Tagungen > Tagungsausschreibung

15.02.2011

CfP: Das Dekorative und das Poetische : Künstler, Schriftsteller und Ästheten um Marcel Proust / Arts decoratifs et poesie : artistes, écrivains et esthètes autour de Marcel Proust

  • Ort: Paris
  • Beginn: 09.02.12
  • Ende: 11.02.12
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
  • Sprachen: Französisch
  • Frist: 15.03.11

Tagung des Deutschen Forums für Kunstgeschichte, Paris und des Institut national d‘histoire de l’art, / Colloque organisé par le Centre Allemand d’Histoire de l’Art, Paris et l’Institut national d’histoire de l’art.

 

» caché en quelque objet matériel que nous ne soupçonnons pas « (Marcel Proust, Du Côté de chez Swann)

 

Schönheit des Lebens, materielle Sättigung der Existenz durch die Künste und ihre Inszenierung in Intérieurs, Gärten, Sammlungen, Habitus und Alluren, auf der einen Seite, oder aber Verzicht auf alles Dingliche in der Beschränkung auf das literarische Schreiben und die Philosophie, auf der anderen Seite: diese beiden scheinbar getrennten Wege kennzeichnen in ihrer Divergenz eine ganze Generation von Dichtern, bildenden Künstlern und Ästheten des Fin de siècle und der Zeit nach 1900. Um diese Beziehung von künstlerischem Schreibprozess und Gegenständlichkeit, von Literatur und dekorativer Kunst neu zu befragen, scheint kaum ein literarisches Gesamtwerk so gewinnbringend zu sein wie das Marcel Prousts. Welche Position vertrat der Romancier und Essayist gegenüber den dekorativen Künsten? Wo liegen Unterschiede oder Überschneidungen mit der Haltung seiner Zeitgenossen?

 

Um diesen Fragen zu begegnen, gilt es zunächst, sich von einer Sichtweise zu emanzipieren, die bisher das Verhältnis Prousts zur Kunst bestimmte. Die Forschung hat nicht versäumt, in Prousts Roman A la recherche du temps perdu zahlreiche Referenzen an Kunst und Künstler offenzulegen: die Korrespondenzen zwischen den visuellen Künsten und dem Schreiben, zwischen realen und imaginären Kunstwerken, zwischen den Gemälden des fiktiven Malers Elstir und den Metaphern der Erzählung und schließlich, im Hinblick auf die letzten Passagen der Temps Retrouvé, zwischen dem „Stil“ und der „Wahrheit“ der Kunst. Dabei ist zu beobachten, dass das Interesse für die bildenden Künste, wie sie im Roman erscheinen, am Blick auf die Malerei hängen geblieben ist, und hier besonders an großen Meisterwerken, die der Idee einer „Apotheose der Kunst“ (Walter Benjamin), wie Proust sie angeblich in seinem letzten Band anstimme, entsprechen. Dass Prousts Blick auf große Werke wie Vermeers „Ansicht von Delft“, bei dessen Anblick der fiktive Schriftsteller Bergotte stirbt, oder auf die Musik Wagners auch eine Kritik an der „Idolâtrie“, am Götzendienst der Meisterwerke, an der Idee des „totalen“ Kunstwerks enthält, kam dabei kaum in Betracht. Auch

im Zuge der bedeutenden Pionierausstellung „Marcel Proust. L´Ecriture et les Arts“ unter Leitung Jean-Yves Tadiés in der Pariser Nationalbibliothek im Jahr 1999 oder kürzlicher Neuerscheinungen wie K. Yoshikawas „Proust et l´art pictural“ (Paris 2010) sind diese traditionellen kunsthistorischen Hierarchien nicht angetastet oder reflektiert worden. Die Konstruktion seines Buches derjenigen einer Kirche vergleichend, bemerkt Proust: « il y a des parties qui n´ont eu le temps que d´être esquissées, et qui ne seront sans doute jamais finies ». Er präzisiert, dass er nicht in Betracht zieht, seinen Roman so, wie man eine Kathedrale baut, sondern wie man ein Kleid schneidert, zu schreiben (« je n´ose pas dire ambitieusement comme une cathédrale, mais tout simplement comme une robe »).

 

Die Kunst ist, nach Proust, also ebenfalls das Ergebnis eines langen Arbeitsprozesses, dessen Ethos sich der Vorstellung vom Werk des Genies zum Teil entgegensetzt, und verdankt sich, in seiner letztlichen künstlerischen Konsequenz und Werkhaftigkeit, der Entdeckung einer bis dahin unvordenklichen Einheit. Diese aber erwächst auch aus dem „Infinitesimalen“ (Robert de Montesquiou), dem „Fragment“, dem „Detail“, der „Nuance“, dem „Augenblick“. Wenn die Recherche also, der Groß-Roman, ebenso aus der Miniatur wie aus der Monumentalanlage, aus der Detailstudie in der Art John Ruskins (dessen Übersetzer Proust war) oder auch aus dem Baudelaireschen Prosa-Gedicht und der Rhetorik der Metapher hervorgeht, dann stellt sich die Frage einer noch kaum untersuchten Nähe des Romanciers zur angeblich „minderen“ Kunst, den Arts décoratifs. Sind sie nicht eigentlich, im Bereich der Kunsterfahrung, der Ort, an dem die „Suche“ des Erzählers nach jenen „sensiblen“ Zeiten und Räumen der Erinnerung, der Identität, des gelebten Lebens stattfindet? Die Proustsche Beschreibung erprobt sich nicht nur an den Werken der überragenden Meister, sondern auch an Glasobjekten, Pariser Balkongittern, Porzellan, japonisierendem Dekor, Mode oder einer Malerei, die gerade das Dekorative exponiert (Bakst, Helleu, Whistler). Dabei pastichiert Proust fortwährend präzise Gegenstände oder ganze Stile der Belle Epoque und der Pariser Avantgarden, um deren Effekte sprachbildnerisch einzusetzen und damit einer Sphäre zwischen Kunst und Leben zu eigenem Recht zu verhelfen.

