DFG-Symposion „Allegorie“
- Ort: Villa Vigoni, Italien
- Beginn: 19.05.14
- Ende: 23.05.14
- Disziplinen: Literaturwissenschaft
- Sprachen: Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Sprachenübergreifend
- Frist: 01.03.13
Im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft soll vom 19.-23. Mai 2014 in der Villa Vigoni ein internationales literaturwissenschaftliches Symposium zum Thema „Allegorie“ stattfinden. Es folgt organisatorisch dem Muster der Germanistischen Symposien der DFG, wie sie seit den 1970er Jahren durchgeführt wurden. Die Konferenzsprachen sind Englisch und Deutsch, wobei alle Teilnehmer in der Lage sein sollen, sich in beiden Sprachen an der Diskussion zu beteiligen.
Das Symposion soll Perspektiven auf die Allegorie nach Benjamin und de Man resümieren und weiter entwickeln. Die Allegorie ist demzufolge nicht nur eine Figur, die das eine sagt oder vorstellt, um das andere zu bedeuten, sondern sie bedeutet, indem sie das von ihr Präsentierte dementiert. Die Allegorie ist eine Reflexion des Zeichens im Zeichen. Mit selbstreflexiven Praktiken des Fragments, des Zitats, der Collage, einer ironisch ausgestellten Metanarrativität und Metafiktionalität usw. haben Moderne und Postmoderne zu einer Wiederkehr der Allegorie als analytische Kategorie Anlaß gegeben, die dann auch zuvor als mimetisch begriffene Zeichenpraktiken neu lesbar macht.
Der Schwerpunkt des Symposions soll auf kulturwissenschaftlichen und historischen Fragestellungen liegen: es geht um die Allegorie als eine Technik des Erinnerns, Aneignens, Durchdringens und Überlagerns von Kulturen; um die symbolische Selbstverständigung (sub)kultureller Kollektive mittels allegorischer Narrative; um die Diskurse, in denen die Allegorie im Feld von Konkurrenzbegriffen historisch diskutiert wurde; um allegorische Verfahren des Verrätselns und Verbergens im Sinne des Geheimnisses oder der Chiffre, die einer abgeschirmten Verständigung bestimmter kultureller Akteure dienen. Es geht ferner um die Analyse von allegorischen Texten, Werken der Bildenden Kunst und multimedialen Inszenierungen im Sinne einer Analyse ihrer Formen des Zeigens und Bedeutens im historisch je spezifischen sozialen Feld der Kunst- und Kulturproduktion.
In vier Sektionen – die sich z.T. überschneiden - soll die skizzierte Problematik untersucht werden.
1. Orte der Überkreuzungen/Ortlosigkeit der Kreuzungen
Leitung: Daniel L. Selden (Santa Cruz)
Die Allegorie findet in der Zeit intensivierter transkultureller Kontakte nach den Kriegszügen Alexanders Verbreitung und wird dann auch erstmals zum Gegenstand systematischer Erörterung. Sie steht derart mit der Entwicklung kosmopolitischer Zentren des kulturellen und ökonomischen Austauschs in enger Verbindung: die Allegorie betreibt eine mouvance (Zumthor), eine Bewegung der Texte über zeitliche, geographische und kulturelle Grenzen hinaus.
Traditionell wurde die Allegorie als Verfahren charakterisiert, das den ursprünglichen Signifikanten eines (heiligen oder klassischen) Textes bewahrt, aber ihm ein neues Signifikat zugesellt; die ursprüngliche Leseweise des Textes wird historisch obsolet, indem das Zeichen in einem neuen geographischen und kulturellen Rahmen rekontextualisiert wird. Die Allegorie bzw. die allegorische Lektüre gelten mithin als Modus der Historisierung, der vom Vergessen bedrohte Traditionen bewahrt und für die historische Gegenwart neu funktionalisiert. Das Verfahren ist aber auch im Sinne einer imperialen Aneignung fremder Texte oder als lokales Phänomen der kulturellen Hybridisierung bestimmbar. Insofern sich in der Allegorie Diskurse der Traditionsbildung, der imperialen Einheit und der kosmopolitischen kulturellen Interdependenz kreuzen, kann sie als ein überdeterminierter textueller Ort kultureller Selbstreflexion gedacht werden.
