Ausschreibung: DFG-Symposion Literatur als Wagnis/Literature as a risk
- Ort: Loveno (Italien)
- Beginn: 03.10.11
- Ende: 07.10.11
- Disziplinen: Literaturwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
- Sprachen: Sprachenübergreifend
- Frist: 01.09.10
DFG-Symposion 03. – 07. Oktober 2011,
Villa Vigoni (Loveno, Italien)
Im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft soll vom 03. bis 07. Oktober 2011 in der Villa Vigoni ein internationales literaturwissenschaftliches Symposion zum Thema “Literatur als Wagnis/Literature as a Risk” stattfinden.
Den deutschen Begriffen “Wagnis” und “Risiko” steht im Englischen das Begriffspaar “venture” und “risk” gegenüber. Diese Differenzierungsmöglichkeit soll als Chance einer vergleichenden Auslotung verstanden werden; eine Zielsetzung des Symposions liegt entsprechend in der begriffsgeschichtlichen Erhellung der Kategorien (a) Wagnis und (b) Risiko. Zu erörtern sind im Ausgang davon (a) die damit verbundene (Theorie-)Geschichte von Literatur als ‘Wagnis’ sowie (b) die Frage nach der Relevanz rezenter Risiko-Diskurse für die Literatur und ihre theoretische Modellierung.
(a) Wagnisse verbinden sich mit Grenzverletzungen. Orte des Wagnisses sind insofern Grenz- und Schwellenräume unterschiedlichster Art; die Vielfalt möglicher Wagnisse ergibt sich aus der Vielfalt denkbarer Transgressionen: zwischen Erlaubtem und Verbotenem, Normgerechtem und Normverstoß, Regulärem und Regelwidrigem – zwischen Altem und Neuem, Vertrautem und Unvertrautem, Leben und Tod, Eigenem und Fremdem. Das Konzept der Grenzverletzung verweist auf theoretische Begriffe, die im Schnittfeld zwischen dem Ästhetischen und Politischen stehen – wie zum Beispiel Foucaults Begriff der Heterotopie oder Bhabhas Begriff der Hybridität. Zentrale Bedeutung innerhalb theoretischer Reflexionen über Wagnis und Risiko besitzen ferner
die Begriffe Möglichkeit, Kontingenz, Chance, Spiel, Entscheidung, Unterscheidung, Vorsorge/Prävention, Versicherung.
(b) Zu fragen ist ferner nach der möglichen Bedeutung rezenter Risiko-Diskurse und Risiko-Konzepte (insbesondere in Philosophie, Anthropologie, Sozialwissenschaften, Ökonomie, Medizin und Statistik) für die Literatur und ihre Theorie. Das seit den 1970er Jahren an Signifikanz gewinnende Konzept des Risikos übernimmt seine Funktionen in einem Klima der Unbestimmtheit und Unsicherheit. Es hat Konzepte göttlicher Vorsehung abgelöst und konkurriert (erfolgreich) sowohl mit der Utopie perfekter Kalkulierbarkeit von Ereignissen durch den menschlichen Intellekt als auch mit irrationalem Glauben an glückliche und unglückliche Schickungen. Im Konzept des ‘Risikos’ artikuliert sich ein säkularer und rationaler Weltbezug im Zeichen unterstellter Unsicherheit. Der jeweilige Umgang mit Ungewissheit erscheint als prägend für Kollektive und Individuen, für Selbstorganisationsformen und Weltinterpretationen. Während sich dabei die wissenschaftliche Kalkulation von Risiken auf abstraktverallgemeinernder Ebene abspielt, ist der Umgang des Einzelnen mit Risiken stark subjektiv geprägt. Im Übrigen sind Risiken streng genommen nicht erfahrbar; Gegenstand des Risikokalküls ist stets Zukünftiges, (noch) Imaginäres. Hier erschließt sich erstens ein weites thematisches Feld moderner, insbesondere zeitgenössischer Literatur; zweitens wäre zu fragen, inwieweit sich literarisches Schreiben selbst im
Zeichen des Ungewissheitsparadigmas als ‘riskant’ versteht.
