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01.11.2013

CfP: Représentation de l’histoire entre mise en scène et mise en question

  • Ort: Paderborn
  • Beginn: 14.02.14
  • Ende: 15.02.14
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Weitere Teilbereiche
  • Sprachen: Französisch, Sprachenübergreifend
  • Frist: 20.11.13

Représentation de l’histoire entre mise en scène et mise en question.

L’historiographie et la littérature du XIXe siècle en France et Allemagne face au problème de l’incommensurable historique.

 

Exposé für ein Kolloquium im Rahmen des CIERA-Programms « Poétique du récit historique », 14./15. Februar 2014 an der Universität Paderborn

 

Der Aufstieg der historistischen Geschichtsschreibung, des klassischen Geschichtsromans und Geschichtsdramas gehen in der deutschsprachigen Literatur mit der Durchsetzung eines Darstellungsprinzips einher, das man als „idealistische Historik“ bezeichnen kann. Es besteht darin, „das Allgemeine unmittelbar und ohne langen Umschweif durch das Besondere darzustellen“, wie Leopold Ranke 1828 formuliert hat. „Das Allgemeine“ sind die „historischen Ideen“ oder „leitenden Tendenzen“ einer Geschichtsepoche; heute würden wir sagen: ihre charakteristischen Strukturtransformationen. „Das Besondere“ sind die Protagonisten der Geschichtsschreibung bzw. des Geschichtsromans oder Geschichtsdramas: die mit historischen Eigennamen versehenen Figuren und erzählten Ereignisse – in ihnen sollen nach diesem Geschichtsdenken die Ideen erscheinen, sollen sie historisch verwirklicht worden sein und historiographisch anschaulich gemacht werden können. Daher stehen in den Geschichtsdarstellungen dieser Schule keine Figur und kein Ereignis für sich. Vielmehr sollen sie ausnahmslos als Repräsentanten von politischen oder sozialen Bewegungen gelesen werden.

 

Bekannt ist, daß diese idealistische Historik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von verschiedenen Seiten angefochten wurde. Positivismus und Naturalismus sind als Gegner ebenso zu nennen wie die künstlerische Opposition des l’art-pour-l’art. Spätestens mit Nietzsches breitenwirksamen Angriffen geriet der Historismus in eine „Krisis“, die bis weit ins 20. Jahrhundert andauerte und sich in mannigfachen Auseinandersetzungen äußerte. Weniger bekannt und noch kaum untersucht ist, daß die Herausforderer der idealistischen Historik Vorläufer hatten. Gleich von ihrer Etablierung in den 1820er-Jahren an provozierte die idealistische Historik Einwände und Gegenmodelle, an die man in der zweiten Jahrhunderthälfte anknüpfen konnte. Diese Alternativen zur idealistischen Historik sollen Gegenstand des Kolloquiums sein.

 

In der Sprache des Historismus wurde das Thema dieser Alternativen als das „historisch Inkommensurable“ bezeichnet. Damit waren Personen, Verhältnisse oder Bestrebungen gemeint, die sich nicht auf allgemeine Tendenzen bringen ließen, sich ihnen vielmehr widersetzten und damit historiographische Darstellungsprobleme heraufbeschworen. Aus Sicht der idealistischen Historik handelte es sich nämlich, wie die Rede vom „Inkommensurablen“ zeigt, um ein Residuum: die Reste, die in den gedanklichen Rekonstruktionen der Geschichte nicht aufgehen; das, was übrig bleibt, wenn man die Geschichte analytisch durchdrungen und verstanden hat; etwas Irrationales, Unbegreifliches, Unfaßbares; modern gesprochen: um „das Andere“ der historischen Vernunft, ihre bête noire. Wo immer die Historisten sie entdeckten, ob in der überschießenden Wut von Volksmengen oder den unbezähmbaren Affekten von Staatsmännern, im „Fanatismus“ oder im „Aberglauben“, in der unbegreiflichen Beharrungskraft vermeintlich überlebter Institutionen oder im unvorhersehbaren Zufall, in der (katholischen) Kirche, im Adel, im Orient oder in der Weiblichkeit, stets stellte sie in den herrschenden historistischen Geschichtsdarstellungen die zu überwindende, zu zähmende, zu kolonisierende Gegenkraft dar. Was aber geschichtstheoretisch und darstellerisch passierte, wenn man das historisch Inkommensurable von den Rändern ins Zentrum rückte, es zum eigentlichen Thema machte und das ganze Geschichtsverständnis davon ableitete, ist die Frage, um die es auf dem Kolloquium geht.

