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30.03.2010

Ringvorlesung "Wissens-Ordnungen. Zu einer historischen Epistemologie der Literatur"

  • Ort: Berlin
  • Beginn: 22.04.10
  • Ende: 06.07.10
  • Disziplinen: Literaturwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
  • Sprachen: Sprachenübergreifend

Das Feld der Beziehungen zwischen Wissens-, Wissenschaftsgeschichte und Literatur wird seit einigen Jahren intensiv beforscht. Die Ringvorlesung möchte verschiedene theoretische Ansätze, unter denen dieses Verhältnis gedacht werden kann, möglichst systematisch erfassen und zu einer weitergehenden Theoriebildung einladen. Unterhalb der allgemeinen Ebene der Zwei-Kulturen-Debatte oder der diskursanalytischen Frage nach dem Status von Literatur wischen Diskurs und Gegendiskurs soll auf einer konkreteren, detaillierteren Ebene untersucht werden, wie diese Beziehungen beschrieben werden können, wobei insbesondere nach den spezifischen Verfahren zu fragen ist, die für die literarische Formation von Wissen konstitutiv sind.

 

Der Titelbegriff ‚Wissens-Ordnungen‘ soll auf mehrere theoretische Aspekte der Fragestellung hinweisen. Zwei Grundaspekte des Verhältnisses von Literatur und Wissenschaften sind vor allem gemeint. Zum einen impliziert er, dass Wissen verschiedenen Ordnungen angehören kann, im Sinne von Kategorien, aber auch von Institutionen. Je nachdem, wo Wissen seinen sozialen Ort hat, bildet es einen eigenen Diskurs mit eigenen Regeln. Das muss bei der Frage nach Literatur als eigener Wissensordnung ebenso berücksichtigt werden wie bei der Frage, wie sich Literatur gegenüber externen Wissensordnungen positioniert. Dabei wäre, aus literaturwissenschaftlicher Perspektive, zunächst zu unter suchen, wie sich Literatur zum System der etablierten Wissenschaften verhält, ob und wie sie deren Kenntnisse aufnimmt oder hinterfragt, deren Verfahren übernimmt, beobachtet oder transformiert und durch genuin literarische Verfahren einer anderen Formation von Wissen zuführt. Weiter wäre zu fragen, ob das Verhältnis der Literatur zur Wissenschaft nicht insofern als ambivalentes beschrieben werden muss, als Literatur zwar Kenntnisse übernimmt, dabei jedoch über eine besondere Sensibilität verfügt für das je Ausgeschlossene, Verworfene, oder für das noch Unbeantwortete und Fragliche, also für das eigentlich nicht Gewusste. Wie könnte diese Eigenart mit literarischen Verfahren und Gattungen der Wissensformation zusammenhängen? Und wie sind die alternativen Beziehungen theoretisch zu fassen, die sich vor diesem Hintergrund ergeben, wie der umgekehrte Wissenstransfer von Literatur zur Wissenschaft oder die Möglichkeit einer Koevolution von Wissen, die die Grenzziehung zwischen beiden Kulturen sprengt?

 

Zum anderen wird mit dem Titelbegriff nach der Art und Weise gefragt, in der Literatur ihr Wissen ordnet, danach, welche Struktur sie ihm gibt und welche Verfahren dabei zur Anwendung kommen. Nachzugehen ist hier nicht nur der Frage, was literarische Wissensformationen im Unterschied zu wissenschaftlichen qualitativ auszeichnet. Dabei wäre zum Beispiel an die Tendenz von Literatur zu denken, ihre Verfahren und deren bedeutungskonstitutive Wirkung zu reflektieren und so immer auch schon ein selbstreflexives Wissen zu liefern, das um die eigenen Produktionsbedingungen weiß. Oder es gälte nach der Rolle zu fragen, die die Fiktionalisierung für den Status von Wissen spielt, sowie die Anschaulichkeit des literarischen Wissens zu reflektieren, die zu einem teilnehmenden Lesen anregt, d. h. ein nicht so sehr logisches als vielmehr affektlogisch strukturiertes Wissen generiert. Darüber hinaus müsste man sich jedoch auch der Frage stellen, auf welchen Ebenen eine Vergleichbarkeit oder ein Austausch zwischen der literarischen und der wissenschaftlichen Formation von Wissen denkbar ist. Offenbar liegen Ästhetik und Erkenntnis in beiden Bereichen nahe beieinander: Der Gebrauch von Metaphern, deren Bedeutung für die Begriffsgeschichte H. Blumenberg aufgezeigt hat, legt dies ebenso nahe wie der Umstand, dass Wissenschaft von »Denkstilen« geprägt ist, dass also die von ihnen erzeugte logische Konsistenz auch einen ästhetischen Wert hat.

 

 

Programm

Sommersemester 2010, 18-20 h

Habelschwerdter Allee 45, KL 32 / 202

 

Eröffnungsveranstaltung

Donnerstag, 22. April

Thomas Anz (Marburg): Wer weiß was wie wozu? Zirkulationen (un)geordneten Wissens zwischen Psychoanalyse und Literatur

 

Dienstag, 27. April

Georg Braungart (Tübingen): Die Schriftengewölbe der Erde. Konstruktive Imagination und Zeichenlektüre in der Literaturgeschichte der Geologie

 

Dienstag, 4. Mai

Peter-André Alt (Berlin): Paradoxie als Medium religiösen Wissens. Mystisch-hermetische Semantik und poetische Struktur im 17. Jahrhundert

 

Dienstag, 11. Mai

Walter Erhart (Bielefeld): Was wollen Philologen wissen ? Über Praktiken und Passionen der Literaturwissenschaft

 

Dienstag, 18. Mai

Stefan Rieger (Bochum): Kybernetische Dramenanalyse. Literatur und Wissensordnung an technischen Hochschulen

 

Dienstag, 25. Mai

Françoise Gaillard (Paris): Literature seen through Science. Reflections on Michel Serres

 

Dienstag, 1. Juni

Christina Brandt (Berlin): Begriff — Metapher — Experiment: Perspektiven aus Wissenschaftsgeschichte und Literaturforschung

 

Dienstag, 8. Juni

Stefan Willer (Berlin): Vom Wissen und Nicht-Wissen der Zukunft: Literatur und Prognostik

 

Dienstag, 15. Juni

Yvonne Wübben (Hagen / Berlin): Die Sinnlichkeit des Wissens: Psychiatrie und Literatur

 

Dienstag, 22. Juni

Michel Pierssens (Montréal): Poetic Science: Texts for Contexts

 

Dienstag, 29. Juni

Michael Gamper (Zürich): Wissen und Erzählen

 

Dienstag, 6. Juli

Jutta Müller-Tamm (Berlin): Die Denkfigur als wissensgeschichtliche und literaturwissenschaftliche Kategorie

 

 

Konzeption: Nicola Gess & Sandra Janßen

 

Freie Universität Berlin

Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften

Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft

Habelschwerdter Allee 45

14 195 Berlin

 

Kontakt und Information:

ngess@zedat.fu-berlin.de

janssens@zedat.fu-berlin.de

Von:  Sandra Janßen

Publiziert von: Kai Nonnenmacher