Vorausgesetzt, dass “Risiko” eine zentrale Kategorie zur Beschreibung des menschlichen Weltbezugs in der Moderne ist – welche Chance bietet die Unterscheidung zwischen “Risiko” und “Wagnis” zur Bestimmung der Funktionen von Literatur und Kunst, bzw. von Literatur als Kunst? Welche Beziehungen also bestehen zwischen Konzepten literarischer Arbeit als Wagnis (Grenzverletzung, Tabubruch) und Konzepten des Riskanten, wie sie außerhalb der Sphäre ästhetischer Praktiken und Ästhetikdiskurse entwickelt wurden?
Zum Themenfeld
(A) Schreiben über Wagnisse, Schreiben als Wagnis, Vorstöße in riskante Zonen
Die Literatur der Neuzeit handelt von vielfältigen Grenzüberschreitungen und damit verbundenen Wagnissen, von Rebellenfiguren (Prometheus, Ahasver, Faust), von gefahrenträchtigen Entdeckungsreisen – über das Meer, in die Fremde, zu den Polen, ins All und an andere ‘Enden der Welt’ – sowie von Unternehmen, mit denen die Grenzen des Naturgegebenen durchbrochen werden. Die Künste der Avantgarden verstehen sich in Radikalisierung dieses Interesses selbst als transgressiv: als Prozesse der Normverletzung, als Verstöße gegen Regeln und Codes, die mit mehrerlei Risiken verbunden sind – nicht zuletzt mit dem, vom Publikum nicht mehr verstanden zu werden. Das Schwerverständliche, das Geschmacklose, das Irritierende, das Provokante, das Schockierende und Ekelhaften werden zu ästhetischen Kategorien. Selbst der zu erzieherischen Zwecken eingesetzte V-Effekt funktioniert nicht ohne tiefgreifende Irritationen. Als Kriterium des Künstlerischen gilt vielfach – in
Radikalisierung des Gedankens, Kunst wende sich thematisch dem Neuen zu und sei selbst strukturell innovativ – die Darstellung und Inszenierung von ‘Unerhörtem’, der semiotische, kulturelle oder existentielle Schock.
(B) Kulturelle Grenzräume als riskante Zonen – Poetiken der Hybridität und der Kreolisierung
Zu den risikoträchtigsten Grenzen gehören aktuell die zwischen differenten Kulturen. (Der Diskurs über Kulturkonflikte als omnipräsente globale Bedrohung hat den über Ost-West-Konflikte abgelöst.) Rezente Kulturtheorien widmen sich vor diesem Hintergrund vor allem der Modellierung von Grenz- und Schwellenräumen. Die mit diesen verbundene Dimension des Riskanten findet dabei verstärkte Aufmerksamkeit. Homi Bhabhas Konzept eines “dritten Raumes”, in dem sich kulturell Heterogenes durchmischt, setzt sich dezidiert gegen Konzepte der Versöhnung bzw. der dialektischen Vermittlung von Gegensätzlichem ab; so spricht Bhabha von einer Inszenierung der “Nichtübersetzbarkeit” von Kultur, charakterisiert die “Migrantenkultur der ‘Zwischenzone’” als spannungsvoll gespalten (Die Verortung der Kultur, 335). Ist die Bewegung in kulturellen Grenzräumen als solche schon riskant, so muss sich eine Literatur, die sich reflexiv auf kulturelle Grenzen bezieht bzw. sich selbst als hybrid inszeniert, als Vorstoß ins Unabgesicherte verstehen. Risiken und Konflikte sind dabei aber nicht zwangsläufig negativ konnotiert, wie Edouard Glissants Konzept der “Kreolisierung” zeigt.
