Weitere Informationen > Allgemeine Mitteilung

09.03.2010

Nachruf auf Prof. Dr. Leo Pollmann (1930 – 2009)

  • Ort: Regensburg / Freiburg i. Br.
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft
  • Sprachen: Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Weitere romanische Sprachen

Am 19. Dezember 2009 ist Prof. Dr. Leo Pollmann (*3. Mai 1930 in Bocholt) in Stegen / Breisgau verstorben. Dorthin hatte er sich nach seiner Emeritierung zurückgezogen. Seinen „wissenschaftliche[n] Werdegang“ hat er aus der Distanz seiner späten Jahre für den von Klaus-Dieter Ertler herausgegebenen Sammelband Romanistik als Passion ohne Überheblichkeit, aber im Bewusstsein seiner auch durch Malkurse geförderten „Sensibilität für künstlerisches Gestalten“ skizziert. Außerdem prägte der von ihm als leitendes Denkmodell erkannte Gedanke, dass „alles sich wandelnd ruht“ seine Lebensführung wie sein berufliches Ethos.

 

Der vielseitig begabte und interessierte Abiturient immatrikulierte sich zunächst für das Hauptfach Altphilologie in Münster, aber ein Angebot des Pariser Laienordens Les Chevaliers de Saint-Bernard, für einige Zeit in seiner Klostergemeinschaft zu hospitieren, ermöglichte ihm trotz der Einschränkungen der Nachkriegszeit die Fortsetzung seines Studiums an der Sorbonne und den Wechsel zur Romanistik. Bereits 1953 verheiratete er sich mit der in Baden beheimateten Ruth Herbstrith. Sie bewog ihn, nach Freiburg zu wechseln, wo er das Staatsexamen ablegte und 1965 bei Hugo Friedrich mit einer mediävistischen Dissertation über die Geschichte der Amortheorie promovierte. Danach war Leo Pollmann während eines Jahrzehnts im höheren Schuldienst tätig. Seine beeindruckende Arbeitsdisziplin ermöglichte es ihm gleichzeitig, durch erste Publikationen auf sich aufmerksam zu machen und außerdem „zu Hause Seite um Seite und Anmerkung um Anmerkung“ seine Habilitationsschrift Die Liebe in der hochmittelalterlichen Literatur Frankreichs zu verfassen, was ihm bereits 1966 einen ersten Ruf an die Technische Universität in Berlin eintrug. Von dort aus nahm er die Gelegenheit zu einer Gastprofessur an der Universität Valparaiso in Chile wahr, wo er mit dem ihn kennzeichnenden Enthusiasmus den damals im deutschsprachigen Bereich noch weitgehend unerschlossenen literarischen Kontinent Lateinamerika für sich zu entdecken begann.

 

Schon früh hatte Leo Pollmann seine romanische Sprachkompetenz an der Dolmetscher­hochschule in Germersheim erweitert und gefestigt und zudem Arabischkurse besucht, was ihn dazu beflügelte, „ohne durch Prüfungsordnungen dazu verleitet zu sein“ 1965 die eigenständige Publikation „Trobar clus“. Bibelexegese und hispano-arabische Literatur vorzulegen, eine Thematik, die ihn nachhaltig beschäftigte und die er dann in Spanische Literatur zwischen Orient und Okzident (1996) wieder aufgriff und vertiefte.

 

Wer dem nach seiner Rückkehr aus Lateinamerika schon bald nach Erlangen Berufenen unterstellte, er werde wohl über die sprachlichen und literarischen Entdeckungen an der Peripherie der Romania die in seiner Disziplin zentrale Aufgabe der Ausbildung von FranzösischlehrerInnen vernachlässigen, konnte mühelos eines Besseren belehrt werden, hatte Leo Pollmann doch bereits 1966 die mehrfach aufgelegte, in verschiedene Sprachen übersetzte Monographie Sartre und Camus, und zwei Jahre danach Der frühe Roman in Frankreich und Lateinamerika vorgelegt, um dann zwischen 1974 und 1978 als Krönung im Alleingang eine als „Bewußtseinsgeschichte“ konzipierte dreibändige Geschichte der französischen Literatur zu veröffentlichen. Mit einer eigenen Publikation Literaturwissenschaft und Methode, die 1973 in zweiter Auflage erschien, hatte er außerdem zuvor seine Kompetenz in theoretischen Fragen dokumentiert.

