CfP: Vita als Wissenschaftssteuerung. Frühneuzeitliche Biographien von Wissenschaftlern, Philosophen und Künstlern
- Ort: Münster
- Beginn: 27.10.11
- Ende: 28.10.11
- Disziplinen: Literaturwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
- Sprachen: Sprachenübergreifend
- Frist: 01.03.11
In der jüngeren Wissenschafts- oder Philosophiegeschichtsschreibung zur Frühen Neuzeit spielen die Wissenschaftlerbiographien früherer Jahrhunderte keine nennenswerte Rolle, man bezieht sich primär auf die Texte und experimentellen Praktiken der wissenschaftlichen Akteure. Das verwundert insofern nicht, weil den Biographien das Odium anhaftet, idealisierte Heldengeschichten zu erzählen. In der Kunstgeschichte haben die Künstlerviten indes einen ganz anderen Status, sie gelten als Lieferanten basaler Informationen über die jeweiligen Künstler und bedeutende Vehikel für den Theorietransport.
Ähnliche Verdienste könnten jedoch auch vielen Wissenschaftlerviten zugesprochen werden, die sich oft an Spezialisten wandten, zu Zeiten, als man schwer an belastbare Informationen kam, unbekanntes Material zusammentrugen, die jeweiligen Theorien und die bisherige Rezeptionsgeschichte nicht nur dokumentierten, sondern kritisch auf dem neuesten Forschungsstand reflektierten, und so die Rezeption der betreffenden Texte entscheidend steuerten. Häufig wurde ein Wissenschaftler zum uomo universale stilisiert, der künstlerisches Talent und wissenschaftliche Begabung vereint, und der Wert seiner wissenschaftliche Forschung ethisch an die Sinnkriterien eines gelungenen Lebens gebunden.
Bestandteil solcher Viten waren auch Porträts oder gar Porträtsammlungen, die die bildliche Wirkungsgeschichte dokumentierten bzw. begründeten, und die Wissenschaftlerviten an die Kunst banden. Die Viten aus der Feder Gassendis z.B. waren keine apologetischen Einführungen, sondern über die bloße Lebensbeschreibung hinausgehende, mit astronomischen und mathematischen Details gespickte, gleichwohl glänzend geschriebene Darstellungen der Forschungen des porträtierten
Wissenschaftlers im historischen Kontext der Disziplin sowie der Wirkungsgeschichte. Es gibt viel mehr solcher Wissenschaftler-Biographien als gemeinhin bekannt, die meisten sind vergessen, weil man die früheren lateinischen Editionen, denen sie häufig beigegeben waren, nicht mehr liest. Entsprechend unerforscht sind die narrativen Muster denen diese Viten folgen, inwieweit sie z.B. Plutarchs Lebensbeschreibungen verpflichtet sind oder es Wechselwirkungen mit Künstlerviten z.B. denen Vasaris gab. Wissenschaftlerviten wurden jedoch nicht nur zahlreichen Werkausgaben vorgeschaltet, einige, wie etwa die Descartes-Vita von Baillet oder Gassendis wunderbare Vita des Peiresc sowie seine voluminöse Epikurdarstellung wurden einzeln ediert.
Das Korpus dieser Texte ist gewaltig. In der Wissenschaftsgeschichtsschreibung zur Frühen Neuzeit wird daher im krassen Gegensatz zur Kunstgeschichte ein für die Formierung, Legitimierung, ästhetische Repräsentation und Verbreitung der Wissenschaft zentrales Genre nahezu komplett ignoriert. Die geplante interdisziplinäre Tagung hat zum Ziel die Bedeutung dieser Viten für
die Zirkulation und Tradierung von Wissen in der frühen Neuzeit aufzuzeigen, ihre narrativen Muster und Bildprogramme zu beschreiben, zu untersuchen, ob es Wechselwirkungen zwischen Künstlerviten und
Wissenschaftlerviten gab und die Konsequenzen für die Historiographie erörtern.
Proposals für Konferenzbeiträge bitten wir bis spätestens zum 1.3.2011 zu schicken an:
Karl Enenkel: kenen_01@uni-muenster.de
und: Claus Zittel: zittel@khi.fi.it
Excellenzcluster "Religion und Politik",
Seminar für Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit
Westfälische Wilhelms Universität Münster
in Kooperation mit der Max Planck Research Group:
"Das wissende Bild", Florenz.
Publiziert von: Christof Schöch