(C) Schreiben als vitales Risiko – Schreiben als ästhetisches Risiko
Neben dem Interesse an theoretischen Modellierungen literarischer Prozesse als gewagt respektive als riskant sollte eine konkretere Dimension des Themas nicht aus den Augen gelassen werden. Schriftsteller und ihre Arbeiten sind vielerorts bedroht: durch Kontrolle und Zensur, durch politische Verfolgung, durch Ausgrenzung und Vertreibung. Literatur entsteht im Zeichen von Unvorhersehbarkeiten: Auch und gerade als Protest, als Agitation, als Kritik, die zensiert und Sanktionen unterworfen werden kann, setzt sie sich dem Inkalkulablen aus – bis zur Lebensgefahr für Schriftsteller und für Leser. Literarische Arbeit kann insofern ein vitales Risiko sein. Wie bespiegelt sich diese Dimension des Riskanten in literarischen Arbeitsprozessen und ihren Resultaten? Schreiben ist ferner auch ein ästhetisches Risiko: Das Unternehmen kann misslingen. Welche spezifischen Konzepte ästhetischen bzw. poetischen Scheiterns bilden sich komplementär zur (Selbst-)Beschreibung der Literatur als Wagnis/Risiko heraus?
“Literatur als Risiko – Literatur als Wagnis”: Mögliche Frageansätze
Was die Konzeption eines ‘dritten Raumes’, hybridisierter Kulturen und kreolisierter Artikulationsformen mit dem modernen (von den Avantgarden radikalisierten) Konzept ästhetischer ‘Verfremdung’, ‘Tabubrüche’ und ‘Entautomatisierungen’ verbindet, ist die Idee der Verletzung etablierter Codes, der verfremdenden Auseinandersetzung mit kulturellen Grundmustern, der Subvertierung geläufiger Normen. Im Bereich der Literatur – so eine Leitidee aller Theoretiker der ästhetischen ‘Abweichung’ und ‘Subversion’ – verbindet sich mit dem Verstoß gegen konventionelle Semantiken eine ständige und unabschliessbare Resemantisierung von Gegenständen, Erfahrungen und Zeichen.
Gibt es Verbindungslinien zwischen der Geschichte literarischer Darstellungen von Risiken und riskanten Unternehmungen sowie der Geschichte eines sich selbst als riskant verstehenden literarischen Schreibprozesses auf der einen Seite und Modellierungen eines Schreibens im Angesicht kultureller Konflikte auf der anderen Seite? In welcher Beziehung stehen Poetiken der Verfremdung und des Tabubruchs zu Poetiken der Hybridisierung und Kreolisierung? Welches Selbstverständnis artikulieren Vertreter der literarischen Avantgarden und Neoavantgarden im Angesicht gegenwärtiger Konflikte und der damit verknüpften Risiken? Verstehen sie sich als eine Demonstration dieser Risiken, als deren (potenziert ‘riskante’) Überbietung oder als deren Depotenzierung? In welche Beziehungen lassen sich theoretische Reflexionen über Risiken (etwa über risikoträchtige kulturelle Räume und Prozesse) zu konkreten Schreibexperimenten setzen? Welche Funktion haben Konzepte der Unbestimmbarkeit, des Inkalkulablen, des Zufalls in der zeitgenössischen Literatur und ihrer Theorie? Und in welcher Beziehung steht das Zufällige in der Kunst zu Risiken und Risikodiskursen?
Der durch die Begriffe “Risiko” und “Wagnis” markierte Themenbereich ist von
interdisziplinärer Relevanz. Die Tagung soll schwerpunktmäßig die literaturtheoretischen und literarhistorischen Perspektiven behandeln, die sich im Ausgang hiervon erschließen. Neben allgemein-literaturwissenschaftlichen und komparatistischen Beiträgen sind auch Beiträge aus den Einzelphilologien
(insbesondere aus der Germanistik, Romanistik, Anglistik/Amerikanistik und Slavistik) willkommen. Wünschenswert ist die Einbeziehung von interdisziplinären Ansätzen, zum Beispiel aus der Mathematik, der Soziologie, der Wirtschaft, der Anthropologie. Bei der Auswahl der für das Symposion vorzusehenden Beiträge wird u.a. das Kriterium einer panoramatischen Breite der Fragestellungen, Gegenstände und Aspekte eine Rolle spielen. Angestrebt ist eine möglichst ausgewogene Proportion zwischen eher theoretisch-reflexiven Beiträgen und solchen, die sich konkreten literarischen
Phänomenen widmen.