 

Für die Geschichtstheorie ist diese Frage interessant, weil sich an ihr Möglichkeiten und Grenzen des geschichtswissenschaftlichen Verstehens erörtern lassen – ein Zentralproblem, das bislang hauptsächlich im Hinblick auf die „Zivilisationsbrüche“ des 20. Jahrhunderts betrachtet wurde, das aber, wie leicht nachzuweisen ist, auch schon die Geschichtsdarsteller des 19. Jahrhunderts bewegte. Für die Historiographiegeschichte und Literaturwissenschaft ist die Frage interessant, weil die Abkehr von dem Repräsentationsprinzip der idealistischen Historik zur Entwicklung von alternativen Darstellungsprinzipien zwang, die diese Texte in besonderer Weise relevant für die Debatten der Gegenwart erscheinen lassen.

 

Stattfinden soll das Kolloquium am 14./15. Februar an der Universität Paderborn, ausgerichtet wird es in Zusammenarbeit von drei Paderborner Kolleg/inn/en aus der Geschichtswissenschaft (Johannes Süßmann) und aus der Romanistik (Sabine Schmitz und Stefan Schreckenberg). Diese interdisziplinäre, kulturübergreifende Zusammenarbeit ermöglicht eine vergleichende Betrachtung in doppelter Hinsicht: bezogen auf das Verhältnis von Wissenschaft und Literatur einerseits (Geschichtsschreibung und Geschichtsdrama bzw. Geschichtsroman), auf die Entwicklungen in zwei verschiedenen, eng aufeinander bezogenen Literaturen, der deutschen und der französischen, andererseits. Im Sinne des CIERA-Programms « Poétique du récit historique » werden damit Forscherinnen und Forscher zusammengeführt, die bislang getrennte Wege gegangen sind und deren Disziplinen sich gegenseitig noch kaum zur Kenntnis genommen haben.

 

Zwar liefert die Wechselwirkung von Wissenschaft und schöner Literatur einen Leitfaden, an dem man sowohl für Deutschland als auch für Frankreich die Entwicklung der Geschichtsschreibung und vor allem des Geschichtsromans untersucht hat. Doch blieben die Forschungen dabei zumeist auf die Literatur in einer Sprache konzentriert. Vergleiche zwischen den Entwicklungen in der deutschsprachigen und der französischsprachigen Geschichtsliteratur des 19. Jahrhunderts sind rar – was aufgrund der Unterschiedlichkeit der literarischen Felder einerseits, der disziplinären Forschungstraditionen andererseits auch nicht verwundert. Angesichts dieser Ausgangslage ist das Kolloquium als Versuch konzipiert, für den angestrebten Vergleich überhaupt erst einmal eine Grundlage zu erarbeiten.

 