 

Nach der 1978 erfolgten Annahme eines Rufs auf den vakanten zweiten literaturwissenschaftlichen romanistischen Lehrstuhl in Regensburg erfüllte Leo Pollmann dort alle in ihn gesetzten Erwartungen. Er brachte seine inzwischen gewonnenen Erfahrungen in die akademische Selbstverwaltung ein, und bewährte sich als kompetenter und hilfsbereiter Kollege. Die StudentInnen fanden bei ihm stets Gehör für ihre Interessen und Probleme.

 

Mit besonderer Freude konstatierte Leo Pollmann nach dem Ende der Franco-Diktatur unter der nachwachsenden Studentengeneration eine neu erwachte Aufgeschlossenheit für Spanien und Lateinamerika. Er knüpfte Kontakte zu dortigen Literaten und Kollegen und wurde vom Goethe-Institut ermuntert, eine ausgedehnte Vortragsreise nach Argentinien und angrenzende Staaten zu unternehmen. Seine mehrfach ins Spanische übersetzten Veröffentlichungen über die literarische Selbstentdeckung und Selbstverwirklichung eines ganzen Kontinents hatten dem Gast aus Übersee dort großes Ansehen verschafft, wie auch die von seinen Schülern Eckhard Höfner und Konrad Schoell herausgegebene Festschrift zu seinem 60. Geburtstag belegt. Freilich gab sich der von seinen Gastgebern bis zum Exzess gefeierte und beanspruchte Amerikareisende nach seiner Rückkehr zum ersten Mal Rechenschaft über die auch ihm gesetzten Grenzen hinsichtlich seiner Belastbarkeit.

 

Nach dem Tod seiner Frau (1998), die nicht nur stets der Mittelpunkt der fünfköpfigen Familie war, sondern auch seine literarischen Interessen geteilt hatte und auch als Übersetzerin spanischsprachiger Lyrik hervorgetreten war, brauchte der Witwer längere Zeit, um sich im Leben wieder zurechtzufinden. Hilfreich war ihm dabei die erneute Beschäftigung mit dem Arabischen, „zu dem diesmal ein intensives Studium des Korans kam.“ Es geht kaum zu weit, in dem bereits vor seiner Emeritierung immer intensiver werdenden Interesse für weibliches Schreiben, das in zahlreichen Publikationen seinen Niederschlag fand, auch eine Hommage an seine Frau zu sehen.

 

In dem Rückblick auf seinen wissenschaftlichen Werdegang hatte der Mittsiebziger zuversichtlich geäußert, dieser sei „immer noch nicht ganz abgeschlossen.“ Die zehn Jahre nach dem Tod seiner Frau erschienene umfangreiche komparatistische Abhandlung Sternstunden weiblichen Schreibens zeigte es ebenso wie die vor wenigen Monaten veröffentliche Monographie Was steht wirklich im Koran? Befremdlich ist dieser Titel lediglich für diejenigen, die nicht um das intensive Arabischstudium des jungen Romanisten wissen und seine enge Bindung an die Chevaliers de Saint-Bernard. Der streitbare missionarische Eifer des Gründers und Abts von Clairvaux im Dienst der Kreuzzugidee war dem ebenso toleranten wie unaufdringlichen, aufgeschlossenen wie reservierten Kollegen und akademischen Lehrer eher fremd. Dazu gehört die gleich zu Beginn seines letzten Buchs getroffene Feststellung, Islam als Bezeichnung für die dritte der drei monotheistischen Weltreligionen hänge mit dem arabischen Wort für Friede, salám, zusammen. Er hat dieses Wissen stets beispielhaft vorgelebt und umgesetzt.

 

Johannes Hösle, Univ. Regensburg

Von:  Johannes Hösle via Jochen Mecke

Publiziert von: Kai Nonnenmacher