Der Schwerpunkt dieser Sektion liegt auf den transkulturellen Zusammenhängen, die eine Entstehung allegorischer Texte, Bilder, Bauwerke bzw. ihrer allegorischen Lektüre an kosmopolitischen Zentren begünstigen, z.B. in Alexandria, Cordoba, Florenz, Paris, Wien, New York oder heute beispielsweise Dubai und Shanghai. Die Analyse literarischer Gattungen, wie etwa des antiken Romans oder der Troubadourlyrik, als Textnetzwerke ist besonders willkommen.
Mögliche Themen: Allegorie als Praxis der Historisierung – Allegorie und kulturelle Grenzüberschreitung – Allegorie und imperiale Traditionen – Allegorie und Architektur – Allegorie und kulturelles Gedächtnis – Allegorie und (historische Formen) der Kulturkritik – Allegorie und kulturelle Krise – Allegorie/Synkretismus/Hybridität – Allegorie und Übersetzung – Textnetzwerke, Gattungssysteme der Allegorie.
2. Die Allegorie im Feld ihrer Konkurrenzbegriffe
Leitung: Bettine Menke (Erfurt)
Die Allegorie ist historisch in einem Feld von Konkurrenzbegriffen situiert. Es gilt, das Feld der Diskurse in den Blick zu nehmen, an denen die Allegorie partizipiert (wie Exegese, Hermeneutik, Rhetorik und Poetik) sowie das historisch unterschiedliche Gewicht bestimmter Epochen und Gattungen in den Literaturen und Künsten in Bezug auf die Allegorie.
In der Rhetorik figuriert die Allegorie als metaphora continua, mit zwei möglichen Grenzbegriffen: dem Rätsel (aenigma), zu dem sie sich als tota allegoria auswachsen kann, und der Ironie, mit der sie das anders Sprechen (als gemeint) gemeinsam hat. Die Doppelrede, die einerseits aenigmatisch, andererseits politisch-öffentlich (állon-agoreúein) gedacht ist, gebiert Fiktionen, kann episch und romanhaft ausgebaut werden. In Bezug auf Exegese-Praktiken (u.a. in den verschiedenen Religionen) steht die Allegorese in Konkurrenz zur Sprach- bzw. Grammatikanalyse einerseits und zu Buchstaben-Operationen andererseits. - In der Geschichte der Exegese der Texte der Spätantike und des Mittelalters wird die Allegorie zu einer zweiten Sprache der Dinge. Die Dinge in ihrer Faktizität werden zum Zeichen zweiter Ordnung, traditionell als Element im Buch der Natur, gesichert durch göttliche Autorschaft, oder aber – weitreichender – ohne transzendente Absicherung als „Mythen des Alltags“ (Barthes). In Hinsicht der Chiffren der Welt konkurriert die allegorische Bedeutungszuweisung mit der Semiologie, aber die Allegorie wendet diese darüber hinaus auch auf sich selbst, aufs Zeichen-Werden oder -Machen zurück. - In Bezug auf die Darstellung widerstreitet die Allegorie deren Auffassung als Mimesis (und sie soll – ihrer Rhetorizität wegen – doch mit anderen übertragenen Erzählformen, wie Parabel und Gleichnis, nicht verwechselt werden). Scheint die mimetische Darstellung aufs Sehen des Dargestellten angelegt zu sein (wie auch im Symbol, in dem sich nach Goethe unmittelbar am Besonderen der Anschauung das Allgemeine erschließt), so ist die Allegorie auf Lektüre angewiesen. In der Begründung der Ästhetik erfährt die Allegorie, die nun zum expliziten Gegenbegriff zum Schönen avanciert, ihre heftigste Abwehr; insofern sie sich nicht zur Gestalt schließt, sondern mit detaillierendem, mit zerlegendem Wissen verbunden ist, bedroht sie den Betrachter selbst mit Zerstückelung. - Der Allegorie-Begriff wird schließlich kritisch, insofern er die Grenze der Autonomie der Kunst bezeichnet.
Mögliche Themen: Allegorie versus Symbol, Fiktion, Faktizität, Mimesis – Allegorie und Grammatik (u.a .im Verhältnis von Metapher und Metonymie) – Allegorie und andere Exegesepraktiken – Allegorie, Chiffre, Rebus – Allegorie und Buchstäblichkeit – Allegorie, Parabel, Exempel u.a. – der Zitatcharakter der Allegorie als Bezug auf die Bibliothek, die Welt der Texte, die copia der Zeichen und Dinge – Allegorie und die „Melancholie“ der Kunst – Allegorie und Ironie – Allegorie und die Textualität der Bilder – allgemein die Zielsetzungen und Regeln der künstlerischen Produktion in jeweiligen Epochen, die diese die Allegorie aufgreifen oder verwerfen läßt.