Dafür scheint es erforderlich, sich gegenseitig die eigenen Voraussetzungen und Erkenntnisinteressen zu erklären. Denn im deutsch-französischen Vergleich stellen die Ansichten zum historisch Inkommensurablen sich geradezu als gegenläufig dar. Für die Beschäftigung mit der deutschsprachigen Geschichtsliteratur des 19. Jahrhunderts läßt sich sagen, daß die Forschung zur Historie bis vor kurzem von der Frage nach der „Verwissenschaftlichung“ beherrscht war. Daher kam für die der Geschichtsschreibung vor allem in Betracht, was sich auf die Verwissenschaftlichungstendenz beziehen ließ. Das historisch Inkommensurable wurde (wenn überhaupt beachtet) als Randerscheinung gesehen. Daran hat auch die Kontroverse um das Verhältnis von Wissenschaft und Fiktion nichts geändert, denn der narrative und rhetorische Charakter sollte gerade in den streng wissenschaftlichen Texten nachgewiesen werden. Die Geschichtsevokationen der schönen Literatur teilte die germanistische Forschung in einen Hauptstrom (von den Adaptationen Walter Scotts bis zu Gustav Freytag), dem man den schmalen Höhenkamm eines „anderen“ historischen Romans gegenüberstellte (Stifter, Raabe, Fontane), erweitert lediglich um das Geschichtsdrama Schillers, Büchners und Hebbels – nur in diesen außergewöhnlichen, für ihre Zeit untypischen literarischen Leistungen habe das historisch Inkommensurable in den ersten beiden Dritteln des 19. Jahrhunderts eine Zuflucht gefunden. Darin kommen die historiographie- und literaturwissenschaftlichen Forschungen zu deutschsprachigen Texten des 19. Jahrhunderts überein: daß das historisch Inkommensurable hier lange Zeit ein Schattendasein fristete.

 

Ganz anders das Bild, das die Forschung von der französischen Literatur zeichnet! Dort, so kann man bei den Literaturwissenschaftlern lesen, machten schon die Romantiker das historisch Inkommensurable zum zentralen Problem, geschichtstheoretisch wie poetologisch. Ob man Hugo nimmt (im Drama, den Programmschriften oder im Roman), das Geschichtsdrama Mussets (Lorenzaccio), die Novellistik Mérimées oder den Geschichtsroman von Barbey d’Aurevilly, überall geht es um den Konflikt zwischen dem Bekenntniszwang der großen historisch-ideologischen Lager und den Versuchen, sich gegen solche Vereinnahmungen zu behaupten. Und häufig ist dieser Konflikt als unauflöslich dargestellt worden. Es entsteht der Eindruck, als sei diese tragisch-katastrophi¬sche Geschichtsauffassung in der französischen Literatur fest etabliert worden und habe eine Wirkung entfaltet, der sich selbst die nochmals radikalisierte Position Flauberts und – bei allen Unterschieden – auch der Naturalismus Zolas zurechnen lassen. Die Forschungen zur französischsprachigen Historiographie des 19. Jahrhunderts betonen zumeist die Gemeinsamkeiten mit der schönen Literatur. Guizot und Michelet werden primär als Schriftsteller gesehen, die nicht nur die Prägungen und Obsessionen der Romantiker teilten, sondern auch für deren Poetik des Inkommensurablen in der Geschichtsschreibung Entsprechungen gefunden hätten.

 

Es ist die Hoffnung der Veranstalter, daß dieses hier stark zugespitzte und vereinfachte Bild durch die kontrastive Gegenüberstellung von deutscher und französischer Literatur Revisionen provoziert. Damit die Infragestellung des Kontrasts aber nicht zu einem bloß additiven Nebeneinander führt, sollen die Beiträge über ihre Beispiele hinaus immer auch die eigenen disziplinären Ausgangspunkte und Frontstellungen erläutern, damit die Pointe verständlich wird.

 

Zur Teilnahme an der Tagung können sich alle Wissenschaftler/innen bewerben, die über deutsche und französische Geschichtsliteratur des 19. Jahrhunderts arbeiten. Interessenten richten ihre Bewerbung bitte an:

Johannes Süßmann, johannes.suessmann@uni-paderborn.de,

Sabine Schmitz, sabine.schmitz@uni-paderborn.de oder

Stefan Schreckenberg, schreck2@uni-paderborn.de oder

 

Bewerbungen mit einem Exposé von max. einer Seite Umfang werden bis zum 20. November 2013 erbeten. Vorgetragen werden kann in deutscher oder französischer Sprache.

 

Von:  Sabine Schmitz

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