 

Ohne Zweifel war Proust ein Bewunderer großer Museumskunst und berühmter Sammlungen, aber um die Kunst in der Erinnerung zu vergegenwärtigen, ist zumindest der Erzähler seines Romans auf die sensible, unwillkürliche, vielleicht nervöse Erfahrung angewiesen, wie sie die Einsamkeit und das intime Intérieur erlauben. Das Dekor, die Kunst im Verborgenen, das Nicht-Werk und Parergon, die schweigsamen Dinge im Inneren, die Accessoires und Nebensächlichkeiten, das Ephemere – dies alles konstituiert eine eigene Dimension der Proustschen Sprache, seiner Ästhetik, seines Werks. In der sinnlichen Wirkung von Materialien wie spezifisch geschliffenen Gläsern, gewebten Stoffen oder in einzelnen symbolistischen Gestaltformen (dem Tanz, dem Vegetabilen, dem Diaphanen) studiert Proust, im Rahmen seiner Kunstgeschichte, Formen des Imaginären, die er dann erst auf die „Hochkunst“ zurückbezieht. Phänomenologischer und epistemischer Bildbegriff, empirische und imaginäre Betrachtung, autobiographische Wirklichkeit und dichterische Fiktion, gedankliche Tiefe und reine Oberfläche, „Essenz“ und „Dekor“ verbinden sich zum sensiblen Material des Romans.

 

Das Streben nach solchen Zwischenbereichen ist um 1900 auch den „Salon“-Künsten und künstlerischen Bewegungen wie dem Japonismus, Gallés Jugendstil, Fortunys Textilkunst und dem Sammlertum der Goncourts nicht fremd. Angesichts der Industrialisierung von Kunstgewerbe und dem Triumph autonomer Kunst wird der Status des Dekorativen auf den Prüfstand gesetzt. Die Arts décoratifs sind gleichwohl aus der Lebenswelt der Künstler nicht wegzudenken. Gerade die mondänen Beziehungen und Bekanntschaften nähren Prousts Sensibilität und verankern diese in seiner Epoche; zu denken wäre an Montesquiou, Cocteau, Diaghilew, Edmond de Goncourt, Gallé, die Netzwerke der Sammler und Connaisseurs um Ephrussi, Haas, Durand-Ruel und Madeleine Lemaire. Mit ihnen stellt sich eine andere Frage, historischer, sozialer und erotologischer Natur, die des „ästhetischen Menschen“ der Belle Epoque (Gert Mattenklott). Abgesehen von der Untersuchung der dekorativen Künste bei Proust und in seinem literarischen, essayistischen und journalistischen Werk ist es das Ziel der Tagung, sich der Problematik solcher für die Epoche charakteristischer Lebensentwürfe zu widmen. Im Sinn der angeblichen Dichotomie eines „dekadenten“ Wucherns der Dinge auf der einen und rein literarischer Versenkung auf der anderen Seite hat man zum Beispiel oft die Positionen Prousts und Montesquious gegenübergestellt, in etwa wie der junge Held der Recherche die Welt von Combray in die zwei Seiten, die „deux côtés“ von Méséglise und Guermantes aufteilt. Nur dass sich im Roman dem Helden am Ende die Einheit beider Wege enthüllt. Wenn Montesquiou sich durch die Inszenierung seiner Intérieurs und Alluren auszeichnet, um zur Inkarnation eines Dandysmus der Erscheinung und des Lebensstils schlechthin zu avancieren, so reflektiert er doch auch die Spannung von Kunst und Design, von Künstlerexistenz und sozialer Rolle.

 

Auf der anderen Seite war Proust seinerseits mondäner Chronist künstlerischer Salons, Autor der „Aufzeichnungen über die geheimnisvolle Welt des Gustave Moreau“ oder „Über die Psyche des Grafen“, Bewunderer von Gallé, Helleu, Whistler, Fortuny und Hokusai. Die Rolle der dekorativen Künste für ein herausragendes literarisches Werk, aber darüber hinaus auch dessen Gehalt im größeren Zusammenhang der skizzierten Problematik moderner Kunst in Europa um 1900 zu befragen, ist in diesem Sinn das Ziel der Tagung „Marcel Proust und die dekorativen Künste“ im fachübergreifenden Dialog der Literatur- und Kulturwissenschaft und Kunstgeschichte.

 

Organisiert von / Sous la direction de Boris Roman Gibhardt und / et Julie Ramos

 

Vorschläge für einen Beitrag (mit Vortragstitel; max. 300 Wörter) einschließlich Lebenslauf mit Angabe von Name, elektronischer und postalischer Adresse und Telefonnummer sowie evt. Funktion, Institution und Auswahlbibliographie können eingereicht werden bei:

 

Boris Roman Gibhardt (bgibhardt@dt-forum.org) und / et Julie Ramos (julie.ramos@inha.fr).

 

Von:  Julie Ramos via H-ARTHIST

Publiziert von: Christof Schöch