3. Politik der Allegorie
Leitung: Ulla Haselstein (FU Berlin)
Allōs (bzw. allon) agoreuein, anders als öffentlich sprechen, meint, zwischen wörtlichen und uneigentlichen Formen des Sprechens zu unterscheiden, aber auch öffentlich anders zu sprechen (sei es bewußt oder unbewußt). Es bedarf eines besonderen Wissens, um allegorische Texte zu lesen/um Texte allegorisch zu lesen, und einer (intellektuellen, religiösen, nationalen, territorialen, psychoanalytischen) Interpretationsgemeinschaft, die die Geltung dieser Lektüren verhandelt. Gleichgültig, ob man den Allegorie-Begriff poetisch oder hermeneutisch wendet, er ist stets mit der Institutionalisierung der Produktion von Texten und ihrer Interpretation verbunden und in politischen Diskursen zum Begriff der Öffentlichkeit, zur Legitimität von Macht und zum Verhältnis von (offiziell) Sagbaren und (strategischen) Geheimnissen verankert.
Indem die Allegorie Elemente unterschiedlicher literarischer Traditionen verknüpft, tritt sie in den Dienst gesellschaftlicher Gruppen und ihrer Machtansprüche. Die Kulturen der Spätantike, die höfische Repräsentationskultur oder die Inszenierungen nationaler oder ethnischer Identität im 19. und 20. Jahrhundert konstituieren exemplarische Felder der Untersuchung. Diskurse zu Mysterien, zur Hioeroglyphik und Geheimschrift sind gleichfalls von Interesse. Schließlich wäre an die zeitgenössische Konjunktur des Erhabenen und des Authentischen sowie ihrer beider Variante, des Traumas, zu denken, in der die unmögliche Repräsentation des Nicht-Repräsentierbaren mit der Notwendigkeit seiner Repräsentation zusammenfällt und allegorisch als Dissoziation von Vorgestelltem und Bedeutetem beschreibbar ist.
Mögliche Themen: Die Allegorie als strategisches Verrätseln oder als strategische Integration des Verbotenen/des Politisch-Prekären – Allegorie als Verschiebung politischer Rhetorik – kryptische Allegorie als Naturalisierung symbolischer Ordnungen des Wirklichen - Allegorie und Mythos: (wider) die Autorität des Sakralen – Allegorien politischer Herrschaft – Allegorie als Geheimschrift – Allegorie als Poetik/Politik des kulturellen Gedächtnisses – Allegorisches Lesen als kulturkritische Praxis der Moderne – Allegorie und Institutionen des Wissens – Allegorien des Nicht-Repräsentierbaren (der Geschichte, des Todes, des Traumas, der Utopie).
4. Entgrenzungen des Allegorischen: Kunst und Lebenswelt
Leitung: Friedrich Teja Bach (Wien)
Phänomene des Allegorischen sind heute ubiquitär geworden. In neuer und verschärfter Weise ist die Gegenwart von einem „gewissen Hang zu Allegorie“ geprägt, „wenn man darunter eine geistige Beziehung versteht, wo alles mehr bedeutet, als ihm redlich zukommt“ (Musil). Der Begriff der Allegorie kann Grundstrukturen gegenwärtiger Wirklichkeitsverfassung lesbar machen, wie die Gleichzeitigkeit von Globalisierung und Partikularisierung im Flickenteppich der Kulturen, die Tendenz zur Kapitalisierung von Bedeutungsressourcen, die hyperbolische Erzeugung von Zeichen und als Kehrseite die Inflation und Vergleichgültigung von Bedeutung, ihr Indifferentwerden.
Die Sektion ist darauf angelegt, die verstärkt seit den 1980er Jahren vorgeschlagene Ausweitung des Begriffs der Allegorie zu diskutieren. Im Zentrum sollen Verschränkungen von und Übergänge zwischen zwei Bereichen stehen: der paradoxen ’Präsenz’ des Allegorischen in der Kunst von Moderne und Postmoderne/ Supermoderne (Augé) und dem weiten Feld von Phänomenen der Allegorisierung alltäglicher Lebenswelten (Ware). Neben Überlegungen zur allegorischen Dimension der unterschiedlichen künstlerischen Medien und Strategien, zu den Display- und Präsentationsformen der Vermittlung von Kunst sowie zur Bedeutung des Allegorischen im Austausch der Kulturen und in der Herausbildung globalisierter Kunst, stehen Formen der Allegorisierung von Raum und Zeit sowie die Produktion und Konsumption eines „allegorischen“ Kapitals zur Diskussion.