Vorgesehene Sektionen des Symposions
I Literatur als Wagnis und als Risiko: Reflexionen zur vitalen und zur ästhetischen Riskanz der literarisch-poetischen Arbeit
II Wagnis als Grenzverletzung – Grenzverletzung als Wagnis: Schreiben als
Herausforderung der Macht, ihrer Ordnungen und Diskurse
III Poetiken der Transgression, der Hybridisierung und der Kreolisierung als Poetiken des ‘Riskanten’: Schreiben jenseits der kanonischen Formen und ästhetischen Codes
IV Risikomodellierung, Risikomanagement und Risikobewältigung als Momente der Poetik: Elemente des Risikodiskurses und seiner Kernbegriffe (Kontingenz, Chance, Spiel, Prävention etc.) in poetologischen Diskursen
Zum Verfahren
Das Symposion wird zugunsten eingehender Diskussionen von der Verlesung von Vorträgen freigehalten. Alle Beiträge müssen im Frühjahr 2011 vorliegen und werden den Teilnehmenden vor der Tagung auf elektronischem Weg zugesandt. Zusammen mit ausführlichen Diskussionsberichten sollen die Beiträge direkt anschließend an das Symposion veröffentlicht werden. Um das Symposion arbeitsfähig zu halten, wird die Zahl der Beteiligten auf 35 begrenzt. Eine schriftlich ausgearbeitete, prinzipiell druckfertige Vorlage bildet die Voraussetzung für Voraussetzung einer Teilnahme. Erwartet wird, dass die Teilnehmer sich an allen Tagen der Veranstaltung präsent sind und mitdiskutieren. Interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des In- und Auslandes, insbesondere auch jüngere (in der Regel jedoch nicht schon Doktoranden), sind eingeladen, der Unterzeichnenden spätestens bis zum 1. September 2010 ihre Bereitschaft zur Teilnahme und ihren Themenvorschlag beizufügen, ein kurzes Exposé beizufügen und eine Sektionszuordnung vorzuschlagen. Auf der Grundlage der Exposés werden die Veranstalter der DFG vorschlagen, wer zu diesem Symposion eingeladen werden soll. Die endgültigen druckfertigen Fassungen der Vorlagen müssen die zuständigen Kuratoren bis spätestens zum 1. Mai 2011 erreicht haben. Sie sollten so prägnant wie möglich abgefasst sein. Der Höchstumfang einschließlich der Anmerkungen liegt bei 30 Seiten à 1800 Zeichen; kürzere Vorlagen sind willkommen.
Terminplan
Bis 1. September 2010: Bewerbung um die Teilnahme (mit Themenvorschlag und Exposé)
November 2010: Vorläufige Benachrichtigung der Einzuladenden
Spätherbst 2010: Einladung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die DFG
Bis 1. Mai 2011: Einsendung der druckfertigen Vorlagen an die Kuratoren (elektronisch)
Juni 2011: Versendung der Vorlagen an alle Teilnehmer des Symposions (elektronisch)
03. – 07. Oktober 2011: Symposion
Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch; entsprechend können die Beiträge in diesen beiden Sprachen vorgelegt werden.
Reisekosten (Fahrtkosten und Tagegelder) übernimmt die DFG nach Vorschriften des Bundesreiskostengesetzes, soweit sie nicht von der Heimatinstitution getragen werden.
Monika Schmitz-Emans (Bochum)
Die Exposés sollten an folgende Adresse geschickt werden:
monika.schmitz-emans@rub.de
Sie sollten eine Länge von 500 Wörtern nicht überschreiten und folgende Auskünfte enthalten: Gegenstand des vorgesehenen Beitrags – Bezug zum skizzierten Problemfeld von Wagnis/Risiko – Bezug zu den genannten Themenfeldern bzw. Sektionen des Symposions.
Detailliertere Informationen zum vorgesehenen Umfang der endgültigen Beiträge werden zu einem späteren Zeitpunkt übermittelt, desgleichen Informationen zum Ablauf des Symposions und zu organisatorischen Fragen.
Die Kuratoren
Prof. Dr. Georg Braungart, Tübingen
Prof. Dr. Douwe Fokkema, Amsterdam
Prof. Dr. Achim Geisenhanslüke, Regensburg
Prof. Dr. Elrud Ibsch, Amsterdam
Prof. Dr. Christine Lubkoll, Erlangen
Prof. Dr. Monika Schmitz-Emans, Bochum
Publiziert von: jd