Interesse an der genauen sprachlichen Situation der beiden romanischen
Hauptsprachen in ihrer inneren dialektalen und sozialen Vielfalt und
ihren verschiedenen Gebrauchsmodi steht die Habilitationsschrift in
der Reihe früherer Arbeiten, in denen A. Wesch sich mit der Ausprägung
des Spanischen im Kontakt mit dem Katalanischen in Barcelona
beschäftigt hat.
Katalonien war ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit; er war ein
exzellenter Kenner und Sprecher des Katalanischen; von 2001 bis 2006 war
er Präsident des Deutschen Katalanistenverbandes. Das Katalanische
verkörperte in besonderer Weise A. Weschs Interesse an
Minderheitensprachen und ihrer sprachpolitischen Situation (er war
Mitbegründer von De Lingulis, einer Schriftenreihe zu "lesser used
languages"); kaum weniger lagen ihm die anderen Sprachen und Dialekte
der Iberischen Halbinsel am Herzen, die kleinen wie die großen, und die
Modalitäten ihrer weltweiten Verbreitung.
Diese Begeisterung für die Sprachenvielfalt machte weder an den Grenzen
der Iberischen Halbinsel oder der Romania halt, noch beschränkte sie sich
auf die rein linguistische Perspektive: A. Wesch war nicht nur ein
exzellenter Sprecher der jeweiligen Sprachen, sondern auch sehr guter
Kenner der jeweiligen Kulturen und Lebensformen; kaum jemand kannte sich
so gut aus in den verschiedenen Regionen und Metropolen der westlichen
Romania und Lateinamerikas, von Brüssel bis Mexiko-Stadt; kaum einer
hatte einen solch großen Freundeskreis im romanischen Ausland. Man kann
sagen, daß er die Romanistik wirklich "lebte". Dies war wohl auch das
Geheimnis seines extraordinären Erfolgs in der Lehre: wo immer er gelehrt
hat, sahen die Kollegen bald bewundernd bis neidisch auf den Zustrom in
seinen Lehrveranstaltungen und das Feed-Back, das aus der
Studentenschaft kam. Sein Einführungsbuch Grundkurs Sprachwissenschaft
Spanisch war ein großer Verkaufserfolg.
Wer Andreas Wesch persönlich kannte, kannte seinen grenzenlosen
Optimismus, seine Lebensfreude und -kunst, den fröhlichen und
vorbehaltlos positiven Umgang mit allen Dingen und Personen. All dies
hinderte ihn nicht daran, im Zweifel Objektivität zu wahren, sich z.B.
als Wissenschaftler nicht für sprachpolitische Fragen einspannen
zu lassen; aber genauso in persönlichen Konflikten Stellung zu beziehen
und sich auf die Seite der Schwächeren zu schlagen. Als Kollege war er
nicht minder beliebt denn als Dozent.
Kurz nach dem Antritt seiner Kölner Professur war er zum ersten mal mit
seiner Krebserkrankung konfrontiert, war aber voller Hoffnung, trotz
erschreckender Parallelitäten dem Schicksal seines früheren engen
Freundes Andreas Blank zu entgehen. Er hat in dieser Zeit kaum
nachgelassen in seinem Engagement für die Wissenschaft, die Lehre, das
Kölner Institut: er hat publiziert, Projekte entwickelt (etwa eine
internationale Kooperation zur Erforschung des Spanischen der Balearen),
hat vielfältig und maßgeblich die Aktivitäten des Zentrums für
Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit der Philosophischen Fakultät belebt,
er hat gelehrt, geprüft (und auch gefeiert), hat alle Kraft eingesetzt, um
Kollegen und Studierenden die Folgen seiner zunehmend schlimmere
Situation nicht spüren zu lassen. Für den im kommenden Herbst
stattfindenen Frankoromanistentag in Augsburg hat er noch eine Sektion
angekündigt. Am Ende war die Krankheit stärker: Andreas Wesch ist am 11.
Januar 2008 in Köln gestorben. Wir trauern mit Petra, seiner Frau, und
Anne, seiner elfjährigen Tochter.
Die Trauerfeier für Andreas Wesch hat 17.1. stattgefunden.
Publiziert von: jd