Mögliche Themen: Allegorische Topographien (öffentliche Räume, Stadt, Meer, ‚fremde Länder’ des Touristischen) – Sites/Non-Sites – Allegorie und Architektur (signature buildings) – Allegorie und die ‚Rückkehr des Narrativen’ – Allegorien des Begehrens (Ware, Fetischismus, Marke) – Entmaterialisierung der Dinge – Eventkulturen; allegorische Spektakularisierung (Werbung, Design, Mode) – Allegorie als Strategie sozialer Differenzierung (Formierung von Subkultur u.a.) – allegorische Dimensionen der frühen Moderne – Collage, Assemblage, performative Rituale, multimediale Installationen – Allegorien in Film, Photographie und digitalen Bildwelten – Allegorien der Überschreibung (re-writing of modernity, Postkolonialismus, Appropriation) – Allegorie und Display (Inszenierungen der zeitgenössischen Sammlungs-, Museums- und Ausstellungskulturen) – Allegorie im zeitgenössischen Islam – Allegorien der Global Art – Allegorisierung als Produktionsprinzip des Wissenschaftsbetriebs.
Zu dem Symposion eingeladen sind Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der klassischen Philologie und der Altertumswissenschaften, der neueren Philologien, der Arabistik und Judaistik, der Geschichtswissenschaft, Kunst- und Architekturgeschichte, der Theaterwissenschaft, Theologie und Philosophie. Von den Beiträgen wird die Verbindung historisch gesättigter Analyse mit theoretisch komplexer Entfaltung der systematischen Problemzusammenhänge erwartet. Detailuntersuchungen sollten exemplarischen Charakter haben.
Zum Verfahren:
Das Symposion wird zugunsten eingehender Diskussionen von der Verlesung von Vorträgen freigehalten. Alle Beiträge werden den Teilnehmern vor der Tagung auf elektronischem Weg zugesandt. Zusammen mit Diskussionsberichten sollen die Beiträge direkt anschließend an das Symposion publiziert werden. Um das Symposion arbeitsfähig zu halten, wird die Zahl der Beteiligten auf max. 35 begrenzt. Eine schriftliche, prinzipiell druckfertige Vorlage bildet die Voraussetzung für eine Teilnahme. Erwartet wird, daß die Teilnehmer an allen Tagen der Veranstaltung präsent sind und mitdiskutieren.
Interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des In- und Auslandes, insbesondere jüngere (in der Regel jedoch nicht schon Doktoranden) sind eingeladen, der Unterzeichnenden spätestens bis zum 1. März 2013 ihre Bereitschaft zur Teilnahme und ihren Themenvorschlag mitzuteilen, ein kurzes Exposé beizufügen und eine Sektionszuordnung vorzuschlagen. Auf der Grundlage der Exposés werden die Veranstalter der DFG vorschlagen, wer zu diesem Symposion eingeladen werden soll.
Die endgültigen Druckfassungen der Vorlagen müssen die zuständigen Kuratoren spätestens bis zum 1. 12. 2013 erreicht haben. Der Höchstumfang einschließlich der Anmerkungen liegt bei 30 Seiten à 1800 Zeichen; kürzere Vorlagen sind willkommen.
Terminplan
bis 1. März 2013: Anmeldung mit Themenvorschlag und Exposé
Mai 2013: Vorläufige Benachrichtigung der Einzuladenden
Juni 2013: Einladung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die DFG
bis 1. Dezember 2013: Einsendung der druckfertigen Vorlagen an die Kuratoren (elektronisch)
Januar 2014: Versendung der Vorlagen an alle Teilnehmer (elektronisch)
19. – 23. 5. 2014: Symposion
Reisekosten (Fahrtkosten und Tagegelder) übernimmt die DFG nach den Bestimmungen des Bundesreisekostengesetzes, soweit sie nicht von der Heimatinstitution getragen werden.
Ulla Haselstein (FU Berlin)
ulla.haselstein@fu-berlin.de
Adressen der Kuratoren:
Prof. Dr. Friedrich Teja Bach, Wien (friedrich.bach@univie.ac.at)
Prof. Dr. Bettine Menke, Erfurt (avl@uni-erfurt.de)
Prof. Daniel Selden, Santa Cruz (dlselden@sbcglobal.net)
Publiziert von: cs